Sternstunden der Wahrheit. Группа авторов

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Schieflagen haben schon öfter an den Scheideweg geführt. Es verwundert daher nur wenig, dass wieder einmal der Dauergast Irak am Scheideweg eintrifft, wie der designierte US-Botschafter in Bagdad, Zalmay Khalilzad, am 7. Juni bemerkt: »Der Irak steht am Scheideweg.«

      Doch jetzt kommt es ganz schlagzeilendick: »System am Scheideweg«, betitelt Die Welt am 11. Juni eine Beilage. Steht tatsächlich das ganze Schweinesystem am Scheideweg? Nein, zum Glück handelt es sich nur um das Gesundheitssystem, das zwar enorm viel Platz beansprucht, aber zumindest etwas Raum für andere Bewohner lässt.

      Der auch dringend notwendig ist. Denn am 14. Juni treffen die ganz dicken Brieftaschen ein: »Deutsche Banken am Scheideweg«, titelt die Süddeutsche Zeitung. Inzwischen gibt es ein heftiges Geschiebe um den verbliebenen Restplatz am Scheideweg, mit den Banken jedoch sind wenigstens alle Sorgen ums Geld am Scheideweg verflogen.

      Dass dann mit Beginn des Confed-Cups »Rehhagels EM-Helden am Scheideweg« auftauchen, wie dpa am 17. Juni berichtet, irritiert längst niemanden mehr. Die griechischen Defensivfußballer sind eine echte Bereicherung in der mittlerweile Schulter an Schulter an der Kreuzung ausharrenden Masse. Tore durch die Griechen fallen allerdings nur wenige.

      Dann kommt Deutschland! Wie immer mit aller Wucht und mit der designierten Kanzlerin Angela Merkel, die der FAZ am 24. Juni ein Interview gibt, das die alten Frankfurter Zeitungshasen munter auf die Seite eins nageln: »Deutschland steht am Scheideweg«, brüllt die Schlagzeile hinaus, und allen bereits am Scheideweg Eingetroffenen bleibt nun doch die Luft weg. Das dicke Deutschland auch noch, geht ein Stöhnen durch die Reihen, und erstmals ist ein leichter Widerwille zu spüren: Man könne doch nicht jeden an den Scheideweg lassen, und wenn schon, dann lieber die CDU-Kandidatin allein. Grimmig skandieren die Scheideweg-Bewohner: »Merkel an den Scheideweg!«

      Genützt hat es nichts. Aber wir beobachten die beliebte Weggablung weiter, und demnächst werden wir dann auf eine ganz besondere rhetorische Leistung eingehen: »Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.« Gibt es auch erste Schritte in die falsche Richtung? Wahrscheinlich nur am Scheideweg.

      Michael Ringel (6.7.2005)

      Die Literatur des Landes Gordien ist reich an überaus verwickelten Problemen

      »Tertium non datur«, heißt es am Schluss von »Tao«, dem neuesten Roman von Literaturnobelpreisträger Ronato Kentzo, der damit seine unstillbare Hassliebe zum eigenen Land zur Sprache bringt: Man kann Gordien abgöttisch lieben oder es in die Hölle wünschen – eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

      Zum ersten Mal wird in diesem Jahr Gordien und seine Literatur auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sein. Das gab am vergangenen Dienstag der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bekannt und begrüßte zugleich den »starken Geschäftsstrang, der zwischen Frankfurt und Gordo geknüpft worden ist«. Und niemand repräsentiert den typisch gordischen Geschäftssinn so wie Ronato Kentzo.

      Kentzos Beziehung zu Gordien gleicht der seiner ewigen Hauptfigur Ombert Ecu. Ecu, Olympiaberichterstatter und glückloser Verfasser historischer Sportromane, der seit »Gjorcje è Tisku« (dt. »Der Knoten im Taschentuch«, Ullstein, 1997) Leser auf der ganzen Welt bezaubert, liebt die Schönheiten des Landes: die kühlen Sundischen Wälder, die heißblütigen Gordierinnen, die Strecke der Transgordischen Eisenbahn und die glorreiche olympische Vergangenheit der »Kordeln« – wie die Gordier sich selbst nennen.

      Im Telefongespräch mit dem Autor dieses Textes sagte Kentzo, der wegen eines endlos-verworrenen Strafprozesses um seine angebliche Verstrickung in eine Seilschaft zur Geldwäsche derzeit das Land nicht verlassen darf: »Nie werde ich Gordien, diesem innigst geliebten Land mit dem Knoten in der Flagge, wohl lebend mehr den Rücken kehren, und ich fürchte, der Grund für meinen frühen Tod werden ebendieses so traumhafte wie traumatisch an sich selbst leidende Land und seine engstirnigen, wenngleich liebenswerten Bewohner sein.«

      Das hinter Tetschikistan gelegene, in seinem innersten Wesen bereits asiatische Gordien, von einer einzigen, oft durch riesige Mufflonherden blockierten Bahnstrecke durchzogen, hat sich seit dem Zerfall des Sowjetimperiums nur unwesentlich entwickelt. Ein wiedererstarkter orthodoxer Klerus und eine korrupte Clique um den demokratisch gewählten Staatspräsidenten Raoul Klitschnienko hintertreiben erfolgreich jede Modernisierung. Gordien trägt in Kentzos Romanen den sprechenden Namen »Knotjestan«: Es ist ein notorisch verknotetes Land.

      Landwirtschaft und Fabrikseilerei, einst prosperierende Wirtschaftszweige, leiden seit Jahren unter der Knäuelmotte, die das Hanfgras zur Kordelherstellung unbrauchbar macht; eine tückische Baumkrankeit dezimiert die Sisal-Algarve, die den Grundstoff für Spezialseile aller Art liefert. Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen wird durch die hohe Selbstmordrate kaum gebremst. Allein im vergangenen Jahr griffen rund 100.000 Gordier zum Strick, während in der Hauptstadt Gordo ein durch Gelder aus China finanzierter milliardenteurer Präsidialpalast und 15 kolossale Ministeriengebäude eingeweiht wurden und die Präsidentenfamilie Urlaub auf den Kordelieren machte.

      Einzig in den Romanen des Ronato Kentzo findet sich derzeit ein anderes, ein euphorisches, sinnentaumelndes Gordien – bezeichnenderweise in der Welt des vergangenen olympischen Ruhms von 1924, als die gordische Nationalmannschaft mit Konstantin Jekow an der Spitze beim Tauziehen Griechenland besiegte. Durch seinen ergreifenden Kommentar zum olympischen Finale wird der kleine Sportreporter Ombert Ecu zum Nationalhelden: »Zieht, ihr Helden, zieht, mythische Gordier, packt das Tau der Erniedrigung bei den Knoten, zieht Gordien ins Licht der neuen Zeit! Reißt sie um, die Nachfahren des spöttischen, platten Alexander, der gegen unseren gordischen Tiefsinn, gegen den ehrbaren gordischen Knoten in unserer vorderasiatischen Volksseele, einst das schnöde Schwert gebrauchte! Hier helfen ihnen keine Schwerter, hier hülfe nur die schiere Zugkraft. Doch die haben sie nicht. Die fehlt ihnen. Zieht, gordische Brüder, zieht Gordien zum Sieg, zieht unser Gordien zur Freiheit!«

      Gerade diese Zeilen würdigte 1979 das Nobelpreis-Komitee in Stockholm, als es Ronato Kentzo ehrte, der in seiner Dankesrede der gordischen Literatur ein Denkmal setzte: »Mit den gordischen Literaten ist es wie mit den Pflanzen in einem Treibhaus, dessen Bewässerungssystem zerstört ist. Sie stehen noch in vollem Saft und ahnen nicht, dass kein Wasser mehr kommen wird. Die verdorbene, von Geld- und Machtgier korrumpierte Politik wird an ihrem Tod schuld sein, wie sie auf kurz oder lang den Untergang Gordiens herbeizuführen droht.«

      Möge deshalb die Präsenz von 25 belletristischen und 475 Fach-Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse die Schlinge lockern helfen, die sich um den Hals der gordischen Hochliteratur zu schließen droht. Denn: »Wenn alle Stricke reißen«, erklärt Ronato Kentzo mit gebotener Schärfe, »hilft nur … – Literatur!«

      Tom Wolf (24.9.2005)

      »Chinas Ministerpräsident Wen telefoniert mit Bundeskanzlerin Merkel«, meldete gestern dpa, und wir nehmen uns die Freiheit und belauschen für einen Moment das Gespräch der beiden Spitzentelefonierer: (Kanzleramt, Berlin, Donnerstag, 2. März 2006, 11 Uhr, Büro der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.) Das Telefon klingelt. In der Leitung ist die Vorzimmerdame: »Frau Dr. Merkel, Wen ist jetzt am Apparat.« – »Wen?« – »Ja, Wen. Sie wollten doch Wen sprechen?« – »Wen wollte ich sprechen?« – »Wen! Frau Dr. Merkel. Ich stelle ihn jetzt mal durch.« Rauschen. Knacken. Brizzeln. »Wen!« – »Wen … äh, wer ist da?« – »Wen, Flau Doktol Melkel!« – »Aha, wen sind Sie?« – »Ja, Wen! Velstehen Sie mich?« – »Wen? Ich verstehe gar nichts!« – »Wen aus China!« – »Ach aus China! Und wie heißen Sie nochmal?« – »Flau Doktol Melkel …« – »Aber Melkel … ich meine, Merkel heiße

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