Sozialpädagogische Familienhilfe. Hans-Ulrich Krause
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• Wie solidarisch begleiten wir die Familie?
• Wie kann der Kontakt zur Familie aufgebaut und gestaltet werden?
• Wie kann der Widerstand des Vaters verstanden und wie kann diesem begegnet werden?
• Verlieren wir den Sohn aus dem Blick, weil der Widerstand des Vaters uns so beschäftigt?
• Beteiligen wir alle Mitglieder der Familie am Hilfeprozess?
• Akzeptieren wir den Eigensinn der Familie, der Eltern, der Kinder?
• Nehmen wir ihre Lebenswelt angemessen zur Kenntnis?
• Begreifen wir ihre Kultur?
• Sind wir im Dialog, sind wir im Austausch miteinander?
Es wird bis zum bevorstehenden Ende der Supervision diskutiert. Langsam wird es still im Raum. Die Positionen wurden ausgetauscht, es wurde laut gestritten, Köpfe wurden geschüttelt, um Verständnis wurde gerungen. Manche Fragen wurden beantwortet, andere bleiben offen. Es gab einen Perspektivwechsler, der die Rolle des Vaters einnahm und damit zum Verständnis von dessen Äußerungen und Handlungen beitrug. Dabei wurden berührende Sätze formuliert und neue Blickwinkel eröffnet, neue Überlegungen wurden möglich. Die Familienhelfer*innen konnten ihre Arbeit innerhalb der Familie kritisch betrachten. Für die nächsten vier Wochen wurde ein Handlungsplan erarbeitet, den sie in der folgenden Fallsupervision überprüfen wollen. Die Familienhelfer*innen überlegen, die Familie dazu einzuladen.
In der Auseinandersetzung wurden Grundfragen der Haltung, des persönlichen Anliegens sowie der Motivation wiederholt neu aufgegriffen und kritisch diskutiert. Obwohl dieser Prozess länger andauern kann, muss die Arbeit mit der Familie – vielleicht schon im direkten Anschluss an die Supervision – fortgesetzt werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Familienhelfer*innen sich als handlungsfähig einschätzen, um einen konstruktiven Auseinandersetzungsprozess mit dem Vater und den weiteren Familienmitgliedern zu gestalten und dabei das Kind in der Familie immer im Fokus ihres Handelns haben.
Zur Bedeutung historischer Personen
Grundeinstellungen entwickeln sich in sozialen, kulturellen und organisationellen Rahmenbedingungen und sind geprägt von individuellen Lernerfahrungen, Dispositionen und biografischen Erfahrungen (vgl. Thiersch 2014b; vgl. auch Schwer/Solzbacher 2014). Sie müssen vor dem Hintergrund der jeweiligen Kultur und Zeit verstanden werden.
Haltungen haben in der Sozialen Arbeit schon immer eine maßgebliche Rolle gespielt und das professionelle Handeln geprägt. Das Berufsbild, die Erwartungen an die in diesem Feld tätigen Menschen und das Selbstverständnis waren und sind von gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Sie haben sich im Zeitverlauf verändert.
Was haben historisch gewonnene Wissensbestände und damit verbundene Personen damit zu tun, wie Fachkräfte heute denken und handeln?
Vor allem in den vergangenen hundert Jahren wurden soziale und pädagogische Themen neu gedacht und prägen den Diskurs um Haltungen bis heute. Die damit verbundenen Akteur*innen haben in einer weitsichtigen Form Sichtweisen verändert und waren prägend für die Entwicklung einer humanen Hilfepraxis. Exemplarisch soll an dieser Stelle an Wegbereiter*innen erinnert werden, die vor allem damit begannen, Kinder als eigenständige Persönlichkeiten ganzheitlich zu betrachten und sie als vollwertige Menschen sowie als Träger*innen von Rechten zu sehen. Diese Erkenntnisse sind für die Familienhilfe von herausragender Bedeutung, da hier gerade in den letzten Jahren der Blick auf Kinder verstärkt wurde. Etliche der Wegbereiter*innen werden heute der Reformpädagogik zugeordnet, obwohl sie ursprünglich überwiegend aus anderen Professionen – häufig der Medizin – kamen. Vor dem Hintergrund der Begrenztheit des Wissensbestandes ihrer eigenen Profession haben sie sich mit Fragen der Erziehung und Bildung beschäftigt. Dies war eng verbunden mit gesellschaftlichen Frage- und Problemstellungen der jeweiligen Zeit. Die entwickelten Sichtweisen haben das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern entscheidend verändert. Erziehungsverhältnisse sind inzwischen partnerschaftlich geworden (lesenswert dazu: Juul 2007/2016), Kinder werden sensibel wahrgenommen, ihre Äußerungen werden ernst genommen, sie werden im Erziehungsgeschehen beteiligt. Die Gesellschaft beschäftigt sich, auch vor dem Hintergrund der internationalen Bewegungen, mit den Bedingungen des Aufwachsens von Kindern, deren Förderung, Bildung, Beteiligung und deren Schutz (vgl. UN 1989). Diese Entwicklungen prägen das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern – in den Familien und im professionellen Kontext der Familienhilfe. Die Reformbemühungen der vergangenen hundert Jahre waren ebenso ausschlaggebend für eine neue Perspektive auf Familien in Problemlagen sowie bei Entwicklungs- und Erziehungsfragen. Eltern und Kindern werden nunmehr eine subjektive Sicht auf ihre Lebenssituation, Kompetenzen zur Gestaltung und Veränderung der Lebenslage sowie ein Rechtsstatus als Bürger*innen zugesprochen. Dies war nicht immer so. Es wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass Kinder, Jugendliche und Familien in Problem- und Notsituation grundsätzlich nicht autonom handlungsfähig sind, deshalb auf die Entscheidungen anderer (der Helfer*innen) angewiesen sind und ihnen so auch der Rechtsstatus abgesprochen wurde.
Als entscheidende Personen, die bis heute das fachliche Handeln prägen, können beispielhaft genannt werden: Friedrich Fröbel, Janusz Korczak, Anton Semjonowitsch Makarenko, Maria Montessori13. Von jeder dieser historisch bedeutenden Persönlichkeiten wirken Elemente auf heutige Konzepte, Auffassungen, Arbeitsansätze und Methoden:
• Fröbel, der Kinder als aktive Menschen begriff, die von alleine wachsen und die Welt ergründen und nur Unterstützung dabei brauchen (Kindergarten),
• Korczak, der den Mut hatte, Kinder zu Bestimmer*innen ihrer selbst werden zu lassen und wohl als erster ein Kinderparlament mit entscheidenden Rechten in seinem Waisenhaus entstehen ließ,
• Makarenko, der auf die Kraft und den Lebenswillen der Jugendlichen setzte und ihnen so ein Aufwachsen in Würde möglich machte,
• Montessori, die Kinder als Erfinder*innen und Ergründer*innen ihrer Umgebung verstand, die im Handeln lernen und dabei ihre Persönlichkeit entwickeln.
Ab den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts prägten weitere Persönlichkeiten die Profession. Exemplarisch genannt seien: Emmi Pikler, René Spitz, John Dewey, Bruno Bettelheim. Die Erkenntnisse von zwei dieser bedeutsamen Personen werden genauer vorgestellt, da sie durch ihre jeweiligen reflektierten Beobachtungen zu Schlüssen gelangten, die die heutige sozialpädagogische Landschaft gerade im Hinblick auf den Umgang mit jüngeren Kindern in- und außerhalb von Familien maßgeblich prägen: René Spitz und Emmi Pikler. Von diesen Personen kann gelernt werden, Phänomene und Auffälligkeiten zu ergründen, um deren Bedeutung zu verstehen und daraus folgend etwas Neues für das professionelle Handeln zu erfinden. Ihre Haltung war durch eine Offenheit und eine ganzheitliche Sicht auf das Kind geprägt, die sich vor allem darin entfaltete, ihren eigenen professionellen Denk- und Handlungsrahmen zu erweitern.
René Spitz forschte und lehrte ab den 1940er Jahren in den USA. Dabei wurde er auf ein Phänomen aufmerksam, das insbesondere verlassene Kinder in Einrichtungen betraf. In Waisenhäusern betreute kleine Kinder und Säuglinge, so beobachtete er, zeigen oft starke Auffälligkeiten. Denn obwohl die Bedingungen in diesen Einrichtungen im materiellen Sinne eigentlich angemessen erschienen, wurden Kinder