Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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mögen nicht zu ihrem alten Stande zurückkehren, sondern werden lieber Bettler oder Diebe, als wieder Bauern, und wenn unter den Tausenden sich etwa einer finden sollte, der dem bösen Beispiele widersteht, und ehrlich bleibt, glauben Sie, daß dieser, Alles genommen, glücklicher lebt, als er außer dem Bereiche der wilden Leidenschaften in dem friedlichen Dunkel senes ersten Standes gelebt hätte?

      Um seinen Anlagen zu folgen, muß man sie erst kennen. Ist es denn so leicht, jedesmal zu ermitteln, wozu ein Mensch Fähigkeiten besitzt? Und wenn es in dem Alter, in welches die Entscheidung fällt, so viel Schwierigkeiten macht, die Anlagen der Kinder, die man aufs Beste beobachtet hat, richtig zu erkennen, wie soll wohl ein Bauerknabe über die seinigen zur Gewißheit kommen? Nichts ist unsicherer als die Zeichen von Neigung, welche man in der Jugend blicken läßt, bei denen der Nachahmungstrieb oft mehr betheiligt ist, als das wirkliche Talent; sie werden weit öfter von allerlei Zufällen herbeigeführt sein, als von einem entschiedenen Hange, und der Hang selbst ist nicht immer ein Beweis von glücklicher Anlage. Das wahre Talent, das wahre Ge'nie hat eine gewisse Unschuld und Unbefangenheit, und ist weniger unruhig, weniger zappelnd, weniger beflissen sich zu zeigen, als ein scheinbares und falsches Talent, das man für ein wahres hält, während nichts da ist, als eine eitle Begierde zu glänzen, ohne daß dazu die Mittel vorhanden wären; Mancher hört eine Trommel und will General werden, ein Anderer sieht bauen und hält sich schon für einen Architekten. Justin, mein Gärtner, faßte Neigung zum Zeichnen, weil er mich hatte zeichnen sehen: ich schickte ihn nach Lausanne, um es zu lernen; er dünkte sieh schon Maler und ist in der That nichts weiter als ein Gärtner. Die Gelegenheit, der Wunsch vorwärts zu kommen, sind bei der Wahl des Standes entscheidend. Es ist nicht genug, daß man sein Genie fühle, man muß auch den Willen haben, sich ihm hinzugeben. Wird ein Prinz Kutscher werden wollen, weil er geschickt zu fahren versteht? Wird ein Herzog Koch werden, weil er erfinderisch in guten Ragouts ist? Man hat immer nur Talente, wenn sie höher führen; Niemand hat welche, um niederzusteigen; glauben Sie, daß dies so von der Natur geordnet ist? Wenn Jeder wirklich seine Anlage kennte und ihr folgen wollte, wie Viele würden es vermögen? Wie Viele würden die Hindernisse überwinden, die ihnen die Welt mit Unrecht in den Weg legt? Wie Viele würden unwürdige Mitbewerber besiegen? Der, welcher seine Schwäche fühlt, nimmt Schliche und Chikane zu Hülfe, die der Andere, welcher seiner selbst gewisser ist, verachtet. Haben Sie selbst mir nicht tausend Mal gesagt, daß so viele zum Besten der Künste gegründete Anstalten nur zu deren Schaden dienen? Indem man unbehutsam immer mehr Leute herbeizieht, vergrößert man die Gefahr, Fehlgriffe zu thun: das wahre Verdienst wird von der Masse erstickt, und die Belohnung, welche dem Geschicktesten gebührt, fällt dem Schlauesten zu. Wenn es eine Gesellschaft gäbe, in welcher die Beschäftigungen und die Stellungen genau nach den Talent und den persönlichen Verdiensten abgemessen wären, so könnte da Jeder nach dem Platze streben, den er auszufüllen am geschicktesten wäre aber man muß sich nach einer sichereren Richtschnur umsehen und auf die Würdigung des Talentes verzichten wenn das niedrigste von allen das einzige ist, mit welchem man sein Glück machen kann.

      Ich muß weiter gehen, fuhr sie fort; ich kann mir nicht recht denken, daß die vielen so verschiedenartigen Talente der Einzelnen durchaus alle entwickelt werden müssen; denn sollte das eine Nothwendigkeit sein, so müßte auch die Unzahl Derer, welche sie besitzen, genau den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen. Wenn man die Feldarbeit nur Denen überließe, welche ein hervorstechendes Talent für den Ackerbau haben, oder dieser Arbeit alle Diejenigen entzöge, welche mehr Geschick zu einer andern zeigen, so würden nicht Hände genug übrig bleiben, um das Land zu bestellen und uns mit Bord zu versorgen. Ich möchte glauben, daß es mit den Talenten der Menschen wie mit den Kräften der Arzneimittel beschaffen ist, welche uns die Natur zur Heilung unsrer Krankheiten gegeben hat, obgleich im Grunde ihre Absicht ist, daß wir ihrer nicht bedürfen. Es giebt Pflanzen, welche uns vergiften, Thiere, welche uns auffressen, Talente, welche uns verderblich sind. Wenn man Alles immer nach seinen wesentlichen Eigenschaften gebrauchen sollte, so würde man den Menschen vielleicht weniger Gutes als Böses zufügen. Gute und einfache Völker haben nicht so viele Talente nöthig; sie erhalten sich besser durch ihre bloße Einfachheit, als andere durch all ihren Kunstfleiß; aber je mehr sie ausarten, desto mehr entwickeln sich ihre Talente, gleich als ob dieselben zum Ersatze für die verlorenen Tugenden dienen und auch die Schlechten selbst zwingen sollten, wider Willen nützlich zu wirken.

      Ein anderer Punkt, über welchen ich mich nicht recht mit ihr vereinigen konnte, war die Beschenkung der Bettler. Da hier eine Landstraße durchgeht, so finden sich viele ein, und keinem wird ein Almosen versagt. Ich stellte ihr vor, daß dies nicht nur ein weggeworfenes Geld wäre, dessen man den wahren Armen beraubte, sondern daß diese Gewohnheit auch dazu beitrüge, das Bettlerpack und die Landstreicher zu vermehren, welche an einem so elenden Handwerk Gefallen finden, und indem sie der Gesellschaft zur Last fallen, diese auch noch der Arbeit berauben, die sie ihr leisten könnten.

      Ich sehe wohl, sagte sie zu mir, daß Sie sich in den großen Städten die Grundsätze angeeignet haben, mit denen gefällige Wortdreher hartherzigen Reichen zu schmeicheln pflegen; Sie bedienen sich sogar der stehenden Ausdrücke dafür. Glauben Sie denn die Armen ihrer Menschenwürde zu berauben, indem Sie ihnen den verächtlichen Namen Bettlerpack anhängen? Erlaubt Ihnen das Ihr mitleidiges Herz? Thun Sie es nicht, mein Freund, ein solches Wort gehört nicht in Ihren Mund; es ist entehrender für den Hartherzigen, der sich seiner bedient, als für den Unglücklichen, der damit belegt wird. Ich will nicht entscheiden, ob die Verächter des Almosengebens Recht oder Unrecht haben; ich weiß aber so viel, daß mein Mann, der an Einsicht euren Philosophen nichts nachgiebt und mir öfters erzählt hat, was sie in dieser Sache vorzubringen pflegen, um in dem Herzen das natürliche Mitgefühl zu ersticken und es zur Unempfindlichkeit zu gewöhnen, diese Phrasen, wie mir immer schien, verachtet und mein Verfahren nicht mißbilligt. Was er darüber sagt, ist einfach; nämlich, man duldet und unterhält mit großen Kosten eine Masse von unnützen Gewerben, von denen mehrere nur dazu dienen, die Sitten zu verschlechtern. Will man das Bettlerhandwerk nun auch als ein Gewerbe betrachten, so hat man von ihm nichts der Art zu fürchten, findet vielmehr durch dasselbe Gelegenheit, das Gefühl der Theilnahme und der Menschlichkeit, welches uns alle zu Brüdern machen sollte, zu nähren. Wenn man es unter dem Gesichtspunkte des Talents betrachten will, warum sollte ich die Beredsamkeit des Bettlers, der mich rührt, und mich bewegt ihm zu helfen, nicht belohnen, wie ich einen Schauspieler bezahle, der mir ein paar unfruchtbare Thränen ablockt? Wenn dieser mir Liebe zu den guten Handlungen Anderer einflößt, so bringt mich jener dazu, selbst welche zu verrichten; was man im Schauspiel empfindet, ist augenblicklich vergessen, sobald man hinaus ist; aber an den Unglücklichen, dem man beigestanden hat, denkt man mit immer neuem Vergnügen zurück. Wenn die große Anzahl der Bettler dem Staate lästig ist, von wie vielen andern Gewerben, die man aufmuntert und duldet, ließe sich nicht dasselbe sagen! Es ist die Sache der Verwaltung, dafür zu sorgen, daß es keine Bettler gebe; muß man aber, um ihnen ihr Handwerk zu verleiden [Bettler ernähren, sagen sie, heißt Diebsschulen gründen. Gerade umgekehrt, es heißt machen, daß sie nicht zu Dieben werden. Ich gebe zu, daß man die Armen nicht zur Bettelei aufmuntern muß, wenn sie aber einmal dazu gebracht sind, muß man sie ernähren, damit sie nicht gezwungen seien, zu stehlen. Nichts führt so sehr zur Veränderung des Gewerbes, als wenn man nicht von dem seinigen leben kann; nun aber gewinnen diejenigen, welche dieses müßige Handwerk einmal gekostet haben, einen solchen Abscheu vor der Arbeit, daß sie lieber stehlen und sich hlängen lassen, als wieder von ihren Kräften Gebrauch machen. Ein Pfennig ist bald gefordert und abgeschlagen; aber mit zwanzig Pfennigen könnte ein Armer sein Abendbrod bestreiten, den zwanzig abschlägliche Antworten ungeduldig machen können. Wer würde eine so kleine Gabe je versagen, wenn er bedächte, daß er damit zwei Menschen retten kann, den einen vom Verbrechen, den andern vom Tode? Ich habe irgendwo gelesen, daß die Bettler ein Ungeziefer sind, das sich an die Reichen hängt. Es ist ganz natürlich, daß sich die Kinder an die Väter hängen; aber diese vermögenden und harten Väter wollen sie nicht erkennen, und überlassen den Armen die Sorge sie zu ernähren.], die Bürger unmenschlich und unnatürlich machen? Was mich betrifft, fuhr Julie fort, so weiß ich nicht, was die Armen für den Staat sind, aber ich weiß, daß sie alle meine Brüder sind, und daß ich nicht ohne eine Härte, die nicht zu entschuldigen wäre, ihnen die kleine Hülfe versagen kann, um die

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