Sozialpädagogische Familienhilfe. Hans-Ulrich Krause
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Familien im Kontext der Sozialpädagogischen Familienhilfe zeichnen sich zunächst dadurch aus, dass in einem mehrgenerationalen Haushalt minderjährige Kinder leben. Familien sind des Weiteren durch Beziehungen zwischen den Generationen geprägt, die nicht ortsgebunden sind und bspw. bei getrenntlebenden Eltern in mehreren Haushalten realisiert werden. So kann definiert werden: »Familien sind potenziell auf Dauer gestellte Lebensgemeinschaften, die durch mehrgenerationale Beziehungen geprägt sind und bei denen die wechselseitige informelle Sorge um das körperliche, emotionale und geistige Wohl im Zentrum steht. Familien tragen zur Erziehung und Sozialisation der Kinder wesentlich bei« (Uhlendorff/Euteneuer/Sabla 2013, S. 43).
In der Sozialen Arbeit wird Familie als ein System verstanden (vgl. Helming/Schattner/Blüml 1999/2004, S. 202–207; Müller 2010). Dies bedeutet, dass u. a. Probleme und Störungen nicht einzelnen Personen der Familie zugeschrieben werden, sondern im Gesamtkontext der Dynamiken, Rollen, Strukturen und Kommunikation der Familie betrachtet werden und fachlich methodisch entsprechend gehandelt wird.
Die Formen und Konstellationen von Familien sind vielfältig (vgl. Müller/Bräutigam/Lentz-Becker 2019; Marx 2011). In der Literatur werden neben der zweigeschlechtlichen Ehe mit Kindern, die in der Vergangenheit zwar zurückgegangen ist, aber quantitativ nach wie vor in Deutschland überwiegt (vgl. BMFSFJ 2017, S. 12), u. a. genannt: nicht verheiratete zweigeschlechtliche Paare mit eigenen Kindern, gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern, Paare mit Kindern aus vorherigen Ehen bzw. Partnerschaften (Patchworkfamilien), Alleinerziehendenfamilien, Trennungsfamilien. Familien sind heutzutage durch Pluralität, Diversität und Heterogenität gekennzeichnet. Die Lebensformen sind sehr unterschiedlich.
In den letzten Jahrzehnten hatten Familien in Deutschland u. a. die Aufgabe, die durch den Rückbau von staatlich garantierten Sicherheiten neu auftretenden gesellschaftlichen Unsicherheiten zu kompensieren. Dies ist den Familien überwiegend gelungen, wie u. a. die Shell-Jugendstudien, aber auch die Familienberichte der Bundesregierung (vgl. Shell Deutschland Holding 2015, 2019; BT-Drs. 17/9000 2012) belegen. Obwohl der überwiegende Teil der Familien unabhängig von der sozioökonomischen Lebenslage die komplexen Anforderungen des Alltags durchaus bewältigt, wurden in den letzten Jahren Risiken deutlich, die neue Formen sozialer Ungleichheit, Benachteiligung sowie Prekarisierung hervorbringen (vgl. Sennett 2002/2010). Es fand eine Verschiebung sozialer Risiken in die Privatheit von Familie statt, bezeichnet auch als Re-Familialisierung (vgl. Richter 2013, S. 15). Diese Risiken sind, unabhängig von der subjektiven Bewältigung und der einzelfallbezogenen Hilfeleistung, zentrale gesellschaftliche Themen, für die eine Bearbeitung durch die Politik aussteht. Zu diesen gehören bspw. neue Armutslagen, von denen insbesondere Familien mit Kindern betroffen sind (vgl. bspw. Zander 2008/2010; Aust 2018; Klundt 2019). Diese führen zu einem erhöhten Risiko für Eltern und Kinder in der Alltags- und Lebensbewältigung. Alleinerziehendenfamilien sind von Armut besonders betroffen (vgl. Aust 2018). So kann der hohe Anteil der Alleinerziehenden in der Sozialpädagogischen Familienhilfe auch dahingehend verstanden werden, dass die sozioökonomische Benachteiligung (nicht das individuelle Versagen!) durch die Hilfe zur Erziehung kompensiert wird. Immerhin beziehen 72,5 % der Alleinerziehenden in der Sozialpädagogischen Familienhilfe staatliche Transferleistungen und stellen damit den höchsten Anteil in den ambulanten Hilfen zur Erziehung dar (vgl. Fendrich/Pothmann/Tabel 2018, S. 21).
»Signalisiert wird somit über diese Daten, dass der Familienstatus ›Alleinerziehend‹ offenkundig Systeme öffentlicher Unterstützung in besonderer Weise benötigt. So ist zwar sicher richtig, dass die Lebensform ›Alleinerziehend‹ nicht durchweg als problematisch anzusehen ist und auch differenzierter betrachtet werden sollte …, gleichwohl sind die zu bewältigenden Herausforderungen und Zuschreibungen vielfältig – Arbeitslosigkeit, Armut, Bildungsferne, fehlende soziale Unterstützung und Erschwernisse des Alltags mit Kindern« (ebd., S. 26).
Dieses Beispiel der Alleinerziehendenfamilien deutet auf einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten individueller und sozialer Problemlagen vor dem Hintergrund einer benachteiligten sozioökonomischen Lebenslage hin.
»Die Befunde zu den Lebenslagen zeigen, dass die Hilfen zur Erziehung ganz offenkundig notwendige Unterstützungsleistungen für Familien in belastenden Lebenskonstellationen sind. Der Ausfall eines oder beider Elternteile, die Trennung und Scheidung, aber auch die Folgen von fehlenden materiellen Ressourcen sowie damit verbundene Ausgrenzungsprozesse stellen Lebenslagen mit einem Unterstützungsbedarf dar. Hier können Leistungen der Hilfen zur Erziehung die familiäre Erziehung unterstützen, ergänzen oder müssen nicht selten diese auch ersetzen« (ebd., S. 26).
Hinzu kommt, dass die Erwartungen der Gesellschaft an ein gesundes Aufwachsen sowie die Bildungsanforderungen von Kindern gestiegen sind (vgl. Richter 2016). Dies ist eine wichtige Errungenschaft des letzten Jahrhunderts. Kinder und deren Fähigkeiten, Bedürfnisse sowie Rechte werden in den Blick genommen und es wird eine hohe Sensibilität gegenüber den Autonomie- und Schutzanforderungen von Kindern entwickelt. Erziehungsverhältnisse sind partnerschaftlicher geworden. Kinder und Jugendliche werden an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt. Dies bedarf einer entsprechenden Kompetenz der Eltern im Umgang mit ihren Kindern und auch einer Reflexionsfähigkeit. Trotz staatlicher Investitionen in die entsprechende Unterstützung von Familien bspw. durch Frühe Hilfen, den Ausbau von Kindertageseinrichtungen, Familienbildung und -förderung sowie die Etablierung von Ganztagsschulen können Eltern bei der Bewältigung der komplexen Anforderungen an Erziehung, Entwicklungsförderung, Bildung, Schutz, Arbeitsleben und Alltagsaufgaben an ihre Grenze geraten. Flankiert werden diese Prozesse durch gesellschaftliche Erwartungen bspw. an einen höheren Erwerbstätigenanteil von Frauen, der u. a. durch den Fachkräftemangel bedingt ist. Dies kann zu einem Druck auf Frauen führen, erwerbstätig werden zu müssen; dies vor allem dann, wenn SGB II Bezüge beantragt werden. Besonders bei Alleinerziehenden kann die Doppelaufgabe aus Erwerbstätigkeit und Erziehungsaufgaben zu starken Belastungen führen. So wird bspw. von »erschöpften Familien« (Lutz 2012) gesprochen, die unabhängig vom sozialen Status in Erscheinung treten. Im Grunde kann jede Familie im Verlauf des Aufwachsens ihrer Kinder in krisenhafte Situationen oder existenzielle Krisen geraten (vgl. Ullenboom 2016). Deutlich wird allerdings, dass die Anforderungen an Familien in sozioökonomisch benachteiligten Lebenslagen ungleich höher sind als an so genannte Mittelschichtfamilien; dies aufgrund des sozialen Kontextes (vgl. Pelton 1991, 2016). Denn es besteht ein großer Unterschied darin, ob eine Familie in einer vergleichsweise preiswerten Wohnung unter beengten Wohnverhältnissen in einer Nachbarschaft lebt, in der per se kindeswohlgefährdende Einflüsse wie bspw. ein Drogenmilieu vorherrschen, oder ob Stadtteile familienfreundlich gestaltet sind und der öffentliche Raum von Kindern genutzt werden kann. In ersterem Fall ist es für Eltern weitaus schwerer, den Schutz ihrer Kinder zu gewährleisten, da sie aufgrund beengter Wohnverhältnisse auf den öffentlichen Raum angewiesen sind, der jedoch kindeswohlgefährdend sein kann.
»Sozioökonomisch belastete Lebenslagen und damit einhergehende ökonomische Ungleichheiten mit der Folge von sozialen Ausgrenzungsprozessen wirken sich zudem auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, aber auch das Erziehungsverhalten von Eltern aus. Wenn auch noch nicht abschließend erforscht, so sind hier doch die Folgen von prekären Lebenslagen auf der einen sowie Bildungserfolg, Arbeitslosigkeit, Gesundheit,