Sozialpädagogische Familienhilfe. Hans-Ulrich Krause

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Sozialpädagogische Familienhilfe - Hans-Ulrich Krause

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und Kindesvernachlässigungen auf der anderen Seite belegbar. … Dies bestätigen auch empirische Befunde zu der Lebenslage Migration: Migration ist zwar nicht per se ein Indikator für (soziale) Benachteiligung. Gleichwohl zeigen Studien, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und ihre Familien häufig in entwicklungsgefährdenden Kontexten leben, die auf sozialstrukturelle Bedingungen wie Armut, Arbeitslosigkeit der Eltern und sozialräumliche Segregation sowie auf gesellschaftliche Ausgrenzung und die damit verbundenen psychosozialen Risiken zurückgehen können« (Fendrich/Pothmann/Tabel 2018, S. 19).

      Auf diese Zusammenhänge verweist auch der auf drei Ebenen ausgerichtete Einschätzungsrahmen »Framework for the assessment of children in need and their families« aus Großbritannien (DH/DfEE/Home Office 2000, S. 89). Demzufolge können Eltern in einem kindgerechten und familienfreundlichen Gemeinwesen das Wohl ihrer Kinder besser gewährleisten, als wenn dieser soziale Kontext nicht vorhanden ist.

      In den letzten Jahren zeigt sich, dass Familien in benachteiligten sozioökonomischen Lebenslagen zunehmend von mehr staatlicher Kontrolle, die auch durch das Jugendamt und ambulante Familienhilfe durchgeführt wird, betroffen sind (vgl. Oelkers 2012; Winkler 2004). Dies allerdings ohne ihre Lebenslage nachhaltig zu verändern (bzw. verändern zu können) und Benachteiligungen abzubauen. Die Verantwortung für die sozioökonomische Lebenslage und die umgebenden sozialen Bedingungen wird individualisiert und den Familien zugeschrieben. Die Soziale Arbeit ist damit in Gefahr, (wieder) unreflektiert als Reparatur- und Kontrollinstanz für die Gesellschaft zu fungieren. Dem kann allerdings von jeder sozialpädagogischen Fachkraft in einem ersten Schritt entgegengesteuert werden, indem Eltern und Kinder, unabhängig von ihrer jeweiligen ggf. auch herausfordernden Äußerungsform, mit grundsätzlichem Respekt und durchgängiger Wertschätzung begegnet wird und indem die gesellschaftlichen Bedingungen, die sich in Familien als individuelle und/oder soziale Phänomene, Probleme oder Auffälligkeiten zeigen, beständig mitreflektiert und in Hilfeplanprozessen sowie in regionalen Arbeitsgruppen etc. verbalisiert werden. Es bedarf einer Haltung, solidarisch, lernend und unterstützend an der Seite der Familien zu arbeiten (image Kap. 1), ohne destruktives Handeln zu entschuldigen oder zu verschweigen, sondern offen die umgebenden Bedingungen thematisierend und konstruktive Veränderungen suchend. Dies beinhaltet auch eine Reflexion der eigenen professionellen Rolle, der Möglichkeiten und Grenzen von Hilfen sowie der Machtasymmetrien im Hilfesystem. Diese hier skizzierte Haltung ermöglicht, verwiesen auf die Tradition Sozialer Arbeit aus den Reformbemühungen der 1970er und 1980er Jahre, eine Normalisierung von auftretenden Problemlagen statt einer Skandalisierung und einer Stigmatisierung von Kindern und Eltern. So wird die Chance auf eine Hinwendung zu den Stärken und Potentialen von Familien, in denen die Möglichkeiten auf Lern-, Entwicklungs- und nachhaltigen Veränderungsprozessen verborgen sind, eröffnet.

      Professionelle Antworten: Lebensweltorientierung, Hilfe und Kontrolle, methodische Ansätze

      Mit dem Inkrafttreten des SGB VIII in den Jahren 1990/91 wurde auch das Paradigma der Lebensweltorientierung als fachliches Prinzip der Kinder- und Jugendhilfe verankert. Dieses hat sich seitdem weiterentwickelt und ist bis heute aktuell. Es wurde maßgeblich von dem Erziehungswissenschaftler Hans Thiersch (1986/2006, 2014a, 2015) erarbeitet, fand in den 8. Jugendbericht der Bundesregierung (vgl. BT-Drs. 11/6576 1990) Eingang und nachfolgend Verbreitung in der Fachpraxis. Die Lebensweltorientierung ist im Grunde eine fachliche und wissenschaftlich begründete humane Antwort auf eine seit Jahrhunderten bestehende repressive und sanktionierende Hilfepraxis gegenüber sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Diese wurde in der BRD Ende der 1960er Jahre mit der so genannten Heimkampagne öffentlich und seitdem stark kritisiert. Am Beispiel der Herausnahme und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihres Elternhauses in kirchlichen und staatlichen Heimen wurde dies belegt (vgl. Ahlheim u. a. 1972/1978). Die erschreckenden Berichte ehemaliger Heimkinder von willkürlichen Sanktionen, Erfahrungen der Unterdrückung, Verwehrung von Bildungschancen und Gewalterlebnissen bis hin zu sexueller Gewalt beschäftigen seitdem das Hilfesystem und inzwischen auch die Politik (vgl. RTH 2010a, 2010b; vgl. Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch 2011). Bis heute werden immer wieder neue Fakten des Unrechts an Heimkindern wie bspw. Medikamentenversuche öffentlich. Es wurde deutlich, dass öffentliche Erziehung auch zu einer Manifestierung einer benachteiligten sozialen Lage beitrug bzw. Klassenunterschiede verfestigte (vgl. Kappeler 2018). Ein wesentliches Ergebnis der Beschäftigung und Aufarbeitung im Kontext der Heimkampagne war, dass die unreflektierte Übernahme von eigenen Normen und Wertvorstellungen auf Menschen in nicht vergleichbaren Lebenslagen zu fatalen Folgen führt. Nutzen dann die Fachkräfte ihre strukturell gegebene Machtbefugnis und entscheiden einseitig über das Leben anderer Menschen, kann dies zu großem Unrecht führen. So wurden bspw. in den 1960er Jahren Mädchen vorschnell als sexuell verwahrlost eingeschätzt und durch die Landesjugendämter in Heimen untergebracht, wenn sie im öffentlichen Raum mit Minirock in Erscheinung traten (vgl. Gehltomholt/Hering 2006). Die betroffenen Mädchen selbst hatten auf diese Entscheidung keinen Einfluss und waren den oben genannten Praxen der Heimerziehung ausgeliefert – mit gravierenden Folgen für ihr gesamtes weiteres Leben.

      Die zentralen Handlungsmaximen einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit sind: Prävention, Alltagsnähe, Integration, Partizipation und Dezentralisierung, Regionalisierung bzw. Vernetzung. Diese wurden in den vergangenen Jahren durch verschiedene methodische Orientierungen konkretisiert und umgesetzt. Dabei zielt die Lebensweltorientierung auch zentral auf die Entwicklung und Gestaltung von Strukturen und Organisationen, denn das fachliche Handeln ist eingebettet in die Bedingungen der jeweiligen Institutionen. Auch diese müssen sich entsprechend verändern und bspw. ihre Angebote sozialraumbezogen verorten, um für Familien unkompliziert erreichbar zu sein (vgl. Grunwald/Thiersch 2015; Thiersch 2015, S. 308–326).

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