Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein

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Geheimnis Fussball - Christoph Bausenwein

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konnte ein unrundes Rollverhalten verursachen und war zudem beim Kopfball-Kontakt nicht selten Ursache von Verletzungen.

      Noch bei den ersten beiden Weltmeisterschaften in Uruguay und Italien verwendete man einen aus zwölf bzw. achtzehn Streifen gefertigten „Knubbel-Ball“. Kopfball-Tore waren dementsprechend ein recht außergewöhnliches Ereignis. Als bei der WM 1938 in Paris erstmals ein rundum glatter Ball mit Ventil verwendet wurde, hatte dies einen unmittelbaren Einfluss auf die Spielweise. Waren beim vorherigen Turnier nur zwei von 70 Treffern per Kopf erzielt worden, so waren es nun 17 von 84.

      Die Abschaffung der harten und hinderlichen Verschnürung ist den Argentiniern Antonio Tossolini, Juan Valbonesi und Luis Polo zu verdanken, die im Jahr 1931 eine aufblasbare Gummiblase mit Ventil erfanden. Ob sie wirklich die Ersten waren, ist allerdings nicht ganz sicher. Denn mit einer ähnlichen Erfindung warteten etwa zur selben Zeit auch die Sportartikel-Fabrikanten Gutkind & Einstein aus Nürnberg auf, die bereits seit Anfang der 1920er Jahre Spitzenbälle produzierten. Der von der jüdischen Firma entwickelte und ausschließlich über den Verband deutscher Sportgeschäfte vertriebene „selbstschließende Ball ohne Verschnürung“ konnte jedoch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten keine WM-Geschichte mehr schreiben.

      Nach der Erfindung des Ventils war im Prinzip nur noch das Leder ein Problem. Denn die in der Regel aus 12 oder 18 Lederstreifen zusammengenähten Bälle konnte man soviel einfetten, wie man wollte – wenn es regnete, dann sogen sie sich unweigerlich mit Wasser voll und wurden im Verlauf des Spiels immer schwerer. Aus diesem Grund legte man fest, dass das Standardgewicht des Balles im trockenen Zustand, also zu Spielbeginn, zu ermitteln ist. Seit 1937 ist es auf mindestens 410 und höchstens 450 Gramm festgelegt. In den 1940er und 1950er Jahren waren in England vor allem zwei Modelle im Gebrauch: Im Winter benutzte man den teueren „Tugite“, da an diesem der Matsch nicht so festklebte, in der trockeneren Zeit ab März begnügte man sich mit dem billigeren Thomlinson „T“. Dieser nicht aus Streifen, sondern aus T-förmigen Teilen bestehende Ball war bei moderaten Verhältnissen ganz passabel, im Sommer allerdings, wenn der Boden knochenhart war, sprang er wie verrückt umher und war kaum zu kontrollieren. Um diesen Effekt zu verhindern, brachte man in den „T“ eine weitere Gummiblase ein und tauchte ihn über Nacht in Wasser. Dann war er nicht mehr leicht wie ein Luftballon und rollte wie eine Kugel. Pech hatte man aber, wenn dann Regen fiel. Der Ball dehnte sich aus und konnte, so heißt es, im Lauf eines Spieles durch die aufgesogene Nässe sein Gewicht verdoppeln.

      Im Jahr 1963, als die Bälle immer noch schwer, unberechenbar und beim Kopfball schmerzhaft waren, begann die Firma Adidas mit der Produktion von Matchbällen. Bereits zur WM 1966 lieferte der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach 300 Bälle in den Farben orange, gelb und weiß. Offizielle WM-Bälle gibt es jedoch erst seit 1970, als die FIFA mit Adidas einen Vermarktungsvertrag schloss. Mit dem in Mexiko verwendeten „Telstar“ wurde die heutige Gestalt des Balles allgemeinen üblich. Der Ball war jetzt schwarz-weiß und wurde nicht mehr aus 18 Streifen, sondern aus 20 weißen Sechseck- und zwölf schwarzen Fünfeckteilen zusammengesetzt. Bei der WM 1986 wurde mit dem „Azteca“ erstmals ein komplett synthetischer Ball benutzt. Mit dem völligen Verzicht auf Leder wurde nicht nur die Widerstandsfähigkeit und Formbeständigkeit erhöht, sondern endlich auch das Nässeproblem gelöst. Problematisch blieben die zunächst aus Materialien wie Polyurethan und Neopren gefertigten Bälle aber dennoch. Vor allem von den Torhütern wurden sie wegen ihres unberechenbaren Flugverhaltens kritisiert. Die früher üblichen Lederbälle standen lange in der Luft, und nur deswegen bekam ein Torhüter die Zeit, sie in aller Ruhe abzugreifen. Die modernen Kunststoffobjekte hingegen zischten nun mit einem enormen Tempo heran, und darüber hinaus flogen sie nicht gerade, sondern „zappelten“ unberechenbar. Aber auch die Feldspieler stellten sie, vor allem in Kombination mit ungewohnten Rasenmischungen, vor ungewohnte Probleme. Während der WM 1994 meinte der Fernsehkommentator Heribert Faßbender, die hohe Quote technischer Fehler auf die für die Spieler ungewohnte Kombination von amerikanischem Rasen und neuem „Questra“ zurückführen zu können: „Ich glaube, dass der Ball ein anderes Abrollverhalten hat.“

      Den perfekten Ball also scheint es nicht zu geben; er kann ja auch nie ganz rund sein, wie der Physiker weiß, höchstens beinahe. Moderne Kunststoffbälle werden in speziellen Testcentern stundenlang gerubbelt, in Wasser getaucht, zusammengestaucht, von Robotern getreten und an die Wand geschleudert. Und dennoch gibt es immer wieder Unzufriedene. Bei der WM 2002 schien der als revolutionäre Neuentwicklung vorgestellte „Fevernova“ vielen Spielern keineswegs perfekt. „Zu leicht“, „zu schnell“, „zu flatterhaft“ lautete das Urteil. Den WM-Ball 2006, den „Teamgeist“, stellte Adidas mit der Bemerkung vor, er sei so rund wie nie zuvor. Das Design ist völlig neu. Der Teamgeist besteht nicht mehr aus 32 Teilen, sondern nur noch aus 14 nahtlos miteinander verbundenen „Panels“, von denen sechs wie „Propeller“ (oder „Katzenzungen“) und acht wie „Turbinen“ geformt sind. Natürlich soll der Ball besser sein als alle zuvor: weniger Luft verlieren, weniger Wasser aufnehmen, er soll sich weniger verformen, ebenmäßiger sein und präzisere Schüsse erlauben. Auch dieser Ball hat dennoch seine Kritiker gefunden. Sicher ist nur eines: Er wird mit einem Druck von 0,6 bis 1,1 Atmosphären aufgepumpt und daher sehr flug- und sprungfähig sein.

      Der Siegeszug des Fußballspiels begann mit der serienmäßigen Herstellung kugelförmiger Bälle. Zwar kann mit nahezu jedem Gegenstand kicken, doch es ist kaum vorstellbar, dass ein mit Würfeln oder Kartoffeln ausgetragenes Spiel im Stadion die Massen begeistern könnte. So lautet denn auch die größte aller Fußballweisheiten, die der Trainer-Legende Sepp Herberger zugeschrieben wird: „Der Ball ist rund.“ Rugby- und Footballspieler pflegen sich heftig zu wehren, wenn man ihr Spielgerät als „Ei“ bezeichnet und bestehen auf dem Namen „Ball“. Herbergers Weisheit können sie jedoch nicht für sich in Anspruch nehmen, und so muss man bei der Ergründung des Fußball-Geheimnisses bei der Kugelförmigkeit des Spielgeräts beginnen.

      Nach jeder Seite hin geschlossen, fasziniert die Kugel durch ihre vollkommene geometrische Ordnung. Als ein Gegenstand, der kein „Oben“ und kein „Unten“, keine Vorder- und keine Rückseite, keinen Anfang und kein Ende hat, ist sie greifbares Sinnbild für die Dreidimensionalität des Raumes. Die Kugel fasziniert darüber hinaus durch ihre in sich selbst ruhende Spannung. Weil sie ihren Schwerpunkt in der Mitte hat, ist sie immer kurz davor, sich in Bewegung zu setzen. Schon durch den kleinsten Stoß beginnt die Kugel zu rollen und entwickelt ein Eigenleben. In sich stabil, aber zugleich labil, weil sie nie liegen bleiben will und den Vorzug einer Bewegungsrichtung oder Lage nicht kennt, wird sie zu einem Wunder an Beweglichkeit. Kein anderer Gegenstand ist so geeignet, zu einem natürlichen Spielpartner zu werden. Einmal in Bewegung versetzt, fordert die überraschende Eigenwilligkeit der Kugel sofort wieder eine Reaktion heraus, und so hat, ehe man sich versieht, ein Spiel begonnen, ein Hin und Her von Anstoß und Bewegung.

      Jedes Spiel mit einem luftgefüllten Ball profitiert von diesen so wunderbaren wie wundersamen Eigenschaften der Kugel. Erst der flexible runde Ball kann jedoch – als eine Kugel, der gleichsam „auf die Sprünge geholfen“ wurde – nicht nur rollen, sondern er kann fliegen, als ob er von unsichtbaren Flügeln getragen würde, er kann große Sätze machen wie ein Känguru und so kleine Hüpfer, wie wenn ein Frosch drin säße. Erst der elastische Ball wird zu jenem tückischen Objekt, dessen Eigenbewegung nahezu unberechenbar wird. Weil der Ball sich so leicht – fast wie von selbst – bewegt, ist es nicht nur der Spieler, der mit dem Ball spielt, sondern der Ball selbst wird zu einem Gegenüber, das sich so verhält, als ob es einen eigenen Willen hätte. Deswegen ist der sinnlich erfahrbare, bewegliche, eigenwillige Ball das vollkommenste Spielgerät und für jedes Kind ein erster Freund.

      All das gilt nicht für den beim Rugby und beim American Football üblichen elliptischen „Ball“. Zwar hat auch er bestimmte Qualitäten – so kann er wegen seiner „Handsamkeit“ leicht gegriffen und getragen werden und hält wegen seiner aerodynamischen Form beim Pass des Quarterbacks auch über weite Entfernungen eine stabile Flugbahn –, doch alle Qualitäten der Rundheit, vor allem die freie Beweglichkeit, gehen ihm ab. Auch andere, runde Bälle haben bestimmte Eigenschaften, die den spezifischen Spielzwecken

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