Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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weil es von der Erkennt­nis, die bei Gott ist, umgriffen ist. Das hat man Noordmans zufolge im niederländischen Pro­testantismus seiner Zeit verlernt. Man wollte zwar noch Autorität für die Moral anerkennen, im Denken aber autonom sein.

      4.2 Kritik: die Fülle von Gottes Heils nicht einschränken

      Der zweite Punkt der reformierten Geisteshaltung führt uns zum Ent­scheidenden an Noordmans᾿ Beitrag zur Theologie des 20. Jahrhunderts. Noordmans hat sich nicht nur zur sogenannten Ethischen Theologie, der Variante der reformierten Theologie, die er gelernt hatte, kritisch ver­halten, son­dern auch zu der grösseren Linie der Reformations­geschichte. Ich nenne einige auffallende Punkte und werde danach näher auf seinen wichtigs­ten Beitrag zur Theologie, den sogenannten kritischen Schöp­fungs­begriff eingehen.

      a. Noordmans und Calvin/Calvinismus

      Calvin ist in Noordmans᾿ Gesamtwerk als ständiger Referenzpunkt seiner Entwicklung überall präsent. Noordmans nennt ihn selbst «meine Auto­rität» (VW 1, 201). Man kann Noordmans᾿ Hauptwerk «Neuschöpfung» als eine Übertragung von Calvins Institutio unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts sehen. Das heisst: Noordmans liest Calvin unter dem Gesichtspunkt einer bedrohten Humanität. Besonders die Weise, in der Calvin über den Glauben redet, ist für Noordmans grundlegend. Glauben heisst, Christus anzugehören, unio mystica, die durch Gottes Geist bewirkt wird. Das sagt etwas über Identität aus: Man lebt als Mensch von dem, was man selbst nicht besitzt, und man leiht seine Identität von dem, was einen noch erwartet.21 Die Anthropologie geht hier in der Pneumatologie auf.

      Noordmans᾿ kritische Geisteshaltung zeigt sich in seiner Unterschei­dung zwischen Calvin und dem Calvinismus. Noordmans sagt in seinen Texten oft, dass er auf der Suche nach dem «wahren» Calvin sei. Seines Erachtens ist dieser in den dogmatischen Systemen der streng calvinisti­schen Varianten der konfessionellen Theologie abhanden gekommen. Oft redet Noordmans über die Kargheit und Härte des Calvinismus, wodurch das Heil Gottes unzulänglich beschrieben werde. Ein gutes Beispiel dafür ist seine Meditation «Sünder und Bettler» (siehe Luk 16,19–31; VW 8, 15–25), worin er deutlich macht, dass Heil nicht nur mit der Sündhaftigkeit der Menschen zu tun hat, sondern auch mit der leiblichen und geistlichen Not, in der sich Menschen befinden. Theologen können mit ihrem Dis­kurs auch eine Mauer gegen den Reichtum von Gottes Heil in dieser Welt aufbauen. Es gibt, schreibt Noordmans oft, mehr im Evangelium, als die Kirche sich daraus angeeignet hat (z. B. VW 8, 25).

      b. Noordmans und Barth

      Wie bereits erwähnt, hat der Einfluss von Barth auf Noordmans bei die­sem keine direkte Wendung verursacht, sondern einen Prozess verschärft, der bereits im Gange war. Dabei artikulierte er das Anderssein Gottes schärfer als jemals vorher und unterstrich, dass das Menschsein in seiner wahren Bedeutung nur von der Neuprädikation durch Gott her zu erken­nen ist. Wo liegt bei aller Verwandtschaft die Differenz zu Barth? Es gibt zwischen 1925 und 1940 mehrere Beiträge von Noordmans zu Barths |59| Theologie, die mehr Licht darauf werfen. Ich kann nur einen einzigen Hauptpunkt nennen. Interessant ist, dass Noordmans᾿ Kritik an Barth durch ein Zurückgreifen auf die reformierte Tradition geschieht. Noordmans interpretiert das Kritische an Gottes Reden in unserer Wirk­lichkeit anders als Barth, da er ein anderes Verständnis des Wortes Gottes hat. Das Wort hat bei Barth – so Noordmans᾿ Sicht – zu wenig Zeitbin­dung. Barth sieht seiner Meinung zu wenig das Dynamische und Beweg­liche von Gottes Wort, das Möglichkeiten bietet, im Leben einen Weg zu finden. Noordmans sucht also die Wirkung dieses Wortes in allen Din­gen. Die Dynamik des Wortes macht gegenwärtig, was in der Kultur ver­drängt wird. Es gibt in jenem Wort immer etwas Schöpferisches, etwas vom «Es werde …» von Genesis 1. Es wird Raum für das geschaffen, was noch nicht ist. Diesen Akzent vermisst Noordmans bei Barth. Noordmans will das Wort nicht als ein «Geschehen» sehen, sondern als «Medium» von «göttlicher Offenbarung», die eine «geistliche Kontinuität» impliziert (VW 2, 188). Er ist der Meinung, dass Barth in seiner Auffassung vom Wort zu lutherisch geblieben ist und zu wenig vom reformierten Be­wusstsein zeigt, dass das Wort «weitergehende Wahrheit» (VW 3, 643) ist, die sich in sehr verschiedenen Formen in der menschlichen Existenz zeigen kann. |58|

      c. Noordmans und die Konfession

      Mit meinen Bemerkungen zur Dynamik des Wortes, das zur schöpferi­schen Kraft im Menschenleben wird, habe ich schon auf eine wichtige Innovation aufmerksam gemacht, die Noordmans in seiner Auslegung des niederländischen Glaubensbekenntnisses (Confessio Belgica, 1561) entfaltet. Das Ziel des göttlichen Wortes in der Welt ist, dass das Bild Gottes vom Menschen an den Tag kommt. Das Evangelium ebnet dafür den Weg, indem es den Erstgeborenen der neuen Schöpfung, Jesus Christus, zeigt. Noordmans korrigiert das traditionelle Denken über die Ordnung von Schöpfung und Vorsehung, indem er geltend macht, dass unsere Erkenntnis ihre Kraft erst von der Aufmerksamkeit für den Ge­kreuzigten her entfalten kann. Dort, in seiner Nähe, formt sich ein neues Bild vom Menschsein. Und darum heisst Schöpfung bei Noordmans «ein Lichtfleck um das Kreuz herum» (VW 2, 245). In meinem letzten Para­graph komme ich auf diesen innovativsten Punkt in Noordmans᾿ Theolo­gie zurück. |60|

      4.3 Offenheit für säkulare Einsichten

      Auch der dritte Punkt der reformierten Geisteshaltung, Offenheit für Weisheit und Einsicht ausserhalb der Welt von Glauben und Theologie, war Noordmans nicht fremd. Philosophie und Weltliteratur waren in seiner Bibliothek in reichem Masse vertreten. Seit dem Anfang seiner theologischen Entwicklung schrieb er über Philosophen wie Descartes, Pascal und Heidegger. Sein Gesamtwerk ist voll von Hinweisen auf grosse Literatur. Charaktere aus der Literatur kommen in seinen Werken auf zwanglose und spielerische Art und Weise vor. Sie dienen nicht dazu, der theologischen Arbeit eine kulturelle Farbe zu geben, sondern sollen die Einsicht vertiefen. Besonders Autoren wie Goethe, Cervantes, Dickens und Dostojewski werden angeführt. Ich nenne hier als Beispiel Dosto­jewski, von dessem Literatur sich Noord­mans in seiner Theologie beleh­ren lässt. Ich wähle ihn, da Noordmans bei Dostojewski die beste Illustra­tion für die Theologie von Karl Barth fand. Noordmans schreibt: «Die Charaktere in Dostojewskis Romanen sind, abgesehen von einigen Aus­nahmen, alle doppelt. Sie sind nicht Sünder oder Heilige wie bei Dickens, sondern Sünder und Heilige zugleich.» Dostojewski kennt die dunkelsten Ecken des Lebens, «aber er kennt sie zweimal, und aus dem Finstern ruft er sie auf nach ihrer ewigen Bedeutung» (VW 3, 590). Der folgende Ab­schnitt zeigt Noordmans᾿ Vertrautheit mit den Kerneinsichten aus Dos­tojewskis Romanen und macht anschaulich, wie er in jenem Licht die Theologie von Karl Barth belauscht.

      «Er [Dostojewski, A.vdK.] geht ganz tief auf das Seelenleben seiner Per­­sonen ein. Er wirft das Ganze über den Haufen. Und doch zeigt er uns keine stetige Charakterentfaltung. Sie haben nicht einen Kern in ihrem Leben, einen guten oder bösen, der sich entwickelt, so dass ihre Per­sönlichkeit zu etwas Gutem oder Bösem heranwächst und sie Gott oder dem Teufel gleichförmig werden. Sie werden nicht logisch be­handelt. Nicht stetig weitergedacht. Ihr Leben ist nicht stetig.

      Aber wenn Dostojewski sie gelockert hat, wie man ein Stück Land mit einem Pflug lockert, wenn man gut gesehen hat, dass es Menschen sind und nicht mehr, wenn er ihr Herz, und ich sollte fast sagen, ihr Fleisch aufgerissen hat, dann lässt er manchmal etwas geschehen, wo­rin wir mit Überraschung entdecken, dass der Mensch einen Schöpfer als Gegenüber hat, dass der Sünder einem heiligen Gott gegenüber steht und der Verlorene einem Erlöser. So beschreibt Dostojewski die |61| Menschen nicht, um sie zu vergöttlichen, sondern um Gottes Offenba­rung an ihrem Leben zu zeigen. Das ist die dialektische Methode. Wir können mit unserem Denken und Entwirren, Analysieren, nur Fragen stellen, die Wahrheit muss aus dem Jenseits kommen. Sie führt nicht vom Menschen zu Gott, sondern sie macht den Menschen erst recht zum Menschen. Sie erklärt all das Göttliche, das er in sich selbst zu ha­ben meint, für falsche Münze, sie macht alle Menschen in jeder Hin­sicht gleich, um den Grund

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