Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida Pfeiffer
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Nachdem ich über eine Stunde Zeit hatte, Alles zu betrachten und zu beobachten, entstand plötzlich ein Lärm im Vorhofe, und eine Bewegung unter den Frauen. Ich schloß daraus, daß es Zeit sey, in den Tempel zugehen, und begab mich zu meiner Gesellschaft. Ich fand im Vorhofe ein großes Gedränge, denn der Sultan wurde erwartet. Nun sollte mir gleich am ersten Tage meiner Ankunft dieses Glück zu Theil werden. Ohne große Bemühung ließ man mich als Fremde in die ersten Reihen — eine Gutmüthigkeit und Artigkeit der Türken, die manchem Franken zu empfehlen wäre. Und doppelt ist diese Eigenschaft an diesem Volke zu rühmen, da es für mein Geschlecht keine Achtung hat, und uns armen Wesen seiner Meinung nach, sogar die Seele abspricht.
Kaum stand ich einige Augenblicke, als der Sultan zu Pferde, von seinem Hofstaate umgeben, erschien. Nur er ritt in den Vorhof, die übrigen stiegen außer demselben ab und betraten ihn zu Fuß. Das Pferd, worauf er saß, war von einer ausgezeichneten Schönheit, wie man mir sagte, ein ächter Araber. Es war mit einer, reich in Gold gestickten Decke geziert; die Steigbügel hatten die Form von Schuhen, waren von Gold und von feinster getriebener Arbeit.
Der Sultan ist ein schmächtiges aufgeschossenes Herrchen von neunzehn Jahren, blaß, matt und abgelebt. Seine Züge sind hübsch, seine Augen schön. Wenn er sich nicht zu frühzeitig allen Genüssen der Sinne hingegeben hätte, so wäre ohne Zweifel ein stattlicher Mann aus ihm geworden. Ein langer, dunkelblauer Tuchkragen, vorn mit einer Brillantschließe zusammengehalten, umgab seinen Körper. Ein hoher Feß mit einem Reiher und einer Brillantagraffe schmückten das Haupt. Die Begrüßung des Volkes und der Dank des Sultans ist gerade wie bei uns, nur erhebt das Volk manchmal ein leises Freudengeschrei.
Nachdem der Sultan den Tempel betreten hatte, stürmte Alles hinein. Die Frauen sitzen auf Gallerien, die aber so dicht vergittert sind, daß man sie gar nicht sieht. Die Männer und die Franken, Letztere ohne Unterschied des Geschlechtes, sitzen und stehen unten im Tempel. Der Tempel oder besser gesagt Saal ist nicht groß, und die Zuseher sind von den Priestern durch ein niederes Geländer getrennt.
Um 2 Uhr erschienen die Derwische in langen, bis an die Ferse reichenden Weiberröcken mit unzähligen Falten. Auf dem Kopfe tragen sie hohe zugespitzte Hüte von weißem Filz. Sie breiteten Teppiche und Thierfelle aus, und begannen ihre Ceremonien mit einer Unzahl von Verbeugungen und Küssen des Bodens. Endlich erscholl die Musik, die aber so unter aller Kritik war, daß ich noch in meinem Leben nichts Erbärmlicheres gehört habe. Eine Kindertrommel, eine Hirtenpfeife und eine jämmerliche Geige waren die Instrumente. Dazu singen mehrere Stimmen an zu krächzen und zu schnarren, Alles ohne Takt und Melodie.
Zwölf Derwische begannen nun ihren Tanz, wenn man ein Drehen im Kreise mit ausgestreckten Armen, wobei ihr faltenreiches Kleid ein schönes Rad bildet, so nennen darf. Sehr geschickt wissen sie einander auszuweichen, ohne sich zu berühren, da doch der Raum sehr beschränkt ist. Von Verzuckungen oder andern Zuständen, wie ich in mehreren Beschreibungen las, habe ich nichts bemerkt.
Die Ceremonie endete um 4 Uhr, der Sultan stieg nun wieder zu Pferde, und begab sich mit seinem Gefolge und den Verschnittenen hinweg. Im Laufe dieses Tages sah ich ihn nochmals, als er von dem Besuche der medizinischen Fakultät zurückkehrte. Es ist überhaupt sehr leicht den Sultan zu sehen, nämlich oft an Dienstagen, aber gewiß an jedem Freitage, dem Feiertage der Türken.
Imposanter ist der Zug des jungen Herrschers, wenn er sich zu Schiffe begibt, um eine Moschee zu besuchen, welches gewöhnlich an jedem Freitage, als dem türkischen Feiertage, geschieht. Zwei Stunden vor seinem Auszuge erfährt man erst, in welche Moschee er Willens ist, sich zu begeben. Mittags zwölf Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Zu diesem Zwecke sind zwei wunderschöne Barken in Bereitschaft; sie sind weiß angestrichen, und mit Schnitzwerk und Vergloldung überladen. Auf jedem dieser Fahrzeuge befindet sich ein schöner Baldachin von schwerem, dunkelrothem Sammt mit Goldborden und Tressen reich geziert. Der Boden ist mit den geschmackvollsten Teppichen ausgelegt. Die Ruderer sind kräftige, schöne Jünglinge, deren Anzug in einem Hemde, Hosen und Jacke von weißem Seidenzeuge besteht; ein Feß deckt den Kopf. — An jeder Seite des Schiffes sind vierzehn Ruderer, unter deren angestrengter Arbeit das Schiff über Wog und Welle gleich einem Delphin dahinschießt. Gar schön macht sich die ganz gleichförmige Bewegung der Matrosen. Auf einen Schlag fallen alle Ruder in das Wasser, zugleich erheben sie selbe wieder, und fallen auf ihre Sitze zurück.
Eine Menge eleganter Barken und Kaiks folgen dem Zuge. Die Flaggen der türkischen Flotte und Schiffe sind aufgezogen, und mit ein und zwanzig Kanonenschüssen wird der Sultan begrüßt. Er verweilt nicht lange in der Moschee, und besucht dann gewöhnlich noch eine Kaserne oder sonst eine öffentliche Anstalt. Fährt der Monarch zu Wasser hin, so kehrt er zu Wasser zurück, und so umgekehrt.
Die beliebtesten Spaziergänge in Pera sind der große und kleine Campo, richtiger gesagt: Friedhöfe in Cypressenhainen. Dieß ist eine eigenthümliche Gewohnheit der Türken, daß alle ihre Feste, Spaziergänge, Unterhaltungen und Wohnungen in Mitte der Grabesstätten sind. Nicht leicht wird man dieß bei einer andern Nation finden. Überall, in Konstantinopel, Pera, Galata u.s.w., kann man kaum einige Schritte gehen, ohne auf einzelne oder mehrere Gräber zu stoßen, die mit Cypressen umgeben sind. Hier wandelt man beständig zwischen Todten und Lebendigen, eine Sache, an welche man sich in den ersten vier und zwanzig Stunden gewöhnt. Ich ging in der Nacht mit derselben Ruhe und Gleichgiltigkeit an den Gräbern vorüber, wie an den Häusern. Von der Ferne verleihen diese zahlreichen Cypressenhaine den Städten einen eigenthümlichen, feenartigen Zauber, den man mit nichts vergleichen kann. Man sieht nur überall Bäume hervorragen, die Monumente sind dem Blicke verborgen.
Weniger schnell konnte ich mich an die vielen herrenlosen Hunde gewöhnen, die in allen Ecken, auf Plätzen und Straßen den Fremden entgegentreten. Sie sind von einer auffallend häßlichen Race, dem Schakal ganz ähnlich. Bei Tage machen sie zwar wenig Ungelegenheit; sie sind zufrieden, wenn man sie ruhig in der Sonne liegen oder ihre Beute verzehren läßt. Bei Nacht geht es freilich nicht so gelassen her. Sie bellen und lärmen beständig, sowohl unter sich, als gegen den Menschen, packen aber Niemanden an, besondes wenn man einen Diener bei sich hat, der mit einem Stocke und einer Laterne versehen ist. Unter sich haben sie oft Händel und Raufereien, wobei es manchmal sogar Todte gibt. Sie leiden durchaus nicht, daß ein fremder Hund ihr Gebiet, nämlich die Gasse oder den Platz betrete, den sie inne haben. Über einen solchen Fremdling fallen alle her, und verfolgen ihn, bis er den Platz räumt, oder todt liegen bleibt. Darum sieht man höchst selten, daß Jemand einen Haushund mit sich nimmt, man müßte das Thier beständig tragen, und dessen ohngeachtet würden diese ungebetenen Gäste nachlaufen und immerwährend bellen und heulen. — Die Hundskrankheit, die Wuth, kennt und fürchtet man bei diesen herumirrenden Thieren nicht, obwohl Niemand für ihre Nahrung sorgt. Sie nähren sich von den eckelhaftesten Excrementen, die sie im Überflusse auf allen Straßen finden, da jeder Unrath aus den Häusern hinausgeworfen und hinausgeschüttet wird. Vor einigen Jahren wollte man sie aus Konstantinopel verbannen, und gab sie auf zwei unbewohnte Inseln im Meere von Marmora, und zwar die Männchen auf die eine, die Weibchen auf die andere. Allein der Unrath nahm nun in der Stadt dermaßen überhand, daß man sie gerne wieder zurückberief.
Die Stadt ist nicht beleuchtet. Jedermann, der Nachts ausgeht, muß eine Laterne mit sich tragen. Wird er von der herumstreifenden Wache ohne diese ertappt, so muß er ohne Gnade und Barmherzigkeit auf's nächste Wachhaus wandern, und die Nacht dort zubringen. Die Stadttheile werden nach Sonnenuntergang geschlossen.
So sehr ich von der himmlischen Lage Konstantinopels entzückt war, in eben dem Grade mißfiel mir das Innere. Der Schmutz und Gestank, den man überall trifft, die engen, häßlichen Gassen, das ewige Bergauf- und Bergabsteigen auf den schlechtesten Wegen verleidet nur zu schnell den Aufenthalt in dieser Stadt. Und alles dieses wird noch durch die beständige Angst vor Feuersgefahr