Das Weltkapital. Robert Kurz

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Das Weltkapital - Robert Kurz

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      Schon im frühen 19. Jahrhundert fand Ricardos »scharfsinnige« Milchmädchenrechnung energischen Widerspruch von Ökonomen anderer europäischer Länder, die von den Folgen der britischen Exportoffensive mit billigen Industrieprodukten (an erster Stelle Textilien) heimgesucht wurden. Vor allem der nationalistische deutsche Wirtschaftstheoretiker Friedrich List (1789-1846) zeigte, dass Ricardos Theorem der komparativen Kosten bei einem zu großen und das gesamte Produktionsniveau erfassenden Produktivitätsgefälle falsch war und verlangte daher Schutzzölle für die noch unentwickelte deutsche Industrie; diese sollten bloß vorübergehende »Erziehungszölle« sein, bis das Produktivitätsgefälle überwunden sei.

      Bekanntlich war dieser Weg im 19. Jahrhundert tatsächlich erfolgreich; aber nur deswegen, weil der Produktivitätsabstand zwischen England und den kontinentaleuropäischen Ländern noch nicht uneinholbar groß war. Im 20. Jahrhundert dagegen wuchs dieser Abstand zwischen den industrialisierten Staaten des kapitalistischen Zentrums und der globalen Peripherie bereits derart an, dass ein Anschluss an die Industrialisierung teils nur noch durch staatskapitalistische Abschottung (wie im Ostblock) und damit um den Preis langfristiger Stagnation für einige Jahrzehnte versucht werden konnte, teils aber überhaupt nur ein Wunschtraum blieb (wie in den meisten Ländern der so genannten Dritten Welt).

      Für die großen Weltregionen der Peripherie stellte sich die »internationale Arbeitsteilung« des Kapitals, von der Ricardo so geschwärmt hatte, schon während der Epoche des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils als die Degradation zu bloßen Rohstofflieferanten heraus, weil der klaffende Abgrund im Niveau der Produktivität jeden Versuch zunichte machte, mit eigenen Industrieprodukten konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt zu operieren. Die Mehrzahl der Länder auf der südlichen Halbkugel diente fast nur noch als Zulieferer jener Bodenschätze und Agrarprodukte, die in den kapitalistischen Zentren von Natur aus gar nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß vorhanden sind bzw. angebaut werden können.

      Aber bei einem Warenaustausch über den Weltmarkt von Erdöl und Erdgas, Kupfer, Uran usw. sowie Kaffee, Tee, Kakao, Bananen usw. einerseits und Autos, Fernsehern, Flugzeugen usw. andererseits konnte sich die Kluft nur immer weiter vergrößern und der Verfall der terms of trade für die zurückgebliebenen Länder nur immer dramatischere Ausmaße annehmen.

      Logischerweise mußte dies zweierlei bedeuten. Erstens wuchs die soziale Disparität in den Ländern der Dritten Welt parallel zur Kluft des Produktivitätsgefälles auf dem Weltmarkt und zum Verfall der terms of trade ebenfalls permanent an: Der Austausch von höherwertigen Industrieprodukten mit den Ländern des Zentrums schrumpfte zusehends auf eine sich ausdünnende Oberschicht zusammen, die gewissermaßen die Gesetze des Weltmarkts nach innen repräsentierte und exekutierte, während die Masse der Bevölkerung selber zum bloßen Rohmaterial für die Förderung der Rohstoffe degradiert oder schon damals »überflüssig« wurde. Zweitens sank der relative Anteil der peripheren Länder am Weltmarkt selbst bei absolut wachsender Weltmarktintegration schon während der Boomphase ab, während spiegelbildlich dazu die immer mühsamer zu bedienende Außenverschuldung anwuchs.

      Das ist allerdings erst recht keine bloße Theorie mehr, sondern praktische Welterfahrung über Jahrzehnte hinweg. Die Weltwirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts hat das Ricardosche Theorem der komparativen Kosten und »Vorteile« durch die Entwicklung der realen Beziehungen zwischen der relativ unterproduktiven Peripherie und den hochproduktiven kapitalistischen Zentren endgültig praktisch widerlegt, und zwar vernichtend. Deshalb waren die mehr oder weniger kritischen »Entwicklungstheorien« der 60er und 70er Jahre allesamt von diesem unabweisbaren Faktum geprägt, auch wenn ihre theoretischen Erklärungen (»ungleicher Tausch«) und praktischen Vorschläge (Schutzzölle, Abschottung, »Importsubstitution« durch binnenökonomische und »autozentrierte« Industrialisierung etc.) verkürzt, weil auf die apriorischen Formen des warenproduzierenden Weltsystems fixiert waren.

       Exportweltmeisterschaft statt internationale Arbeitsteilung

      Wenn Ricardos Formel für das Produktivitätsgefälle zwischen den industriellen kapitalistischen Zentren und der globalen Peripherie blamiert ist, so könnte vielleicht ein einsichtiges bürgerliches Räsonnement glauben (großenteils ist es allerdings ganz und gar nicht einsichtig, sondern verblendeter denn je), dann ist sie eben »entwicklungspolitisch« ungeeignet und in dieser Hinsicht müssen andere Lösungswege (selbstverständlich im Rahmen »der Marktwirtschaft«) gefunden werden. Aber für das Verhältnis der entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften untereinander wird das Gesetz der komparativen Vorteile doch wohl Gültigkeit haben?

      Die Ironie der realen weltkapitalistischen Entwicklung will es, dass gerade für dieses Verhältnis das Theorem von Ricardo nicht allein falsch, sondern schlichtweg gegenstandslos geworden ist. Und zwar betrifft dies die grundlegendste Voraussetzung alles volkswirtschaftlichen Denkens, also auch desjenigen von Ricardo, nämlich die Nationalökonomie als in sich kohärenten Wirtschaftsraum und als ein mit anderen Nationalökonomien in Beziehung tretendes »Subjekt« selber.

      Zwischen den kapitalschwachen und deshalb auch unterproduktiven Ländern der Peripherie und den industrialisierten Zentren des Kapitals konnte und kann man durchaus von einem Welthandel sprechen, der auf »internationaler Arbeitsteilung« beruht – allerdings auf einer seitens der peripheren Länder ebenso unfreiwilligen wie unvorteilhaften. Letzten Endes handelt es sich dabei um eine Funktionsteilung zwischen der hauptsächlichen Produktion von Rohstoffen aller Art (agrarischen, mineralischen usw.) einerseits und der hauptsächlichen Produktion von industriellen Fertigprodukten (unter Einschluss der kapitalistischen Nahrungsmittelindustrie) andererseits.

      Aber beim Warenaustausch der industriell entwickelten Länder untereinander kann nicht einmal in diesem negativen Sinne von einer »Arbeitsteilung« im Ricardoschen Sinne gesprochen werden. Deren Voraussetzung wäre ja, dass sich die einzelnen Industrieländer jeweils auf bestimmte industrielle Produkte oder Produktkomponenten spezialisieren.

      Davon konnte jedoch höchstens in der Urgeschichte des kapitalistischen Weltsystems teilweise die Rede sein, als sich der Welthandel noch auf bestimmte Segmente der Produktion beschränkte, um von diesen aus die gesamte gesellschaftliche Reproduktion »von oben und außen« kapitalistisch aufzurollen. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der sich das Weltsystem erst in Form der Nationalökonomien und ihres wechselseitigen Verkehrs darstellte, ging diese Spezialisierung mehr und mehr zurück. Als sich nach dem tiefen Einbruch des Weltmarkts in der Epoche der Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise seit 1950 unter dem Dach der Pax Americana der internationale Handel zwischen den großen Blöcken der Industrieländer wieder sprunghaft zu erweitern begann, zeigte sich endgültig, dass der Weltmarkt der Waren von einem ganz anderen Prinzip geleitet wird als dem einer »internationalen Arbeitsteilung«.

      Denn es war ja nicht so, dass etwa Japan in die USA meinetwegen Radios und diese nach Japan Autos geliefert oder die Europäer ihrerseits beide mit Werkzeugmaschinen versorgt hätten usw. Ebensowenig handelte es sich innerhalb der verschiedenen Warengruppen um eine auf die einzelnen Komponenten bezogene Arbeitsteilung, in der etwa bei der Autoproduktion die USA für alle die Karosserie, Japan das Getriebe und Europa die Motoren beigesteuert hätten usw. Formen einer »internationalen Arbeitsteilung« dieser Art gab es dagegen im östlichen Staatskapitalismus, und zwar sowohl innerhalb der Sowjetunion und ihrer einzelnen Regionen als auch zwischen den staatskapitalistischen Nationen des Comecon, des Wirtschaftsverbundes der Länder im Machtbereich der Sowjetunion.

      Im Westen jedoch exportierten stattdessen die USA Autos, Fernseher, Werkzeugmaschinen, Büstenhalter, Käse, Hüte, Schiffe und beliebige andere Güter nach Japan und Europa, und umgekehrt exportierten Japan und Europa dieselben Waren in die USA und auch untereinander. Die Formel lautete mit anderen Worten: Alle liefern allen alles! Keine Spur von einer irgendwie sinnvollen Arbeitsteilung.

      Aber eine solche wäre ja auch nur möglich, wenn

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