Sozialpädagogische Familienhilfe. Hans-Ulrich Krause
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Wir laden Sie zu einer kurzen biografischen (Selbst-)Reflexion im Kontext professioneller Haltung ein. Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit und beantworten Sie für sich selbst die folgenden zwei Fragen:
• Gab es eine Person (ein Vorbild), die für Sie einen wesentlichen Einfluss hatte, sich für einen sozialarbeiterischen Beruf zu entscheiden?
• Können Sie sich an die Situation erinnern, als sie die Entscheidung trafen: Ich werde Sozialarbeiter*in? Was passierte in dieser Situation?
Menschen, die heute als Sozialarbeiter*innen Familien begleiten, sind von maßgeblichen Erkenntnissen und prägenden Expert*innen der Vergangenheit wie auch der Gegenwart beeinflusst (vgl. Krause 2011). So gesehen kann jede Fachkraft sich selbst anschauen und überlegen, wie sich die eigene professionelle pädagogische Haltung zusammensetzt und was jede*n Professionelle*n inhaltlich handlungsleitend beeinflusst. Dabei ist natürlich klar, dass immer auch andere Zusammenhänge ihre Wirkungen entfalten. Da ist die eigene Familie, da sind Verwandte, die vielleicht gar als Sozialarbeiter*innen tätig waren oder sind. Und natürlich auch andere Menschen, die einen maßgeblichen Eindruck hinterließen. Und schließlich gibt es neben anderen möglichen haltungsprägenden Personen oder Ereignissen noch die Bedeutung von Film- oder Romanfiguren. Auch die erzählten Geschichten und die dabei handelnden Personen können uns als Fachkräfte grundsätzlich und immer wieder aufs Neue beeindrucken und auf unsere professionelle Haltung Einfluss haben. Sie können diese Aufzählung gern ergänzen. Wir möchten Sie an dieser Stelle zu einer zweiten kurzen Selbstreflexion einladen.
Übung 2
In der Reflexion um die eigene professionelle Haltung und deren weitere Prägung bieten sich mehrere Ebenen an, die die Auseinandersetzungen beeinflussen. Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit und überlegen Sie, welche der aufgezeigten Aspekte gerade aktuell für Sie von Bedeutung sind:
• der gesellschaftliche Kontext, aber auch die diesbezüglichen Erwartungen;
• öffentliche Diskussionen über soziale Probleme, Norm und Abweichungen, Skandale etc.;
• eigene biografische Erlebnisse, Erfahrungen und Entscheidungen;
• die Herkunftsfamilie und deren Geschichte;
• Begegnungen mit Menschen, die als bedeutsam wahrgenommen wurden;
• historische Figuren;
• aktuelle Fachdiskurse;
• Auseinandersetzungen bspw. im Kolleg*innenteam, mit Vertreter*innen anderer Professionen, mit Familien aus dem Hilfekontext;
• die Bedeutung von Institution bzw. Organisation mit ihrer jeweiligen ›Kultur‹;
• die Bedeutung der eigenen Lebenssituation.
Wenn Sie die Möglichkeit zum Austausch haben, erzählen Sie einer anderen Person von Ihren Gedanken. Arbeiten Sie heraus, welcher Aspekt derzeit besonders relevant für Sie ist.
Ein Blick in die Praxis
Eine demokratische Grundhaltung und ein grundsätzlich solidarisches Interesse an den Kindern, Jugendlichen und Familien sind unabdingbar für einen gelingenden Hilfeprozess. Diese bilden gewissermaßen den gesellschaftlichen – und damit auch den professionellen – Rahmen der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Das Rechtssystem der BRD regelt vom Grundgesetz (GG) über das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) bis hin zu den Sozialgesetzbüchern (SGB) die Grundsätze des Sozialstaatsprinzips und einer hilfe- und familienorientierten Kinder- und Jugendhilfe. Im gesellschaftlichen Diskurs darüber zeigen sich jedoch häufig unterschiedliche Interessenlagen und Widersprüche. So werden an Familienhelfer*innen bspw. nachfolgende Erwartungen herangetragen:
• Der Einsatz der sozialstaatlichen Mittel soll die erwünschten Ergebnisse bringen.
• Risiken des Aufwachsens von Kindern sollen minimiert werden.
• Ein genauer Blick soll auf den Einsatz der finanziellen Mittel gerichtet werden.
• Die Familien sollen stärker durch die Familienhelfer*innen kontrolliert werden.
• Die Wirkung des fachlichen Handelns der Familienhelfer*innen soll gegenüber Verwaltung und Politik nachgewiesen werden.
Aber auch die Fachkräfte selbst haben Interesse an der Fortentwicklung und Begründung der eigenen Arbeit. Dies ergibt sich häufig schon durch die täglichen Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Die Klärung des eigenen professionellen Handelns und damit verbunden die Auseinandersetzungen über Haltungen, Anliegen und Motivation erfolgt in der Familienhilfe häufig auf den konkreten Fall bezogen. Denn jede Familie, professionell verstanden und gerahmt als ein ›Fall‹ (
Fallbeispiel
Ein Team von acht Kolleg*innen sitzt zusammen in einer Fallsupervision12. Der vorgestellte Fall zeigt sich als sehr komplex. Die Anwesenden wirken angestrengt denkend. Die Fachkräfte, die den Fall vorstellen (Falleinbringer*innen), erhoffen sich neue Anregungen von ihren Kolleg*innen. Der Hilfeverlauf ist aus ihrer Sicht periodisch geprägt von schwierigen Phasen und Entwicklungen, kurzen Pausen, dann der nächsten große Herausforderung für die Familie und die Helfer*innen. Erste Hypothesen, um diese Struktur zu verstehen, werden in der Runde formuliert. Es werden Stühle hörbar verrückt, es wird laut ausgeatmet. Hypothesen werden wieder verworfen. Der Supervisor provoziert, lockt, motiviert mit Perspektivwechseln. Das Team kommt in Bewegung. Die Aussagen und Einschätzungen der einzelnen Kolleg*innen sind sehr unterschiedlich. Es besteht die Offenheit in der Runde, diese auch formulieren zu können und nebeneinander im Raum zu haben. Letztlich bewegt alle die zentrale Frage: Warum ist der Kontakt zwischen Familie und Helfer*innen nicht kontinuierlich vorhanden?
Es fällt auf, dass die Eltern nach Bewältigung einer Krise den Kontakt zu den Helfer*innen unterbrechen, obwohl die nächste, zumindest schwierig erscheinende Situation schon ›an die Tür klopft‹. Die Verabredungen mit dem Sohn verlaufen weiterhin kontinuierlich. Der Supervisor fragt nach der Qualität der Begegnung in den Beratungsgesprächen mit den Eltern und nach der Intensität des Kontakts während der Hausbesuche. Er fragt nach der Gestaltung der Arbeitsbeziehung zum Sohn der Familie. Die Falleinbringer*innen erzählen von der Schwierigkeit, mit dem hohen Widerstand des Vaters und seiner aggressiven Art in der Kommunikation umzugehen. Das ist ein Ansatzpunkt für eine detaillierte Betrachtung. Eine Helferin beschreibt den Ablauf eines Beratungsgesprächs während eines Hausbesuchs genauer, bei dem es zu einem lautstarken Streit zwischen Vater und Sohn kam und sie sich handlungsunfähig fühlte. Mit Hilfe eines Rollenspiels wird versucht, ihr professionelles Handeln in dieser Situation kritisch zu durchleuchten. Für die Fachkraft ist es nicht leicht, das eigene Handeln zur Disposition zu stellen. Sie erlebt es jedoch als lehrreich