Transformativer Realismus. Marc Saxer

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Transformativer Realismus - Marc Saxer

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Zugang zum amerikanischen Markt nicht nur für China, sondern für alle asiatischen Exporteure beschränken will. Eine Biden-Regierung könnte sich zwar offener gegenüber den Bedürfnissen der Verbündeten zeigen. Aber auch ein demokratischer Präsident muss den großen Unmut vieler Amerikaner über den Freihandel berücksichtigen. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass die Amerikaner wieder ihre ehemalige Rolle als Konsumlokomotive der Welt einnehmen werden.

      Schon in der letzten Krise ist der deutsche Versuch, sich aus der Rezession »herauszuexportieren«, an seine Grenzen gestoßen. Nicht nur die Vereinigten Staaten, auch Frankreich und die Südeuropäer reiben sich zunehmend an den deutschen Exportüberschüssen. Setzen sich die protektionistischen Tendenzen in den Absatzländern fort, muss Deutschland sein Wirtschaftsmodell überdenken.

      Für die Schwellenländer ist das Versprechen westlicher Populisten, die Produktion nach Hause zu bringen, bedrohlich. Werden die globalen Lieferketten rückabgewickelt, steht ihr ganzes Entwicklungsmodell infrage. Verschließen sich die westlichen Märkte für die Schwellenländer, werden ihre heimischen Märkte überlebensnotwendig. Länder mit großen Binnenmärkten wie China oder Indien haben bereits damit begonnen, ihre Entwicklungsmodelle von der Exportabhängigkeit auf den heimischen Konsum umzustellen. Mit offenen oder versteckten Marktzugangsschranken versuchen sie, internationale Konkurrenz zu verdrängen.

      Die Logik der Abschottung wirkt also in beide Richtungen. Je weiter sich die Volkswirtschaften des Westens abriegeln, desto mehr Zugangsbeschränkungen werden westliche Unternehmen auf den asiatischen Märkten vorfinden. Die Strategie, die Absatzschwäche auf den heimischen Märkten durch die Erschließung neuer Kunden in den Schwellenmärkten zu kompensieren, stößt damit an ihre Grenzen.

      Kapitel 4

      Finanzkrisen ruinieren Wirtschaft und Staat

      Auch die Strategie, fehlende Nachfrage über Schulden aus der Zukunft zu borgen, ist nicht ohne Risiken. In der letzten Finanzkrise zeigte sich die Verletzlichkeit des über Privatschulden finanzierten Wachstums. Bereits die Zahlungsschwierigkeiten einiger weniger Schuldner lösten damals eine Kettenreaktion aus, die um ein Haar zum Infarkt des globalen Finanzsystems geführt hätte.

      Jedem privaten oder öffentlichen Schuldner entspricht ein Gläubiger. Und so sind heute Anleger mit Unsummen von Kapital rund um den Globus auf der Suche nach attraktiven Anlagemöglichkeiten. Die düsteren Gewinnaussichten schrecken sie oft von Investitionen in die Realwirtschaften ab. Viele Kapitaleigner versuchen, die Flaute auszusitzen, indem sie ihr Geld an den Finanzmärkten parken. Dem Investitionsstau in der Realwirtschaft entspricht daher die Investitionsexplosion an den Börsen.

      Politökonomisch ist der Finanzkapitalismus ein Teufelskreis. Eine winzige Elite von Kapitaleignern schöpft die Gewinne der wirtschaftlichen Tätigkeiten ab. Statt sie jedoch erneut in die Realwirtschaft zu investieren, spekulieren die Superreichen damit in den Casinos der Finanzmärkte. Wenn das Geld jedoch nur zum Zocken verwendet wird, gewinnt ein Spieler, was der andere verliert. Geschaffen wird nur Buchgeld, aber weder Innovation noch produktivitätsgetriebenes Wachstum der Realwirtschaft. Im Gegenteil: Wird das Geld nicht an die Unternehmen der Realwirtschaft weitergegeben, bleiben Investitionen aus, und die Wirtschaft stagniert. Für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung bedeutet das selbst unter normalen Bedingungen stagnierende Löhne und weniger soziale Sicherheit. Auch der Casinokapitalismus verschärft also die Nachfragekrise, die die Kapitaleigner eigentlich aussitzen wollten.

      Weil das spekulative Kapital aber Blasen bildet, die nicht durch nachhaltiges Wachstum der Realwirtschaft gedeckt sind, wird der globale Finanzkapitalismus immer wieder von Finanzkrisen erschüttert. Platzende Blasen führten zu Finanzkrisen in Japan (1990), Mexiko (1994), Asien und Russland (1997/8) und Argentinien (1999). Das Zentrum des Finanzkapitalismus, die Vereinigten Staaten, wurden durch das Platzen der Dotcom-Blase (2000), des Subprime-Immobilienkreditmarktes (2007), das Einfrieren des Repo-Marktes (2019) und die Coronakrise (2020) erschüttert.

      Um den Infarkt des Finanzsystems zu verhindern, spannen Zentralbanken und Staaten gigantische Rettungsschirme über die Spieler, die sich verzockt haben. Aus den Schuldenkrisen der Privatwirtschaft werden so Staatsschuldenkrisen.

      Aber auch außerhalb von Krisenzeiten sehen viele Staaten keinen Ausweg aus ihrer Zwangslage als das Schuldenmachen. Eingeklemmt zwischen Standortsicherung und Daseinsvorsorge bleibt vor allem den Kommunen nicht viel mehr, als ihre unlösbaren Finanzierungsprobleme auf morgen zu verschieben. In der Eurokrise zeigte sich jedoch, welche Risiken mit zu hoher Staatsverschuldung einhergehen.

      Kapitel 5

      Die Staatsschuldenkrise spaltet Europa

      In einer vernetzten Welt breiten sich die Schockwellen wirtschaftlicher Störfälle innerhalb von Sekunden rund um den Globus aus. Wie schon 2008 standen die Staaten auch 2020 vor einem Dilemma. Greifen sie ein, suspendieren sie die Selbstkorrektur der Märkte, und tragen mit billigem Geld zur Explosion der sozialen Ungleichheit bei. Tun sie nichts, kann der Infarkt im finanziellen Herzen des Kapitalismus zu einer wirtschaftlichen Depression führen, mit katastrophalen Folgen für Millionen von Menschen. Letztlich hat in beiden Fällen die Abwehr der kurzfristigen Schäden den Ausschlag gegeben.

      Mittelfristig ruinieren die gigantischen Rettungspakete jedoch die Staatsfinanzen. Wie gefährlich das werden kann, haben die Südeuropäer in der Eurokrise gespürt. Gerade noch mit Steuergeldern gerettet, verweigerten die Geschäftsbanken nun ihren Rettern im hoch verschuldeten Süden Europas den Zugang zu den Anleihemärkten.

      Der ewige Streit um die Staatsschulden

      Der Streit um den richtigen Umgang mit den Staatsschulden entzweit seit einem Jahrzehnt Nord- und Südeuropa. Sollten die Nordeuropäer ihren südlichen Partnern solidarisch unter die Arme greifen? Oder sind die demokratischen Regierungen des Nordens in erster Linie ihren eignen Steuerzahlern verantwortlich?

      Nach einem heftigen Familienstreit wagten die Europäer in der Coronakrise zwar den ersten Schritt in die gemeinsame Aufnahme von Schulden zur Finanzierung eines Wiederaufbauprogramms. Doch gegen den Einstieg in eine »Transferunion« gibt es bei den Nettozahlern, allen voran den »Sparsamen Vier« – Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark – weiterhin hartnäckigen Widerstand.

      Die Allianz der Transfergegner fordert bereits eine neue Runde Austerität für die hoch verschuldeten Euroländer. Der Glaube, dass weitere Sparpakete zur Konsolidierung der Staatsfinanzen im Süden Europas mit demokratischen Mitteln durchsetzbar wären, ist jedoch eine gefährliche Illusion. Die populistischen Revolten, die Südeuropa erschüttern und Großbritannien aus der Europäischen Union katapultiert haben, waren die politische Reaktion auf die sozialen Abstiegsängste, die durch die Verwerfungen der Globalisierung, Automatisierung und Migration befeuert werden. Die neoliberalen Sparorgien bei der Daseinsvorsorge und an den sozialen Netzen signalisierten den Verunsicherten, dass der Staat sie im Stich gelassen hat. Das illusorische »Take back control« der Brexiteers war die trotzige Antwort auf die weitverbreitete Furcht vor dem Verlust der Kontrolle über das eigene Leben.

      Die populistischen Revolten gegen die wirtschaftlichen und sozialen Verheerungen der Austeritätspolitik in Großbritannien, Griechenland und Italien sind eine deutliche Warnung, dass die demokratischen Souveräne nicht länger gewillt sind, die Kosten für die Rettung der Kapitaleigner zu tragen. Explodiert die Ungleichheit weiter, werden Europas Demokratien von Kultur- und Verteilungskämpfen zerrissen. Eine weitere Dekade Austerität würde einen Tsunami populistischer Revolten auslösen, der die liberale Demokratie in einigen Gründerstaaten Europas zerstören und die Europäische Union auseinanderreißen würde. Die Durchsetzung einer weiteren Runde von Kürzungen bei Löhnen, Daseinsvorsorge und Sozialtransfers ist also

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