Phantastica. Lewin

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Phantastica - Lewin

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ein, dass die jeweilig das Phänomen der Gewöhnung auslösende Ursache nicht auch den Grund der Gewöhnung abgeben kann, dieser vielmehr nur in dem betroffenen Individuum liegen muss. Schon fast 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung wurde ausgesprochen: „Von allen Arznei- und Giftpflanzen werden die Wirkungen durch Gewohnheit schwächer. Bisweilen werden sie dadurch ganz unwirksam. Die Natur des Menschen besiegt sie, als wären sie keine Gifte mehr.“ Hier wird der menschliche Körper [29] kraft seiner Organisation zum Zerstörer der Giftfähigkeit bzw. der Giftwirkungen gemacht. Anders etliche Jahrhunderte später Galen: Er erzählt, wie ein altes athenisches Weib sich dadurch an Schierling gewöhnt habe, dass sie, mit kleinen Mengen beginnend, zuletzt davon auch sehr große ungestraft hat nehmen können, weil ,,im Beginne die kleine Giftmenge nur durch ihre Kleinheit besiegt wurde, die Gewöhnung aber das Mittel zu einem natürlichen, verwandten machte“.10

      Mancherlei Vorstellungen über den letzten Grund des Geschehens bei der Gewöhnung, z. B. an Morphin oder an ähnlich wirkende Stoffe, sind möglich. Ich weise diejenige zurück, die darauf hinausläuft, es mehr als möglich sein zu lassen, dass nach Maßgabe der eingeführten Menge des Gewöhnungsstoffes sich im Körper ein in das Blutserum übergehendes Gegengift, ein „Antitoxin“, bilde, das nicht nur die betreffenden Individuen schütze, sondern sogar in so reicher Menge erzeugt werde, dass auch fremde, dessen bedürftige Menschen noch von der antitoxischen Eigenschaft eines solchen Blutserums Vorteil haben können – eine um so befremdlichere und unwahrscheinlichere Annahme, als ja ein chronisch vergifteter Zellkomplex trotz anfangs gewiss erhöhten Kraftaufwandes für seinen Selbstschutz, weiterhin stets dem Gifte erliegt.

      Tatsächlich haben aber nicht wenige und darunter auch meine eigenen Versuche bewiesen, dass eine Bildung von „Antitoxinen“ gegenüber Alkaloiden, Glykosiden, Stoffen aus der Fettreihe oder aromatischen Körpern oder unorganischen Stoffen nicht stattfindet. Es bildet sich kein Morphin- oder Kokain-Antitoxin im Blute und wenn ein angebliches „antitoxisch wirkendes Serum“ aus Tieren dargestellt worden ist, die mit einem dieser oder anderer Gifte chronisch ver[30]giftet wurden, so wolle man annehmen, dass es sich hier um eine unzulängliche Beobachtungskunst gehandelt habe, die auf keinem anderen Gebiete so wie gerade auf diesem Ereignis geworden ist. Der Spuk von Vermutungen verbreitet sich leicht infektiös und Nachbeter, deren die Welt voll ist, finden suggestiv das leicht, was sie glauben finden zu müssen, weil andere glauben, das Richtige gefunden zu haben. Falls irgendein „antitoxisches Serum“ bei einem Kranken einen zeitlichen symptomatischen Erfolg erzeugt, so ist es, was ich zuerst bestimmt aussprach11 und was jetzt von sehr vielen als Überzeugung geteilt wird, das eingespritzte körperfremde Eiweiß, dem dies zuzuschreiben ist. Dies gilt auch für die sogenannten „Heilsera“, die keinerlei „spezifisches Antitoxin“ enthalten.

      Ich halte es gleicherweise für unerwiesen und falsch, dass die Gewöhnung an Gifte, wie Morphin, auf die sich immer mehr steigernde Fähigkeit des Organismus, das Morphin zu zerstören, zurückzuführen sei und darauf beruhe. Schon der Nachweis, dass das Gehirn von Ratten, die gegen Morphin immunisiert worden sind, noch eine Stunde nach der Vergiftung, ohne Symptome zu zeigen, größere Giftmengen enthält, als das Gehirn eines nicht immunen Tieres, das durch eine solche Dosis schwer vergiftet ist, spricht dagegen.

      Meine Auffassung über das Wesen der Gewöhnung an Gifte habe ich wiederholt zum Ausdruck gebracht12 und sie ist so Gemeingut geworden, dass mancher, der sich danach [31]

      über das gleiche Problem vernehmen ließ und sie als zutreffend erkannt hat, schließlich in geistig kommunistischer Anwandlung der Meinung war, dass sie ihm entstammt sei.

      Sie stellt sich in folgender Weise dar. Denkt man sich, es wirke ein reaktionsfähiger Stoff einmal auf gewisse Zellkomplexe im Körper ein, so wird irgendeine funktionelle, mehr oder minder erkennbare, ungewohnte Äußerung ihrerseits erfolgen. Die Rückkehr zum üblichen Zustande erfolgt, wenn außer der Erholung der beeinflussten Gewebe die einwirkende Substanz von ihnen frei wird. Bei häufiger Zufuhr eines mit chemischer Energie versehenen Stoffes findet aber weder das Eine noch das Andere statt. Jede neu eingeführte Menge findet noch Reste der früheren und eine eventuell irgendwie veränderte Funktionsfähigkeit des beeinflussten Gebietes vor.13 Während die Zelle durch ihr Leben, d. h. ihre durch chemische oder physikalische Vorgänge erlangten Spannkräfte, eine Zeitlang imstande ist, einen ihr zugeführten fremden, reaktiven, nicht assimilierbaren Stoff in irgendeiner Weise, auch in seinen Wirkungsfolgen zu überwinden, wird sie bei seiner immer wieder erneuten Zufuhr in immer wieder erneuter Inanspruchnahme nicht nur nicht zur Ruhe kommen können, sondern es wird auch ihre Leistungsfähigkeit in dem Vollzuge ihrer üblichen funktionellen Aufgaben und der Überwindung des ihr wesensfremden, auf sie feindlich, reizend oder lähmend wirkenden Stoffes sich allmählich mindern. Jede neue Dosis findet eine Wirkungsbasis von minderer funktioneller Reaktionsfähigkeit vor. Um sie auf ein erforderliches Niveau zu heben, muss eine fortschreitende Steigerung des wirkenden Fremdstoffes erfolgen. Der Vorgang der Abstumpfung der Zellenergie wiederholt sich immer wieder von neuem, bis schließlich bei einer gewissen Dauer des ganzen Prozesses und einer bestimmten, individuell verschiedenen Menge des aufgenom[32]menen Stoffes die Lebensvorgänge in der Zelle nur noch ausreichen, um zu vegetieren, d. h. sich zu ernähren, aber weder genügen für die Abwehr bzw. die Regulation der ihr dauernd zugefügten Leistungsschädigung noch für eine normale physiologische Tätigkeit einschließlich der Aufrechterhaltung der notwendigen Wechselbeziehungen zu andersartigen Organen des Körpers.

      Mithin beruht nach meiner Auffassung die Gewöhnung an Arzneimittel und Gifte, die ich als rein vitale Funktion ansehe, nicht auf einer erhöhten Leistungsfähigkeit, sondern auf einer progressiv zunehmenden, wahrscheinlich durch chemischen Einfluss bedingten Schwäche des Zelllebens. Die Adaptation ist die erworbene Unfähigkeit, auf eine bestimmte Summe von Reiz in normaler Weise zu reagieren.

      Durch diese wehrlose Schwäche, als Produkt der allmählichen Anpassung, wird in gewissen Grenzen eine Immunität für die Giftwirkung des Reizmittels erlangt. Wird durch ein Übermaß des Mittels die Toleranzzone weit überschritten, so treten Giftwirkungen wie bei Nichtgewöhnten ein: die vegetative Sphäre der geschwächten Zellgruppen wird in ihrer Existenz bedroht und dann geraten auch Funktionen anderer in Unordnung, die von ihnen, auch regulatorisch, beeinflusst werden. Es besteht ja in gesundem Zustande ein inniger, harmonischer, funktioneller Zusammenhang der Körperorgane untereinander. Das normale Verhältnis lässt sich vielleicht als das einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auffassen, in der zwar die einzelnen Gesellschafter eine verschieden große Wertigkeit haben, die aber trotzdem die zweckmäßige Zusammenarbeit aller mit dem auf die Erhaltung normaler Gesamtlebensfunktionen gerichteten Ziel einschließt. Leidet ein Verpflichteter von ihnen, so werden andere in Mitleidenschaft gezogen, versuchen auch bis zu der Grenze [35] ihrer Leistungshöhe für ihren Teil den vorhandenen primären Schaden auszugleichen, gehen dann aber nicht selten, bei dem Versagen ihrer Kraft, ihre eigenen, ihnen vorgeschriebenen Leidenswege. Das Gesellschaftsband ist in irgendeinem Umfange zerrissen und schwer oder nie wieder verknüpfbar. Solche Abhängigkeitsleiden können sich bei jeder krankhaften Störung aus irgendeiner Ursache herausbilden und schlimmer werden als das primäre Leiden.

      Wird dem durch Gewöhnung funktionell anders gewordenen Organ, z. B. dem Gehirn, das verursachende Mittel in irgendeinem Umfange entzogen, so wird dadurch der bisher künstlich aufrechterhaltene Gleichgewichtszustand im Ertragen des fremden Einflusses und der Funktion in allen ihren Ausstrahlungen gestört. Das Zelleben war auf das Mittel eingestellt oder wurde von ihm beherrscht und so tritt, wenn es fehlt, Verlangen danach ein. Es erinnert dies an den Salzhunger, den man bei langer Enthaltung dieser Substanz hat. So wie diese als notwendiger Bestandteil des Körpers eingeführt werden muss, so werden auch gewisse narkotische und sogar gewisse nichtnarkotische Mittel durch den gewohnheitsmäßigen Gebrauch für das Gehirn gewissermaßen zu integrierenden Bestandteilen und ihr Fehlen wird so wie der eines elementaren Körperbestandteils empfunden. Man könnte auf diese Weise sagen, das Morphin z. B. werde für einen Morphinisten zu einem Hormon. Es tritt in die Körperverwandtschaft ein. Es wird, wie Galen14 es ausdrückte, „ούμφυτον“.

      So

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