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2.2.1 Diversität als Unterschiede und Gemeinsamkeiten (deskriptiv-klassifizierende Bedeutungsdimension)
Aus einer individualisierungstheorethischen Perspektive ist unsere heutige Gesellschaft von diversen Lebensstilen und Lebensformen geprägt. So gibt es vielfältige Familienformen, Milieu- und Religionszugehörigkeiten, Werte und Normen. Aber auch durch die Globalisierung und Migration entstehen gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, die die Pluralisierung von Lebensformen beeinflussen. Hierdurch wird die Gesellschaft stets heterogener (Walgenbach 2014: 36).
In der deskriptiven Bedeutungsdimension werden diese Unterschiede innerhalb der Vielfalt ins Blickfeld genommen. Wichtige Differenzlinien stellen dabei Geschlecht, Ethnizität oder Alter dar. Die Frage, ob es sich bei den aufgezählten Unterschieden um essenziell vorhandene Persönlichkeitsmerkmale oder eher um Differenzen, die aufgrund gesellschaftlicher Veränderungsprozesse wie z. B. Pluralisierung und Globalisierung entstanden sind, handelt, wird je nach Autor_in recht unterschiedlich beantwortet. Viele Diversitätsansätze nehmen jedoch Bezug auf diese sozialen Gruppenzugehörigkeiten und -identitäten und konzentrieren sich daher auf diese unterschiedlichen Differenzlinien bei der Beobachtung, Klassifizierung und Diagnostizierung von Vielfalt (Walgenbach 2014).
Praxisbeispiel für Diversität als Unterschiede
Innerhalb der Gemeinwesenarbeit gibt es als Begegnungspunkt ein Café, das einmal pro Woche für alle im Stadtteil Lebenden geöffnet hat. Um dieses Angebot bezüglich der Diversität analysieren und evaluieren zu können, nutzen die Sozialarbeiter_innen die Dimensionen Alter, Geschlecht und kulturelle Herkunft.
→ Damit liegt der Fokus auf den Unterschieden in der Gruppe – auch wenn es innerhalb dieser Gruppe Gemeinsamkeiten geben kann.
»‹Diversität‹, verstanden als soziale und kulturelle Vielfalt, begegnet uns als sozialer Tatbestand. Es scheint offensichtlich, dass Menschen in unterschiedliche Identitätsgruppen, kulturelle und soziale Kategorien unterteilt werden können, Kategorien, deren Unterschiede zu mehr oder weniger antagonistischen Spannungen und Spaltungen führen. Die kategoriale Vielfalt scheint in den Augen vieler besonders hoch in spät- oder postmodernen wie postkolonialen Gesellschaften, die von den neuen Weisen der Globalisierung und Mobilität geprägt sind« (Fuchs 2007: 17).
Wichtig ist jedoch in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Vielfalt nicht einfach als vorgegeben und gesetzt behandelt werden darf, sondern als das Ergebnis von interpretativen Handlungen, d. h. von Differenzierungen oder Differenzhandlungen angesehen werden muss. Hinzu kommt, dass aus dem Vorhandensein von Diversität per se keine sozialen Konsequenzen folgen. Entscheidend ist vielmehr, wie wir alle mit Diversität umgehen, wie wir Differenzierungen vornehmen und wie wir uns auf Unterschiede beziehen.
Eine Fokussierung auf die Unterschiede kann laut Walgenbach in manchen Bereichen »in eine produktive Wechselbeziehung mit dem Abbau von sozialer Ungleichheit treten«, bspw. dann, wenn eine Gruppe durch eine bewusste Jahrgangsheterogenität zum Lernen motiviert wird. Jedoch können aus Unterschieden auch soziale Ungleichheiten entstehen, wenn bspw. »Kinder von alleinerziehenden Müttern einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind« (Miller/Toppe 2009 zitiert nach Walgenbach 2014: 36).
Thomas stellt daher parallel zu einer Leseart, die sich allein auf die Unterschiede fokussiert, fest: »Diversity refers to any mixture of items characterized by differences and similarities« (Thomas Jr. 1995: 246, zitiert nach Vedder 2003: 18, zitiert nach Heidsiek 2009: 42). Dementsprechend hat sich, flankierend zur Fokussierung allein auf die Unterschiede, eine Lesart von Diversität entwickelt, die trotz bestehender Unterschiedlichkeit auch Gemeinsamkeiten zwischen Menschen hervorhebt.
Praxisbeispiele für Diversität als Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Ein Integrationsmanager möchte die gesellschaftliche Integration vor Ort unterstützen, indem er ein Sportangebot für junge Erwachsene ins Leben ruft.
→ Der Fokus liegt trotz Unterschiedlichkeiten (kulturelle Herkunft, Milieuzugehörigkeit …) auf der Gemeinsamkeit: dem Interesse am Sport.
Eine Schulsozialarbeiterin möchte durch ein erlebnispädagogisches Angebot die Klassengemeinschaft stärken.
→ Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben ihren Platz: Schüler_innen im selben Alter besuchen gemeinsam eine Klasse. Gleichzeitig unterscheiden sich die einzelnen Schüler_innen (z. B. in Geschlecht, Herkunft, Milieuzugehörigkeit, Leistung, Neigungen, Motivation etc.).
Indem Gemeinsamkeiten in das Verständnis von Diversität integriert werden, soll ein besserer Schutz vor Stereotypisierung erreicht werden. Zusätzliche wird das Ziel verfolgt, Individuen nicht auf ausgrenzende Merkmale zu reduzieren, sondern verbindende Merkmale stärker zu berücksichtigen (ebd.). Dieser Leseart entsprechend kann schlussgefolgert werden, »dass es bei gleicher gruppenbezogener Merkmalskonstellation unterschiedliche individuelle Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte auch innerhalb einer ethnischen Gruppe geben kann« (Heidsiek 2009: 42f., zitiert nach Thomas 1995: 246, zitiert nach Vedder 2003: 18). Denn erst durch die Betrachtung von Diversität als bestehend aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten wird eine Identifizierung von Gemeinsamkeiten in vermeintlich heterogenen Personengruppen möglich, ohne die Unterschiede aus dem Blick zu verlieren (ebd.). Dies ist essenziell, denn »even if organizational participants are homogeneous with respect to race and gender, diversity can still exist in significant ways along other dimensions« (Thomas, R. R. 1992: 307, zitiert nach Liebrich 2008: 22).
Nur durch den Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede wird es in der Sozialen Arbeit möglich, Verschiedenheit nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Möglichkeit des Gestaltens zu sehen. Daher gehört die Kompetenz im Umgang mit Verschiedenheit in ihren Ausprägungen, ihrer Ungleichheit, Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Kernkompetenz in den Mittelpunkt einer zukunftsorientierten Praxis der Sozialen Arbeit (Aschenbrenner-Wellmann 2009: 214). Heterogenität im Sinne von Unterschieden und Gemeinsamkeiten wird dabei systematisch wahrgenommen und bearbeitet. Die vorhandene Diversität kann dabei sowohl als im Individuum verortet (Persönlichkeitsmerkmale) als auch als Effekt gesellschaftlicher Entwicklungen (religiöse Pluralität, Mehrsprachigkeit etc.) betrachtet werden.
Lernfrage
Welche Vor- und Nachteile hat die Einnahme einer deskriptiv-klassifizierenden Bedeutungsdimension im Vergleich zu einer unstrukturierten Betrachtungsweise von Vielfalt als Bereicherung?
2.2.2 Diversität im Anerkennungs- und Gerechtigkeitsdiskurs (normativ-regulierende Bedeutungsdimension)
Da die Gegenwart stark von einem ›Sein-Sollen‹ geprägt ist, wird eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Normativität im Umfeld der Sozialen Arbeit immer wichtiger. Hierbei geht es um die Suche nach Gründen, Wegen und Legitimationsverfahren für ein richtiges, gutes, ein wirksames und legitimes Handeln und Leben. Gerade in unübersichtlichen Zeiten mit Digitalisierung, Globalisierung und Individualisierung suchen Menschen erneut nach verbindlichen Normen und einem festen Grund, auf dem diese stehen; denn durch jene Normen treten Orientierungspunkte auf, wodurch Aussagen, was richtig oder falsch ist, zugelassen werden können (Meseth/Casale/Tervooren/Zirfas 2019: 3f.). Somit wird ein Sollen und ein Wollen formuliert, das jedoch oft mit einer offenen und vielfältigen Gesellschaft kollidiert, denn nicht jedes