Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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und 1956, leistete dieser Theo­loge seinen Beitrag zur Erneuerung der niederländischen reformier­ten Theo­logie mittels der Publikation von Büchern, Artikeln und vielen Gele­genheitsschriften, die in den elf Bänden der Gesamten Werke ge­sam­melt sind.15 Er blieb sein ganzes Leben Dorfpfarrer und entging mehrmals einer Ernennung zum Professor. 1935 bekam Noord­mans ein Ehren­dok­­­to­­rat der Universität Groningen. Sein wissenschaftliches Ansehen war gross. Viele Theologen betrachteten diesen Dorfpfarrer als ihren Lehr­meis­ter, so zum Beispiel Kornelis Miskotte, der Dogmatik an der Uni­ver­­­­­sität Leiden lehrte. Dessen Nachfolger, Hendrikus Berkhof, hat Noord­mans als den genialsten nie­derländischen Theologen des 20. Jahr­­­hunderts bezeichnet. Noordmans wird besonders als ein «Theologe des Heili­gen Geistes» angesehen. Er formulierte seine theologische Theorie als Pneu­ma­tologie, d. h. sein Den­ken war geprägt von der Aufmerk­­sam­keit für das Wirken des Geistes, durch welches die ganze Heilswahrheit, auch das Erlösungswerk Christi, eine innerliche, lebensumfassende Erfahrung wird.

      Oepke Noordmans stammt aus einem reformierten Milieu in Fries­land, Nord-Niederlande, und wurde später ein Repräsentant dessen, was |54| man in den Niederlanden als «Ethische Theologie» bezeichnete, eine moderne Variante der reformierten Theologie (deren Begründer im 19. Jahrhundert Daniel Chantepie de la Saussaye und Johannes Hermanus Gunning waren).16 Diese theologische Richtung war mit der deutschen Vermittlungstheologie verwandt (allerdings stärker orthodox geprägt) und suchte eine Synthese von Kultur und Christentum, ausgehend von der Inkarnation, dem Grundgedanken, dass in Jesus Christus das Wort wirklich Fleisch, also Kultur und Geschichte, geworden ist. Die Ethische Theologie stellte sich damit gegen den Intellektualismus des neocalvi­nistischen Offenbarungsglaubens von Abraham Kuyper und den libera­len Subjektivismus der sogenannten «vrijzinnigen» (Karel Hendrik Roes­singh u. a.). Das typisch Reformierte sahen die Ethischen Theologen in der Er­kenntnislehre, in der Betonung des Persönlichen im Erkennen der bibli­schen Wahrheit. Diese personalistische Erkenntnislehre hat ihren Aus­gangspunkt nicht in einem Prinzip oder einem abstrakten Begriff, sondern im persönlichen Wort, das in Jesus gehört wird und nach Ant­wort verlangt. Die Ethische Theologie legte Nachdruck auf die Bildung des Menschen zu einer «religiösen Persönlichkeit» als Zugangsweg zu Gott. Anders als die verwandte Strömung des Neocalvinismus war die Ethi­sche Theologie weniger scholastisch und suchte stärker danach, in wel­cher Weise biblische Wahrheit das Leben in Bewegung bringt.

      In der Entwicklung von Noordmans᾿ Theologie spiegelt sich sein Ver­ständnis der Zeit, in der er lebt. Die tiefgreifenden Ereignisse in den ers­ten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts wie die Erschütterung durch den Ersten Weltkrieg und die russischen Revolution, die Arbeitslosigkeit und die prekären sozialen Umstände der Arbeiter in Europa, das alles brachte Noordmans dazu, seine ethisch-theologische Position neu zu durchdenken. Er erkannte, dass eine bedrohte Humanität einer adäquate­ren theologischen Durchdringung bedarf, als dies die Ethische Theolo­gie mit ihrem Interesse für die religiöse Persönlichkeit leisten konnte. Aus eigener Kraft machte er eine Wendung in seinem Denken durch, die man mit der Wendung in der Dialektischen Theologie hin zu einem of­fen­­barungstheologischen Ansatz vergleichen kann. Anfang der 1920er Jahre erschienen Artikel Noordmans᾿, in denen diese Wendung deutlich arti­ku­­liert |55| ist. Noordmans problematisiert darin das ethische Persönlich­keits­­­denken und sagt, dass wir nur dann, wenn wir im Glauben die Sichtweise Gottes mitvollziehen – exzentrisch –, zu sehen bekommen, wer wir als menschliche Personen sind.17 Das Leben zwischen Geburt und Tod lässt sich nicht von innen heraus verstehen.

      Noordmans war ein visionärer Geist, der vorhersah, dass das 20. Jahr­hundert ein Jahrhundert mit grundsätzlichen Veränderungen auf vielen Gebieten der Gesellschaft werden würde – nicht nur im Bereich von Reli­gion, Kunst und Organisation, sondern auch auf dem Gebiet der Wis­senschaft und ihrer Anwendungen. Er hatte ein Auge für die destruktiven Seiten der neuen Technologien, wenn diese im Kriegsbetrieb angewendet und so als Instrument gewalttätigen Machtswillens missbraucht werden. Man muss Noordmans᾿ Theologie, wie auch die von Karl Barth, als eine Reak­tion auf eine Periode der Krise verstehen. Wie Barth sah Noord­mans sich dazu gedrängt, eine Theologie zu entwickeln, die einer Theo­­­­lo­gie widerstand, die mit dem Zeitgeist antidemokratischen Denkens und nationalistischer Ideologie ging. In «Neuschöpfung», seinem dogma­ti­schen Hauptwerk aus den 1930er Jahren,18 aber ebenso in Artikeln machte er seine Sichtweise deutlich. Und wie bei Barth spielt auch bei ihm die Eschatologie eine Schlüsselrolle.19 Noordmans᾿ Theologie ist zukunfts­orientiert.

      Die eschatologische Ausrichtung ist nicht im Sinne einer Flucht aus der Gegenwart zu verstehen, vielmehr geht es darum, die menschlichen Möglichkeiten aufzudecken, die sich gerade in Krisenzeiten offenbaren. Glaube und Theologie bekommen in Noordmans᾿ Werk eine grosse Ver­antwortung, wenn es um die Reflexion von Ethik und Wissenschaft geht. |56| Ein Barthianer ist Noordmans nicht geworden, dafür war sein Denken im Zeitpunkt, wo er Barth kennenlernte, bereits zu sehr ausgereift. Auch war das Prinzip der Ethischen Theologie, dass man jeden Tag eine be­stimmte Empfänglichkeit für die göttliche Wahrheit erleben kann, für ihn unaufgebbar. Es gibt in Noordmans᾿ Denken eine Verbindung zwischen Wort und Person, die in seinen Artikeln nach 1935 zu immer kritischeren Fragen an Barths Theologie des Wortes führte.20 Das Wort Gottes ist vom menschlichen Leben und menschlicher Erfahrung zu unterscheiden, darin stimmt Noordmans mit Barth überein, aber dieses Wort wird wirk­sam in der Existenz des Christen. Der Fokus liegt bei Noordmans auf dem pneuma­to­lo­gischen Ansatz und damit der Wirkung des Wortes. Trotz aller Verwandtschaft muss gesagt werden, dass Noordmans aufgrund seines reformiert-pneumatologischen Anliegens lebenslang sowohl der Dialektischen Theologie als auch dem Neocalvinismus von Abraham Kuyper gegenüber kritisch blieb.

      4. Noordmans’ reformiertes Profil

      Was fällt auf, wenn man Noordmans anhand der fünf Punkte der reformierten Geisteshaltung von Gerrish in den Blick nimmt? Was fällt als das unter­scheidend Reformierte auf?

      4.1 Ehrfurcht vor der Vergangenheit: hörendes Denken

      Achtung vor der Vergangenheit ist für Noordmans’ Denken von zentraler Bedeutung. Man kann bei ihm von einem hörenden Denken sprechen. Dies hat für ihn mit «Autorität» zu tun, aber nicht mit einer Autorität im Sinne von Zwang. Vielmehr geht es darum, eine Haltung des Zuhörens einzunehmen und so intellektuelle Bescheidenheit zu zeigen. Ich möchte diesen Punkt anhand eines Artikels aus dem Jahre 1921 näher erläutern, denn dieses Jahr wird meistens als das angesehen, in dem Noordmans eine Wendung von einer ethisch-theolo­gischen hin zu einer stärker offen­­­ba­rungstheologischen Position durchlaufen hat. Aus diesem Jahr stam­­­­men einige Aufsätze, die tatsächlich seinen theologischen An­satz der fol­gen­den Jahre ankündigen. Einer dieser Aufsätze trägt den Titel «Glau­ben auf Autorität hin». Dieser Aufsatz ist ein Plädoyer für ein Autoritäts­element |57| in der Erkenntnislehre und kritisiert den Hang zu in­tellektueller Autonomie sowohl in der Theologie als auch in der Kultur. «Glauben auf Autorität hin» bedeutet, aus einem Hören heraus zu glau­ben, durch welches ein Mensch in seiner ganzen Existenz betroffen wird. Hören gelingt so, dass man seine Aufmerksamkeit zu den Stimmen der Heiligen Schrift und der Kirchengeschichte ziehen lässt, aber auch zu den Stimmen derer, die noch kein Gehör in dieser Welt gefunden haben. Es geschieht etwas, wenn sich das Denken in den Dienst dieses Hörens be­gibt; das Denken und damit die Geisteshaltung werden bescheiden. Am hörenden Denken sind dabei zwei Seiten zu unterscheiden, eine anthro­pologische und eine theologische. Das Anthropologische zielt auf etwas, das nach Noordmans für das Menschsein wesentlich ist. Es ist die Ehr­furcht vor dem Geheimnis der Stimme, für das, was Noordmans als «das zum Klang geworden Innerliche des Menschen» beschreibt. Und er schreibt weiter: «Verkennung des Wortes, in jeder Form, schädigt die Heiligung des innerlichen Menschen» (VW 2, 142). Die theologische Denkhaltung, die dieses Hören achtet, basiert nicht auf einem wissen­schaftlichen Drang, selbst etwas zu finden, oder auf unbeugsamen Prin­zipien, sondern sie richtet sich nach der «Grammatik des Glaubens» (dem «Wort­zu­sam­men­hang» der Evangeliumsverkündigung, wie Noordmans in «Neu­schöp­­­fung»

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