Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann
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»Im Unterschied hierzu hat sich die Diversity-Diskussion in den USA, Kanada und Großbritannien im Zusammenhang mit politischen Forderungen von Minderheiten entwickelt. Gegenstand sozialwissenschaftlicher Diversity-Studien […] sind dementsprechend die Lebensstile und die Identitätsprojekte unterschiedlicher Minderheitengruppen, wobei die Verschränkungen und Überlagerungen von identitätsrelevanten Kategorien mit sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung und politischen Machtverhältnissen in den Blick gerückt werden« (Scherr 2011: 81).
Politisch-rechtliche Antidiskriminierungskonzepte, Strategien international operierender Konzerne sowie soziale Bewegungen und wissenschaftliche Positionen, die sich kritisch mit Problemlagen von Minderheiten auseinandersetzen, scheinen auf den ersten Blick übereinstimmenden Argumenten zu folgen.
»Unter Bedingungen transnationaler Netzwerke der Kapitalakkumulation (Castells 2001) bzw. eines sich globalisierenden High-Tech-Kapitalismus (Haug 2003) verändern sich die Bedingungen des Einbezugs von Arbeitskräften und Konsumenten in den wirtschaftlichen Prozess in einer Weise, die es, jedenfalls für diejenigen, die sich als politische und ökonomische Akteure oder als Profiteure des politisch-ökonomischen Wandels begreifen können, als dysfunktional erscheinen lässt, an tradierten geschlechtsbezogenen, rassialisierenden und ethnisierenden Stereotypen festzuhalten« (Scherr 2011: 82).
Allerdings ist unseres Erachtens die Übereinstimmung von Wissenschaft, Politik und Ökonomie im Diversitätsdiskurs begrenzt. Dies betrifft sowohl die relevanten Dimensionen von Vielfalt, die Berücksichtigung finden sollen, als auch die Frage nach geeigneten Umsetzungsstrategien oder nach dem Einfluss von Macht und sozialer Ungleichheit. »Auch wenn Diversity-Konzepte sich den Anschein geben, jegliche Art von Vielfalt wertzuschätzen, ist zu fragen, ob sie de facto nicht doch nur bestimmte Differenzkategorien zu schätzenswerten konstruieren, diese als quasi natürlich gegeben voraussetzen, d. h. essentialisieren und ideologisieren und andere mögliche Differenzkategorien wie Arme, Alte, Ungebildete, Kranke, körperlich und geistig Behinderte ignorieren« (Nestvogel 2008: 23).
Über Vielfalt können wir uns fachübergreifend nur verständigen, wenn wir
• uns auf einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich, wie bspw. das gesellschaftliche Zusammenleben, konzentrieren, um für diese zielgerichtete Aussage machen zu können;
• explizite Vorstellungen darüber entwickelt haben, was ein vielfältiges Zusammenleben ausmacht;
• die unterschiedlichen Themen, die in Diskursen und Debatten oft miteinander vermischt werden, auf ihren spezifischen Kontext hin prüfen, um soziale, kulturelle, religiöse (u. a.) Diversität differenziert betrachten zu können;
• die verschiedenen Aspekte des Alltagslebens im größeren Zusammenhang und über einen längeren Zeitraum hin betrachten, weil nur dann beobachtet wird, dass Vielfalt oft eine Halbwertzeit besitzt, nach der sie entweder zur Normalität wird oder in etwas Neuem aufgegangen ist;
• davon ausgehen, dass wir uns in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess befinden, in dem die traditionellen Gesellschaften, die Moderne mit ihren Institutionen, großen Theorien und geregelten Normalvorstellungen in Frage gestellt werden können (Bukow 2011: 229).
»Machtsensible Diversity-Ansätze sind in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft gegenwärtig sowohl institutionell als auch personell stärker vertreten als affirmative Diversity Management Ansätze« (Walgenbach 2014: 103). Vertreter_innen dieser Konzepte verweisen auf theoretische Bezüge, vor allem aus den machtkritischen Diversitätsdiskursen der klassischen Einwanderungsländer wie USA und Kanada sowie in der Theorietradition der Migrationspädagogik, der Geschlechterdiskurse und der Integrations- und Inklusionspädagogik im deutschsprachigen Raum (Leiprecht 2008; Hormel/Scherr 2004). Machtkritische Ansätze betrachten soziale Identitäten und Zugehörigkeiten als Produkte von Herrschaftsverhältnissen, die zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Islamfeindlichkeit führt: Die Relevanz dieser Perspektive betont A. Scherr (2008: 61 nach Walgenbach 2014: 104):
»Sie besteht erstens in der Aufforderung, Machtbeziehungen und Ungleichheiten in ihrer Verschränkung mit diskriminierenden Klassifikationen differenziert in den Blick zu nehmen und offensiv zu thematisieren. Dies erfordert zweitens eine kritische Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlich einflussreichen Diversitäts-Diskurs, der diese Verschränkungen systematisch ausblendet und auf eine Überwindung tradierter Stereotype und Vorurteile zielt, der aber den sozioökonomischen Zusammenhang systematisch ausklammert.«
Wesentlich für die Argumentationsstränge in machtsensiblen Diversitätsdiskursen ist außerdem der Verweis auf die Konstruktion von Zugehörigkeiten und ihre Dekonstruktionsmöglichkeiten jenseits biologischer Festschreibungen.
Insofern sollten gerade die machtsensiblen Diversitätsbetrachtungen handlungsleitend für die Soziale Arbeit als Disziplin und Profession werden. Im folgenden Kapitel werden daher für den sozialen Bereich wesentliche Bedeutungsdimensionen der Diversitätsdiskurse in einer analytisch-reflexiven Weise aufgegriffen, um den Leser_innen ›Handwerkszeuge‹ für professionell-reflektierte Interventionen im Kontext Diversität und Soziale Arbeit zu ermöglichen.
2.2 Bedeutungsdimensionen
»Ludwig Wittgenstein lehrt uns, dass sich die Bedeutung eines Begriffs am besten aus der Art seiner Verwendung folgern lässt. Der Diversitätsbegriff ist zurzeit allgegenwärtig. [Wir treffen] auf ihn in öffentlichen Debatten ebenso wie in grundverschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie Kulturanthropologie, Mikroökonomie und Biogenetik. […] Diversität ist keine vorsoziale Kategorie und daher stets mit zugeschriebenen Bedeutungen beladen« (Faist 2013: 91). In einer häufig verbreiteten Lesart des Begriffs wird Diversität als von den Beteiligten konstruiert betrachtet und dabei meist auch in einem positiven Blickwinkel im Sinne von Effektivität, Kreativität und der Wertschätzung von Vielfalt gesehen. Es sind allerdings auch andere Zuschreibungen möglich. So kann bspw. eine hohe ethnische Diversität wie in den USA als eine der Begründungslinien für den dort wenig ausgeprägten Wohlfahrtsstaat gesehen werden. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Solidarität gehen nicht immer einher mit heterogener Zusammensetzung der Bevölkerung.
Wie bereits unter Kapitel 1.1 beschrieben, sind Diversitätsverständnisse (Vielfalt, Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit) auch innerhalb der Sozialen Arbeit je nach wissenschaftlichem Standort, Praxisverortung, Organisations- und Umgebungskultur sehr unterschiedlich ausgeprägt (