Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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ein ganz braver Mensch zu diesem Loose heruntergebracht werden kann; und wie kann ich wissen, ob nicht vielleicht gerade der Unbekannte, der eben im Namen Gottes meinen Beistand fordert und um ein armseliges Stückchen Brod bettelt, ein solcher braver Mensch ist, der im nächsten Augenblick vor Elend umkommen und durch meine Weigerung in Verzweiflung gerathen würde? Das Almosen, das ich an der Thür geben lasse, ist unbedeutend; einen halben Kreuzer und ein Stück Brod versagt man keinem; die, welche sichtlich Krüppel sind, erhalten das Doppelte. Wenn ihnen auf ihrem Umgange in jedem wohlhabenden Hause so viel zu Theil wird, so reicht das hin, um sie für den Marsch zu erhalten, und mehr ist man dem fremden Bettler, der des Weges kommt, nicht schuldig. Sei es für sie immerhin keine wahre Hülfe, es ist wenigstens ein Beweis, daß man an ihren Leiden Theil nimmt, eine Milderung der Härte, die im Nein liegen würde, eine Art Guten-Tag, den man ihnen bietet. Ein halber Kreuzer und ein Stück Brod kosten nicht viel mehr, und sind doch eine bessere Antwort als ein: Gotthelf! gleich als ob die Gaben Gottes nicht in der Hand der Menschen lägen, und als ob es auf Erden andere Kornböden gäbe, als die Speicher der Reichen! Kurz, wie man auch über diese Unglücklichen denke, wenn man dem Herumtreiber, der bettelt, Nichts schuldig ist, so ist man wenigstens sich selbst schuldig, der leidenden Menschheit, oder dem eigenen Bilde in ihr die Ehre zu geben und sich nicht das Herz beim Anblick menschlichen Elends zu verhärten.

      So halte ich es in Betreff Derer, welche, so zu sagen, ohne Vorwand und im guten Glauben betteln; was die betrifft, welche sich Arbeiter nennen und über Mangel an Beschäftigung klagen, so findet sich hier immer für sie Handwerkszeug und Arbeit. Auf diese Weise hilft man ihnen, stellt ihren guten Willen auf die Probe, und die Lügner wissen das schon so gut, daß sich keiner mehr bei uns blicken läßt.

      So, Milord, nimmt diese englische Seele aus ihren Tugenden stets die Mittel, alle eitele Spitzfindigkeit zu bekämpfen, mit welcher die Hartherzigen ihre Laster überkleiden. Alle diese kleinen Beschäftigungen und andere ähnliche rechnet sie unter ihre Freuden, und füllt damit einen Theil der Zeit aus, die ihr ihre liebsten Pflichten übrig lassen. Wenn sie Alles gethan hat, was sie Ändern schuldig ist, und endlich an sich selbst denkt, so kann auch das, was sie thut, um sich das Leben angenehm zu machen, wieder ihren Tugenden beigezählt werden. So löblich und ehrenwerth sind bei Allem ihre Beweggründe, und so viel Mäßigung und Vernunft herrscht in Allem, was sie ihren Neigungen bewilligt! Sie will ihrem Manne zu Gefallen leben, dem es lieb ist, sie zufrieden und heiter zu sehen: sie will ihren Kindern den Geschmack an unschuldigen Freuden beibringen, denen Mäßigung, Ordnung und Einfachheit Werth geben, und die das Herz von ungestümen Leidenschaften ablenken. Sie belustigt sich, um ihre Kinder zu belustigen, wie die Taube in ihrem Magen das Korn aufweicht, mit welchem sie ihre Kleinen ernähren will.

      Julie ist an Seele und Leib von gleich zarter Empfänglichkeit. Gleiches Feingefühl ist ihrem Empfindungsvermögen und ihren Organen gegeben. Sie ist von Natur befähigt, jedes Angenehme zu schmecken und zu empfinden, und lange Zeit hat sie die Tugend selbst nur als den süßesten aller Genüsse so innig geliebt. Jetzt, da sie sich im ruhigen Genusse dieser höchsten Befriedigung befindet, versagt sie sich keine der Freuden, welche sich mit jener gatten können; aber in ihrer Art, sie zu genießen, findet sich etwas von der Strenge Derer, die sie sich versagen: die Kunst zu genießen besteht für sie in der des Entbehrens; es ist nicht die Rede von solchen peinlichen und schmerzlichen Entbehrungen, welche die Natur verwunden, und deren unsinniges Opfer der Schöpfer verschmäht, sondern von vorübergehenden mäßigen Entbehrungen, bei denen die Vernunft die Herrschaft behauptet, die, dem Vergnügen zur Münze dienend, sowohl dem Ekel als dem Mißbrauch wehren. Sie behauptet, daß Alles, was der Sinnlichkeit angehört, und nicht zum Leben nothwendig ist, seine Natur ändert, sobald es zur Gewohnheit wird, daß es aufhört ein Vergnügen zu sein, wenn es ein Bedürfniß wird, daß man sich zugleich eine Fessel auflegt und einen Genuß raubt und daß man, wenn man dem Wunsche stets zuvorkommt, nicht die Kunst übt, ihn zu befriedigen, sondern ihn zu nichte zu machen Sie weiß auch dem Unbedeutendsten Werth zu geben, und thut dazu nichts, als daß sie sich dasselbe zwanzigmal versagt, um einmal Genuß davon zu haben. Diese einfache Seele bewahrt sich so ihre ursprüngliche Federkraft; ihr Geschmack nutzt sich nicht ab; sie hat nie nöthig ihn durch starke Reizmittel zu beleben, und ich sehe sie oft mit Entzücken ein kindisches Vergnügen genießen, das für jede Andere unschmackhaft sein würde.

      Ein noch edlerer Zweck, den sie sich dabei vorsetzt, ist die Uebung der Herrschaft über sich selbst; sie sucht ihre Leidenschaften zum Gehorsam zu gewöhnen und alle ihre Begierden unter ihren Willen zu beugen; wiederum ein Mittel, glücklich zu sein, denn ohne Unruhe genießt man nur dessen, was man ohne Leid verlieren kann, und wenn das wahre Glück dem Weisen gehört, so ist das nur deshalb der Fall, weil er von allen Menschen derjenige ist, dem das Glück das Wenigste zu rauben hat.

      Was mir bei ihrer Mäßigkeit am sonderbarsten vorkommt, ist dies, daß sie sich ihr aus denselben Gründen unterwirft, welche den Lüstling zur Unmäßigkeit treiben. Das Leben ist freilich kurz, sagt sie; dies ist ein Grund, es bis zum Ende auszukaufen, und mit Geschick über die vergönnte Zeit so zu verfügen, wie man aus ihr den meisten Nutzen ziehen kann. Wenn uns ein Tag der Sättigung ein Jahr des Genusses raubt, so ist es sehr unphilosophisch, stets so weit zu gehen, als uns dir Begierde treibt, ohne zu bedenken, ob wir nicht mit unsern Kräften eher zu Ende sein werden, als mit unsrer Laufbahn, und ob nicht unser erschöpftes Herz eher sterben wird, als wir. Ich sehe, daß die gemeinen Epikuräer dadurch, daß sie nie eine einzige Gelegenheit einbüßen wollen, alle verlieren, und mitten unter Freuden, von allen angewidert, keine einzige Freude finden können. Sie vergeuden die Zeit, mit der sie hauszuhalten meinen, und richten sich zu Grunde, gleich den Geizigen, weil sie nicht zu rechter Zeit etwas aufzugeben verstehen. Ich befinde mich wohl bei der entgegengesetzten Methode, und ich glaube, daß ich es in diesem Punkte lieber mit zu vieler Strenge als mit zu vieler Nachgiebigkeit halten würde. Es begegnet mir manchmal, daß ich mir eine Vergnügung versage, aus keinem andern Grunde, als weil sie mir zu viel Vergnügen machte; indem ich sie dann wieder aufnehme, genieße ich sie doppelt. Inzwischen übe ich mich, mir die Herrschaft meines Willens über mich selbst zu bewahren, und will lieber für grillenhaft gehalten werden, als mich von meinen Launen beherrschen lassen.

      Hören Sie, wie man es hier mit dem hält, was man Lebensannehmlichkeiten zu nennen pflegt: Julie neigt ein wenig zur Leckerheit, und bei dem Fleiße, den sie auf alle Theile der Wirthschaft verwendet, ist besonders die Küche nicht vernachlässigt. Der Tisch ist immer reichlich besetzt, jedoch ohne unerschwinglichen Aufwand; es ist für den Gaumen gesorgt, jedoch ohne Ueberfeinerung; die Speisen sind die alltäglichen, aber von ausgezeichneter Güte; die Zubereitung ist einfach, aber höchst schmackhaft. Alles, was nur Gegenstand des Luxus ist. Alles, was seinen Werth nur in der Einbildung hat, alle feinen und ausgesuchten Schüsseln, deren Vorzug nur in der Seltenheit besteht, deren Namen man wissen muß, um sie gut zu finden, sind hier gänzlich verbannt, und selbst in der Bereitung und Wahl derjenigen, die man sich verstattet, enthält man sich für alle Tage gewisser Dinge, die man sich aufspart, um manchen Mahlzeiten einen festlichen Anstrich zu geben, der sie angenehmer macht, ohne größere Kosten zu verursachen. Was für Speisen sind es wohl, Ihrer Meinung nach, die man sich so bedächtig aufspart? — Seltenes Wildpret? — Seefisch? — Ausländische Producte? — O, weit bessere Sachen: irgend ein vorzügliches einheimisches Gemüse, irgend ein besonders schmackhaftes Kraut, das in unsern Gärten wächst, irgend ein Fisch aus unserm See auf gewisse Art zubereitet, irgend eine Käseart von unserem Gebirge, irgendein Backwerk à l'Allemande, und vielleicht ein Stück von der eignen Jagd der Leute vom Hause: solcherlei und nichts Anderes ist das Außergewöhnliche, das hier vorkommt, das, womit man den Tisch belädt und ziert, was unsern Appetit an Freudentagen reizt und stillt. Das Tischgeräth ist bescheiden und ländlich, aber blank und sauber; Anmuth und Frohsinn herrschen bei dem Mahle, Heiterkeit und Hunger würzen es. Vergoldete Aufsätze, bei denen man Hungers stirbt, prächtige Krystallvasen mit Blumen vollgestopft, statt Deserts, füllen nie den für Speisen bestimmten Raum aus; man versteht die Kunst nicht, den Magen durch die Augen zu befriedigen, wohl aber die, einer guten Kost noch Reiz hinzuzufügen, tüchtig zu essen, ohne sich zu überladen, fröhlich zu trinken, ohne sich die Vernunft zu rauben, lange zu tafeln, ohne sich zu langweilen, und immer ohne Ekel vom Tische aufzustehen.

      Außer

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