Phantastica. Lewin

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warum dies letzten Endes so ist. Auch für alles solches Geschehen gilt noch immer und wird in aller Zeit das Wort Albrechts v. Haller Geltung haben:

       Ins Innere der Natur

       Dringt kein erschaffener Geist,

       Glückselig, wem sie nur

       Die äußere Schale weist.

      Mit einer sehr viel geringeren sachlichen Berechtigung als es vielleicht einmal von einem Berufenen, am Forschungswerke Beteiligten, geschehen könnte, hat Goethe versucht diesen Ausspruch zurückzuweisen. Für den Dichter „hat Natur weder Kern noch Schale – alles ist sie ihm mit einem Male“. Was aber Haller meinte, ist leider nur zu wahr. In der Biologie und allem anderen, was die Natur als Lösungsproblem von Unverständlichem und Unverstehbarem dar-[20]bietet, gibt es wirklich Schale und Kern: das Sichtbare und das dem Wesenheitserkennen Verschlossene. Vor allem in der Biologie. Wir erblicken allenthalben nur das Zifferblatt des Geschehens, mit seinen Zeigern, allein das Werk mit seiner treibenden Kraft zu erkennen, vermögen wir nicht. Es besteht hier die gleiche Kluft wie auf dem Gebiete des kausalen Erkennenwollens und Nichterkennenkönnens der Entstehung von Lebewesen oder eines ihrer Gewebe oder auch nur einer ihrer Zellen. Die Überzeugung von Kant in dieser Beziehung wird immer wahr bleiben: „Eher wird die Bildung aller Himmelskörper, die Ursache ihrer Bewegungen, kurz der Ursprung der ganzen gegenwärtigen Verfassung des Weltbaues eingesehen werden können, ehe die Erzeugung eines einzigen Krautes oder einer Raupe aus mechanischen Gründen deutlich und vollständig kund wird“. Auch „chemische Gründe“ werden nie zum Ziele führen.

      Jeder Mensch trägt seine eigenen, individuellen biologischen Gesetze in sich und jeder ist der Träger seiner eigenen psychologischen Komplexe. Mithin gibt es auch keine psychologischen Konstanten. Jeder Versuch solche zu konstruieren, trägt a priori den Stempel der Unfruchtbarkeit in sich. Es ist aus diesem Grunde eine sichere aprioristische Beurteilung dessen, was an Wechselwirkung zwischen einem Stoff und dem Körper eintreten wird, unmöglich. Es ist bezeichnend, dass auch ein Mann wie Kant die hohe Bedeutung der Individualverschiedenheiten so erkannt hat, dass er an einen Arzt, Marcus Herz, schreiben konnte: „Studieren Sie doch ja die große Mannigfaltigkeit der Naturen.“

      Den eben vorgeführten Problemen gleichwertig ist das der Gewöhnung, das bereits seit frühester medizinischer Zeit die Denker beschäftigt hat. Die Gewöhnung umfasst körper[21]lich reaktive Ereignisse, die bisher keinerlei Möglichkeit einer begründeten, zuverlässigen Erklärung zuließen. Es handelt sich um die Tatsache, dass in jeder Leistungssphäre des tierischen Körpers ein von außen kommender Einfluss, der an sich geeignet ist, eine bestimmte funktionelle Reaktion auszulösen, bei wiederholter Einwirkung, unter sonst gleichbleibenden Bedingungen seiner Form und Masse, allmählich an Wirkung evtl. bis zum Versagen verliert.

      Allenthalben im körperlichen Leben begegnet man diesem Ereignis. Wenn durch Druck auf eine Hautstelle, z. B. beim Rudern, Schmerzen und örtliche Veränderungen entstanden sind, so wird, falls sich die wirkende Ursache häufig wiederholt, nach und nach eine Abstumpfung derart eintreten, dass die gleiche Summe der mechanischen Leistung kaum noch empfunden wird und weiterhin örtliche Veränderungen ausbleiben. Dies kann, braucht aber nicht einmal die Folge von Schwielenbildung zu sein. Die sensiblen Nerven können, auch ohne dass eine Schwiele sie schützt, gegen die bezeichnete Art von Insult eine mindere Empfindlichkeit erlangt haben. So sah ich wiederholt, dass Gärtner, die speziell mit Kakteen arbeiteten, bei der Hantierung mit Mamillarien oder Echinokakteen an den Händen viele eingedrungene Stacheln trugen, ohne sonderlich dadurch belästigt zu werden, während bei einem nicht daran Gewöhnten schon ein einzelner infolge seiner Stechwirkung das lebhafte Bedürfnis nach Entfernung erregt.

      Ähnliches an den Funktionen von Sinnesnerven zu sehen, bietet sich oft, besonders im praktischen Betriebsleben, Gelegenheit. So wird das Stampfen von schweren Maschinen, das Fallen des Dampfhammers, die Arbeit von vielen Klöppelmaschinen von den berufsmäßig solchen Geräuschen Ausgesetzten ebensowenig unangenehm empfunden als das Abschießen oder die Detonation krepierender Projektile von [22] Soldaten im Kriege schließlich empfunden wird. Alle Sinnesorgane können bei oft wiederholter Wirkung einer gleichen sie reizenden, erschütternden, ihre Funktion in irgendeinem Intensitätsgrade auslösenden Ursache, wie man sagt, eine Abstumpfung ihrer Empfindlichkeit erlangen und erkennen lassen.

      Die Art der wiederholt wirkenden Ursache ist in Beziehung auf das schließliche Ergebnis, nämlich die Minderung der subjektiven Wahrnehmung, im Großen und Ganzen von keinem Belang. Jede Reizqualität, deren es ja unübersehbar viele gibt – so viele, dass z. B. selbst schon in der Gruppe der Hautreizmittel, die scheinbar alle die gleiche Einwirkung auf gleicher Grundlage entfalten, ein jedes unterschiedlich von dem anderen wirkt – , vermag eine Abstumpfung der Empfindlichkeit herbeizuführen. Mechanische, thermische, luminare, chemische sind in ihrem diesbezüglichen Endergebnis gleich. Dies erkennt man als eine Wahrheit, wenn man bei dem erstmaligen Aufenthalt in einem Schiffsheizraum durch die strahlende Hitze glaubt ersticken zu müssen und ihn alsbald wieder verlässt, aber bei öfterer Wiederholung von solchen Unerträglichkeitsgefühlen sich frei fühlt. Wenn man zum erstenmal in dem Laderaum eines Akkumulatorenwerkes verweilt und die nebelartig aufstrebende Schwefelsäure Reizwirkungen auch höchsten Grades mit den entsprechenden Symptomen in den Luftwegen veranlasst, so hält man es für unmöglich, dass ein berufsmäßiger Daueraufenthalt in einem solchen Räume möglich sei – und doch arbeiten Menschen darin, ohne erkennen zu lassen, dass die Säure an der Schleimhaut ihrer Luftwege subjektiv das erzeugt, was man selbst so unangenehm und unerträglich empfunden hat.

      Was unter solchen Verhältnissen, deren sich allein auf dem Gebiete der Beschäftigung mit chemischen Stoffen Hunderte anführen ließen, als materielle Berührungswirkung auftritt, findet erfahrungsmäßig seine Analogie in der Sphäre seelischer Beeinflussungen. Auch hier stumpfen sich Empfindungen verschiedenster Art und Grades, z. B. Ekel, Furcht, Trauer, ja vielleicht sogar Liebe bei langem Bestehen ab. Psychische Eindrücke von größter Lust bis zur stärksten Unlust, von höchster Freude bis zum tiefsten Schmerz verlieren, wenn sie andauernd auf Menschen einwirken, immer mehr und mehr an Einfluss. Es tritt Gewöhnung an sie ein und der Maßstab ihrer Einwirkungen, die subjektiven Empfindungsäußerungen, mit denen jene Affekte gewöhnlich beantwortet werden, bleiben allmählich aus: „L’habitude emousse le sentiment.“9

      Wie, wodurch und in welchem Umfange aber auch immer ein Gewöhnungszustand eingetreten ist – niemals besitzt er den Charakter des Absoluten. Es ist als eine Gesetzmäßigkeit anzusprechen, dass jeder dieser Zustände aufhört der zu sein, der er ist, falls der stoffliche Einfluss, der ihn veranlasst hat, in seiner Masse mit einem Male in die Höhe gesprungen ist oder wenn eine Gefahr, an die man so gewöhnt gewesen ist, dass angesichts ihrer die abwägende Besonnenheit nicht mehr als notwendig erachtet wurde, plötzlich einen höheren Umfang oder eine schlimmere Gestalt annimmt oder wenn das gewohnheitsmäßige Abgestumpftsein gegen ein Leiden durch dessen akute Verschlimmerung die bisherigen Empfindungshemmungen beseitigt, also den Toleranzumfang verkleinert. Die gewohnheitsmäßige Toleranz besteht demnach nur für eine bestimmte letzte Summe und eine bestimmte letzte Art eines Gewöhnung erzeugenden Einflusses. So kommt es, dass eine jähe Steigerung der letzten ertragenen Dosis von Morphin oder Kokain oder Nikotin oder Koffein den Gewöhnten so zu vergiften vermag, als wenn sein Körper durch den vorgängigen langen Gebrauch derartiger Stoffe eine relative Sicherung gegen Giftwirkungen nicht erlangt hätte.

      Bis zu den einzelligen Lebewesen herab kann man den Einfluss der Gewöhnung verfolgen. Eine Süßwasser [24] amöbe stirbt, wenn man dem Wasser, in dem sie lebt, plötzlich so viel Kochsalz hinzufügt, dass es 2 Proz. enthält. Setzt man dagegen dem Süßwasser allmählich von Tag zu Tag 1/10 Proz. Kochsalz hinzu, so gelingt es, die Amöbe auf einer immer stärkeren Lösung zu züchten, so dass sie endlich auch in einer

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