Das Weltkapital. Robert Kurz

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also in der Form des Ruins der eigenen Tuchproduktion (wie es Ricardos Zeitgenossen real erlebten). Wenn nun eine entsprechende Menge von Kapital in die zusätzliche Weinproduktion fließt, damit der Austausch mit dem Tuch stattfinden kann, heißt dies keineswegs, dass automatisch die in der Tuchproduktion freigesetzten Lohnarbeiter in die Weinproduktion überführt werden, und wenn, dann nicht automatisch zu denselben Bedingungen von Lohn usw. Was also für die nationalökonomischen Austauschverhältnisse postuliert wird, geht an der Lage der wirklichen Individuen vorbei.

      Aber auch nationalökonomisch gesehen trifft Ricardos Argument, sobald man von den naturalen auf die Verwertungs-Verhältnisse übergeht, nur dann zu, wenn der Abstand in der Produktivität ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreitet und sich auf den Umkreis weniger Waren beschränkt. Stets muss das weniger produktive Land im Austausch mit dem produktiveren relativ mehr Arbeits- und damit Wertmengen (bezogen auf den eigenen Standard) hergeben als es in Gestalt der anderen Ware zurück erhält. Da aber im kapitalistischen Sinne stets der abstrakte Wert das bestimmende Moment ist, das sich in Geldpreisen ausdrückt, heißt das nichts anderes, als dass es beim Tausch dieser Waren ständig relativ teurer einkaufen muss, als es verkaufen kann, was nichts mit der naturalen Menge von Gebrauchsgütern zu tun hat.

      Das wird vielleicht hingenommen werden, wenn dafür z.B. eine relativ größere Menge an Tuch verbraucht werden kann, als sie im eigenen Land zu eigenen Bedingungen herstellbar wäre; allerdings ist dieser Verbrauch dann sozial viel ungleicher verteilt als im Land mit der höheren Produktivität: Das fremde Tuch kann nur unter der Bedingung gegen einen relativ höheren Arbeitsaufwand bei der eigenen Weinproduktion gegen Wein als Äquivalent ausgetauscht werden, dass die Lohnarbeit in der Weinproduktion entsprechend relativ niedriger bezahlt wird und sich der Produktivitätsabstand auf deren Kosten wertmäßig ausgleicht. Da dies jedoch wieder negative Rückwirkungen auf die übrige binnenökonomische Reproduktion hat (Ausfall von Kaufkraft), funktioniert auch dann der internationale Warenverkehr auf die Dauer nur, wenn die Produktivitätsvorteile einigermaßen gestreut sind, also nicht so einseitig wie bei Ricardo dargestellt.

      Das ist nicht nur graue Theorie, sondern beweisbare historische Praxis. Das von Ricardo gewählte zentrale Beispiel für sein Theorem, Wein aus Portugal und Tuch aus England, war keineswegs ein fiktives. Es beruhte auf dem so genannten Methuen-Handelsvertrag zwischen England und Portugal, der am 27. Dezember 1703 abgeschlossen wurde. Dessen reale Resultate blamierten Ricardos Argumentation allerdings schon, bevor dieser sie überhaupt niedergeschrieben hatte; ein Beispiel für die systematische ideologische Ignoranz schon der bürgerlichen Klassik in der VWL, die sich seither immer weiter gesteigert hat bis zur völligen Verleugnung der sozialen Tatsachen. Da es im Kapitalismus nicht um die naturale Versorgung und Bedürfnisbefriedigung, sondern einzig um den abstrakten Wert in der Geldform und dessen Maximierung geht, mußte sich der angebliche wechselseitige »komparative Vorteil« sehr schnell negativ für Portugal auswirken, wie das heutige anonyme Räsonnement in einem publizistischen Flaggschiff des Wirtschaftsliberalismus mit aller Gemütsruhe feststellt:

      »Während Portugal seinen Markt für englische Textilien öffnete, verpflichtete sich England, die portugiesischen Weine zollmäßig um ein Drittel weniger zu belasten als die französischen Konkurrenzprodukte, an die sich die englischen Konsumenten gewöhnt hatten. Dieser englisch-portugiesische Warenaustausch ging in die Lehrbücher über den Außenhandel ein. David Ricardo ... nahm ihn als Anschauungsbeispiel für seine Theorie der komparativen Kostenvorteile ... Über die Vor- und Nachteile für England und Portugal aus dem Methuen-Handelsabkommen, benannt nach dem englischen Diplomaten John Methuen (1650-1706), gingen die Meinungen allerdings bald auseinander. Im bilateralen Handel ergab sich für Portugal im allgemeinen ein stark negativer Saldo. Es bezahlte also mit dem reichlichen Gold aus seiner Kolonie Brasilien, was zur Verbreitung der Goldwährung in England beitrug ... Adam Smith ... konstatierte in seinem Werk ›The Wealth of Nations‹, dass der Vertrag als ein Meisterwerk der englischen Handelspolitik gefeiert worden sei und ›fast all unser Gold‹ aus Portugal komme« (Neue Zürcher Zeitung v. 24.12.2003).

      Auf der kapitalistisch einzig relevanten Ebene, der von abstraktem Wert und Geldmaximierung, blutete Portugal also eher aus; ähnlich übrigens wie die ehemalige Weltmacht Spanien. Der Niedergang der Kolonial- und »Goldmächte« Spanien und Portugal gegenüber England und Holland ist oft unter dem Aspekt beschrieben worden, dass in der nordeuropäischen und angelsächsischen Welt protoindustrielle Produktion, Produktivitätssteigerung und Exportstärke (in Vermittlung mit »protestantischem« Geist) ihre Überlegenheit gegen die bloß äußere iberische Kolonisation gezeigt und den lateinamerikanischen Goldschatz abgesaugt hätten, so dass dieser letztlich nicht Spanien und Portugal, sondern Holland und England kapitalistisch progessiv entwickeln konnte. Die reale Historie ist insofern ein Schlag ins Gesicht für Ricardos bis heute immer wieder hervorgekramtes Theorem. Im Sinne des »abstrakten Reichtums« (Marx) war Portugal der eindeutige Verlierer beim angeblich wechselseitigen »komparativen Vorteil«; und da die Bedürfnisbefriedigung auf der naturalen Ebene in kapitalistischer Form eben von der Bewegung des »abstrakten Reichtums« gesteuert wird, waren die sozialen »Nebenwirkungen« für die Portugiesen entsprechend verheerend:

      »Unter wirtschaftlichen Aspekten fühlte sich aber ... Portugal überlistet. Dies nicht nur, weil englische Textileinfuhren den heimischen Erzeugern zu schaffen machten. Vielmehr kam es auch zu einer Explosion des Weinbaus. Viele Landbesitzer kultivierten nicht mehr Getreide, sondern wegen der attraktiveren Preise Trauben. Es kam zu Überproduktion, Preisverfall und Hungersnot« (Neue Zürcher Zeitung, a.a.O.).

      Als Schulbeispiel taugt Ricardos historische Reminiszenz also eher für das genaue Gegenteil seiner Argumentation. Dabei ging es beim Methuen-Freihandelsvertrag wirklich nur um die einzelnen Waren Wein und Tuch; und selbst bei dieser Begrenzung auf ein enges Spektrum waren die Folgen für Portugal bereits ziemlich verheerend. Wenn aber das internationale Gefälle der Produktivität tatsächlich absolut und in großem Maßstab zunimmt, und wenn es nicht mehr nur einzelne Waren, sondern den gesamten Umkreis der Warenproduktion umfasst, also das allgemeine Produktivitätsniveau, dann hört der »komparative Vorteil« für die unterproduktive Nationalökonomie erst recht auf, selbst in der sozial disparaten Verteilung, und es tritt genau jener Mechanismus ein, wie er als Problem der »Unterentwicklung« die kapitalistische Geschichte begleitet hat: Eine zu große Masse an eigenem Arbeitsaufwand (und damit an ökonomischem Wert gemäß den eigenen Binnenstandards der Produktivität) muss gegen eine immer geringere Masse an fremdem Arbeitsaufwand (und damit an ökonomischem Wert) getauscht werden – jetzt nicht mehr bezogen auf einige einzelne Waren, sondern bezogen auf die gesamte gesellschaftliche Reproduktion, soweit sie in den Weltmarkt einbezogen ist.

      Und das wird sie zwangsläufig immer mehr, je stärker die binnenökonomische Kaufkraft zurückgeht. Geschieht dies in den entwickelten Nationalökonomien relativ, weil die Produktivität überproportional im Verhältnis zu den Geldeinkommen ansteigt, so geschieht dasselbe in den »unterentwickelten« Ländern absolut, und zwar genau umgekehrt deswegen, weil sie in der Produktivkraftentwicklung nicht mithalten können und dadurch die Geldeinkommen ihrer Bevölkerung immer weiter absinken. In beiden Fällen ist das Resultat die umso stärkere Weltmarktorientierung.

      Es handelt sich dabei um nichts anderes als jene Wirkung ungleicher Produktivitätsstandards ohne gemeinsamen Maßstab, wie sie sich schon anhand der Debatte über den »ungleichen Tausch« gezeigt hat: Das relativ unterproduktive Land wird nicht an seinem eigenen Standard, sondern an dem des produktiveren Landes gemessen (während Ricardo unterstellt, es gäbe im internationalen Warentausch überhaupt keinen Produktivitätsmaßstab mehr, was er nur suggerieren kann, weil er pseudo-naiv rein auf der naturalen Ebene statt auf der Verwertungsebene argumentiert).

      Indem auf diese Weise große binnenökonomische Arbeitsmengen auf dem Weltmarkt nicht als Werte anerkannt werden, muss die unterproduktive Nationalökonomie bei wachsendem Abstand der Produktivität und gleichzeitig wachsender Einbeziehung der Gesellschaft in den Weltmarkt relativ immer mehr arbeiten und bekommt dafür auf dem Weltmarkt relativ immer weniger Gegenleistung. Und da sich dieses Verhältnis natürlich in den Preisen

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