Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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      Zweiter Brief.

       Saint-Preux an Milord Eduard.

       Inhaltsverzeichnis

      Ja, Milord, mit freudiger Bewegung gebe ich Ihnen die Versicherung, daß der Auftritt in Meillerie die Krise meiner Thorheiten und meiner Leiden gewesen ist. Nach den Aufschlüssen, die mir Herr von Wolmar über den wahren Zustand meines Herzens gab, bin ich völlig ruhig geworden. Dieses allzu schwache Herz ist geheilt, so weit es geschehen konnte, und ich ziehe die Wehmuth eines eingebildeten Schmerzes der schrecklichen Lage vor, unablässig von verbrecherischen Gedanken bestürmt zu sein. Seit der Rückkunft dieses würdigen Freundes nehme ich keinen Anstand mehr, ihm einen Namen beizulegen, der mir so lieb ist, und dessen Werth Sie mich so ganz haben fühlen lassen. Es ist der geringste Titel, den ich Jedem schuldig bin, der dazu beiträgt, mich der Tugend wiederzugeben. Friede herrscht im Grunde meiner Seele, wie an dem Orte, welchen ich bewohne. Ich fange an, mich hier frei von Unruhe und zu Hause zu fühlen, und kann ich hier auch nicht den Herren machen, so finde ich es nur noch erfreulicher, mich wie ein Kind des Hauses zu betrachten. Die Einfachheit, die Gleichmäßigkeit, welche ich hier in Allem herrschen sehe, haben einen rührenden und bewältigenden Reiz für mich. Zwischen der Vernunft in Person und der fleischgewordenen Tugend verlebe ich heitere Tage. Je mehr ich mit diesen glücklichen Gatten umgehe, desto mehr fühle ich ihre Macht, die mich allmählich ganz einnimmt, und mein Herz stimmt sich unvermerkt nach dem ihrigen; etwa wie die Stimme unwillkürlich den Ton annimmt, welcher bei denen herrscht, unter denen man lebt.

      Welche köstliche Zurückgezogenheit! welch reizender Wohnsitz! Wie erhöht die süße Gewohnheit, da zu leben, seinen Werth! Und wie schwer ist es, wenn er auch auf den ersten Blick wenig glänzend erscheint, ihn nicht zu lieben, sobald man ihn näher kennt! Die Lust, mit welcher Frau von Wolmar ihre edle Pflicht erfüllt, Alle, die ihr nahen, glücklich und gut zu machen, theilt sich Allem mit, was davon berührt wird, ihrem Mann, ihren Kindern, ihren Gästen, ihren Leuten. Lärm, laute Lustigkeit, schallendes Gelächter vernimmt man nicht an dieser Friedensstätte, aber man findet lauter fröhliche Herzen und heitere Gesichter. Wenn bisweilen Thränen vergossen werden, so sind es Thränen der Rührung und der Freude. Schwarze Sorge, Unlust, Mißmuth nahen dieser Freistätte ebenso wenig als das Laster und die Gewissensbisse, deren Frucht sie sind.

      Was sie betrifft, so ist gewiß, daß mit Ausnahme des geheimen Kummers, welcher sie nagt, und dessen Ursache ich Ihnen in meinem vorigen Briefe angegeben habe [Dieser vorige Brief ist nicht vorhanden. man wird weiterhin die Ursache erfahren.], Alles dazu beiträgt, sie glücklich zu machen. Indessen würden sich bei so vieler Ursache, glücklich zu sein, tausend Andre an ihrer Stelle unglücklich fühlen; dieses einförmige und zurückgezogene Leben würde ihnen unerträglich sein; das Gelärme der Kinder würde sie ungeduldig machen, und die häuslichen Geschäfte würden ihnen Ueberdruß erregen; das Landleben würde ihnen unausstehlich sein; der reife Verstand und die Hochachtung eines nicht sehr entgegenkommenden Gatten würden ihnen keine Entschädigung für seine Kälte und sein vorgerücktes Alter dünken, ja, gerade seine Gegenwart und seine Anhänglichkeit würde ihnen zur Last sein. Entweder sie würden Mittel finden, ihn von sich fern zu halten, um mehr nach ihrem Gefallen zu leben, oder sie würden sich selbst von ihm entfernen, und die Freuden, die ihr Stand mit sich bringt, verachten; sie würden auswärts gefährlichere Freuden suchen und sich in ihrem eigenen Haute nicht eher behaglich füllen, als bis sie ihm fremd geworden wären. Es ist eine gesunde Seele nöthig, um die Reize eines zurückgezogenen Lebens zu schmecken: nur bei guten Naturen findet man, daß sie sich im Schooße ihrer Familie gefallen und sich auf den Kreis derselben gern beschränken. Wenn es ein glückliches Leben in der Welt giebt, so ist es ohne Zweifel dasjenige, welches sie so zubringen. Die Werkzeuge des Glückes sind aber nichts für Den, der sie nicht zu gebrauchen versteht, und man fühlt nur dann, worin das wahre Glück besteht, wenn man fähig ist, es zu genießen.

      Wenn ich so recht eigentlich sagen sollte, wie man es in diesem Hause anfängt, um glücklich zu sein, so würde ich, wie ich glaube, gut geantwortet haben, wenn ich sagte: man versteht zu leben; nicht in dem Sinne, welchen man in Frankreich diesem Worte giebt, nämlich, daß man im Umgange mit Andern gewisse von der Mode festgestellte Manieren einhalte, sondern ich meine ein menschliches Leben, das Leben, für welches der Mensch geschaffen ist, das Leben, von welchem Sie zu sprechen pflegen, von welchem Sie mir ein Beispiel geben, welches über sich selbst hinaus Stich hält, und welches man am Todestage nicht für verloren achtet.

      Julie hat einen Vater, der sich um das Wohlergehen seiner Familie kümmert; sie hat Kinder, für deren Erhaltung anständig gesorgt werden muß. Dies ist von Natur die vornehmste Sorge des geselligen Menschen, und es ist auch die erste, der sie und ihr Gemahl sich mit vereinten Kräften gewidmet haben. Beim Beginne ihrer Haushaltung haben sie den Zustand ihres Vermögens untersucht; sie haben nicht sowohl darauf gesehen, ob dasselbe ihrem Stande, als vielmehr, ob es ihren Bedürfnissen angemessen sei, und in der Ueberzeugung, daß jede achtbare Familie sich mit dem ihrigen begnügen müsse, haben sie auch von ihren Kindern nicht im voraus so schlecht gedacht, zu fürchten, daß dieselben das Erbgut, welches sie ihnen zu hinterlassen haben, einst unzureichend finden würden. Sie haben also ihren Fleiß mehr darauf gerichtet, ihre Güter zu verbessern, als sie zu vermehren; sie haben ihr Geld mehr sicher als vortheilhaft anzulegen gesucht; anstatt neue Ländereien anzukaufen, haben sie den Werth derer, welche sie besaßen, erhöht und haben nicht daran gedacht, ihrem Erbe einen anderen Schatz hinzuzufügen, als das gute Beispiel ihres Verhaltens.

      Es ist wahr, daß ein Besitz, der nicht vermehrt wird, der Gefahr unterworfen ist, durch tausend Zufälle vermindert zu werden. Ist aber dies einmal ein Grund, ihn zu vermehren, so würde es eben so gut ein ewiger Vorwand sein, dies in's Unendliche fort zu thun. Man wird endlich den Besitz unter mehreren Kindern theilen müssen. Sollen nun diese müßig bleiben? Ist nicht die Arbeit eines jeden ein Zuwachs zu seinem Antheil, und muß nicht sein Fleiß mit zu dem geschlagen werden, was es empfängt? Die unersättliche Habgier schleicht sich unter der Maske der Klugheit ein, und führt zum Laster, während man sich vorspiegelt, nur auf Sicherheit bedacht zu sein. Es ist eine eitle Einbildung, sagt Herr v. Wolmar, menschlichen Dingen eine Dauerbarkeit geben zu wollen, welche nicht in ihrer Natur liegt; die Vernunft gerade fordert, daß wir Vieles dem Zufall überlassen, und wenn von ihm wider unsern Willen unser Leben und Vermögen abhängen, welche Thorheit, sich unaufhörlich wirkliche Qual zu bereiten, um noch ungewissen Uebeln und Gefahren, die dennoch unvermeidlich sind, zuvorzukommen! Er hat nur die einzige Vorsicht in dieser Hinsicht gebraucht, ein Jahr von seinem Kapital zu leben, um mit den unmittelbaren Einkünften dieses Jahres einen Vorsprung zu gewinnen, dergestalt, daß seine Einnahme der Ausgabe immer um ein Jahr voraus ist. Er hat lieber seine Fonds um einiges verringern, als immer hinter seinen Renten zurückbleiben wollen. Der Vortheil, daß er auf diese Weise nicht gezwungen ist, bei dem geringsten unvorhergesehenen Unfall zu verderblichen Auskunftsmitteln zu greifen, hat ihm jene Vorwegnahme vom Kapitale schon reichlich wieder eingebracht. Ordnung und Regelmäßigkeit dienen ihm so statt barer Ersparniß, und er bereichert sich durch das, was er ausgegeben hat.

      Die Herrschaft dieses Hauses erfreut sich, nach den gewöhnlichen Vorstellungen von Reichthum, nur eines mittelmäßigen Vermögens; im Grunde aber kenne ich Niemanden, der wohlhabender wäre, als sie. Unbedingten Reichthum giebt es nicht. Dieses Wort drückt nur das Verhältniß aus, in welchem das, was der Reiche bestreiten kann, das Maß seiner Bedürfnisse übersteigt. Mancher ist reich bei einem Morgen Landes; Mancher bettelarm mitten unter Haufen Goldes. Unordnung und Launen haben keine Gränzen, und machen mehr Leute arm, als die wirklichen Bedürfnisse. Hier ist das Verhältniß auf eine Grundlage gestellt, welche es unwandelbar macht, nämlich auf die Uebereinstimmung der beiden Gatten. Der Mann hat das Geschäft übernommen, den Eingang der Renten zu bewirken, die Frau leitet die Verwendung derselben, und in der Harmonie, welche zwischen ihnen herrscht, liegt die Quelle ihres Reichthums.

      Was mich anfangs in diesem Hause am meisten überrascht hat, war der

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