Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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Jesus der Welt hält», am eindringlichsten auf Golgota.2

      Diese Sicht des Reformiertseins im Sinne von Unterwegssein und als eine Beteiligung an einem permanenten Gespräch, in welchem von der eigenen Situation her immer eine Rückbesinnung auf das Christus­ge­schehen statt­findet, hat – so Eberhard Busch – eine lange Tradition. Sie ist schon in Zwinglis Thesen von 1523, dem ersten reformierten Bekenntnis, präsent. Und im «Berner Synodus» von 1532 wird im selben Geist gesagt: «Würde uns aber etwas von unseren Pfarrern oder anderen vorgebracht, das uns näher zu Christus führt und nach Vermögen zuträglicher ist als die jetzt aufgezeichnete Meinung, das wollen wir gern annehmen und dem heili­gen Geist seinen Lauf nicht sperren.»3

      Reformierte Identität ist also von Anfang an keine statische, sondern eine dynamische Wirklichkeit, die in der Dynamik des Wirkens des Geistes Christi verwurzelt ist. Sie hat mehr zu tun mit einer Geisteshal­tung, einer sogenannten habit of mind, als mit einer fixierten Reihe von Glaubenswahrheiten. Eine Haltung, die geformt wird durch das Wirken des Heiligen Geistes. Dieses Wirken geht, so Noordmans, gleichsam durch uns hindurch – durch das Herz sowie durch Hände und Füsse – |50| zur Welt (VW 2, 425). Reformierte Identität ist nach Noord­mans ein pneu­ma­tologisches Konzept.

      2. Die fünf Punkte der reformierten Geisteshaltung

      Die Frage, die uns nun weiter führt, lautet: Wie soll man unter Berück­sichtigung der erwähnten Dynamik das Profil Noordmans᾿ als refor­miertem Theologen beschreiben? Ich tue dies mit Hilfe der fünf Kennzei­chen der reformierten Geisteshaltung, die der amerikanische Theologe Brian Gerrish in einem Buch über die «Zukunft der Reformierten Theolo­gie» vorgestellt hat.4 Diese Kennzeichen lassen sich als Interpretations­hil­fe für Noordmans᾿ Theologie benutzen. Gerrish argumentiert, dass Cal­­vin in seiner Institutio keine vollständige Liste von reformierten Glau­bens­­­arti­keln erstellt habe, sondern nur einige erwähnt, die allerdings notwendig seien: «Es ist ein Gott, Christus ist Gott und Gottes Sohn, unser Heil be­steht in Gottes Barmherzigkeit.»5 In seinem Kommentar zu 1Kor 3,11 unterstreicht Calvin sogar, dass es nur eine elementare Lehre gebe, die nicht aufgegeben werden darf, nämlich dass wir Christus anhaften, da er das einzige Fundament der Kirche ist.6 Dies ist aber letztlich keine Lehre, sondern eine Geisteshaltung. Sollte man darum nicht sagen können, so fragt Gerrish, dass dies diejenige Geisteshaltung ist, worauf alle christli­che Lehre aufbaut?7 Gerrish arbeitet deshalb fünf Kennzeichen einer refor­mierten Geisteshaltung heraus, zu denen theo­logische Bildung in Seminarien oder Universitäten befähigen sollte, damit die Pastoren in den Kirchen diese Geisteshaltung wieder in den verschie­­de­nen Aspekten ihrer Arbeit weitervermitteln können. Ich stelle diese Geisteshaltung kurz vor und werde danach anhand ihrer Kennzeichen das Profil Noordmans᾿ skizzieren.

      1. Das erste Kennzeichen ist die Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Das ist freilich, nach Gerrish, nicht etwas, was heute hoch angesehen ist, es ist aber das, was im Begriff der Tradition enthalten ist. Will man heutzutage die reformierte Tradition aufrechterhalten, dann bedeutet dies Achtung |51| vor den Aposteln und Kirchenvätern. Dieses Kennzeichen zeigt an, dass wir etwas empfangen haben. Es macht bescheiden, wir sind nicht besser als unsere Vorväter (vgl. 1Kön 19,4). Achtung vor der Tradition bedeutet jedoch nicht nur Achtung vor dem, was in historischen Büchern steht. Die richtige Achtung entsteht erst dann, wenn man sich auch zu den Ausagen verhält, mit ihnen in ein Gespräch eintritt. Dieses Kennzeichen ist zudem eine Aufforderung, nicht nur die neuesten Bücher im Blick zu haben und zu lesen, sondern auch die alten Quellen. Es gibt keine wirkliche Achtung vor einem Theologen wie zum Beispiel Karl Barth, wenn man dessen Quellen nicht auch gelesen hat. Wenn wir diese Achtung vor den alten Quellen verlieren, können wir laut Gerrish «genausogut zumachen und die Gebäude jemandem verkaufen, der sie sinnvoller verwenden kann».8

      2. Das zweite von Gerrish erwähnte Kennzeichen ist die kritische Hal­tung gegenüber der theologischen Erbschaft der Vergangenheit. Dies ist für den Reformierten genauso wesentlich wie die Achtung. Es gilt «zu­gleich ehrfürchtig und kritisch zu sein!»9 Dass gerade hierbei Spannungen auftreten, merke man beispielsweise bei Calvin. Einerseits wurde er, Gerrish, inspiriert durch Calvins Vision der väterlichen Güte Gottes, andererseits stört er sich an Calvins «angeekelter Rede über die conditio humana».10 Im Umgang mit der Tradition ist es schwer, sich dem Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstossung zu entziehen. Da­r­um ist es so wichtig, das richtige Gespräch mit der Tradition zu lernen: Wir sollen sie nicht ignorieren, sie aber auch nicht nur passiv aufnehmen. Lerne dich zur Tradition zu verhalten! Calvin selbst hat es uns vorge­macht. Er schreibt einem katholischen Gegner (Pighius): «Wir arbeiten Tag und Nacht daran, die Tradition nicht nur auf das Treueste zu bewah­ren, sondern sie auch in die bestmögliche Form zu überführen.»11 Ohne Kritik an der Tradition hätte es keine Reformation der Kirche gegeben. Jetzt gibt es eine reformierte Tradition, aber diese kann nicht ohne konti­nuierliche Selbstkritik fortbestehen. Darum gilt: ecclesia reformata semper reformanda. Das ist nach Gerrish eine Geisteshaltung und kein leeres Motto. Sonst reduzieren wir die lebendige Tradition auf die beschränkten Grenzen unserer Lieblingsthemen. |52|

      3. Das dritte Kennzeichen einer reformierten Geisteshaltung ist die Offenheit: Offen zu sein für Weisheit und Einsicht, wo immer sie gefunden werden können. Sich gute Gedanken zu leihen, ist kein Problem. Calvin selbst stützte sich neben Luther auch auf die Humanisten. Gott säe auch bei weltlichen Autoren Einsichten, schreibt Calvin in sei­nem Kommentar zu Joh 4,36.12 Er schreibt nicht nur sein erstes Buch über den römischen Philosophen Seneca, sondern liest auch weiterhin seine klassischen Autoren, trotz der turbulenten 40er Jahre des 16. Jahrhunderts in Genf. Es gehört zur reformierten Haltung, Offenheit dem Weltlichen gegenüber zu lernen und zu zeigen. Theologische Bildung darf in der reformierten Tradition per definitionem keine Insel inmitten anderer Wis­senschaften sein.

      4. Das vierte Kennzeichen der reformierten Geisteshaltung ist Gerrish zufolge ihre Zuwendung zur Praxis, ihre Ausrichtung auf Öffentlichkeit. Theologische Wahrheit ist grundsätzlich mit guten Werken verbunden. Die guten Werke des theologischen Geistes sind nicht nur wahre Ge­dan­ken, Gerrish bezeichnet sie als «wohldurchdachte Handlungen».13 Das impliziert, dass die Erkenntnis Gottes sowohl auf persönliche als auch soziale Verände­rung zielt. Anders als Luther, für den Reformation Predigt des Wortes Gottes bedeutet, sieht Calvin Reformation als die Pflicht, nicht nur zu verkündigen, sondern jeden Bereich des öffentlichen Lebens zu reformie­ren. Theologische Bildung gemäss der reformierten Tradition hat diese Haltung zu fördern, wenn sie sich selbst treu bleiben will.

      5. Das fünfte und letzte der von Gerrish vorgestellten Kennzeichen ist ein klassisches: Diener des Wortes Gottes zu sein. Gerrish beruft sich auf die historische Bezeichung der reformierten Kirchen: Die reformierten Kir­chen sind nach dem Wort Gottes reformiert. Im reformierten Bewusstsein gab es immer etwas von einem prophetischen Gefühl, dass man wie Jeremia unter dem Wort des Herrn steht (vgl. Jer 20,9). Das Wichtigste, das nach Gerrish über das Wort Gottes zu sagen ist, ist, dass Gottes Wort kommt. Es ist nicht etwas, das wir entdecken oder worüber wir lesen oder uns entscheiden zu lesen. Es kommt, auch wenn wir nicht hören oder nicht hören wollen. Was ist dieses Wort? Es ist die gute Nachricht, dass das Wort Fleisch geworden ist. Das bringt eine Notwendigkeit mit sich, |53| dies auch zu predigen: «Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht ver­kündige!» (1Kor 9,16). Dies, so formuliert Gerrish, ist das Herzstück der reformierten Geisteshaltung, wenngleich es nicht den Reformierten vor­behalten ist. Darum heissen Pfarrerinnen und Pfarrer Verbi Divini Ministra/Minister, Dienerinnen und Diener am Wort Gottes. Diese Hal­tung des Die­nens bewirkt, dass die reformierte Geisteshaltung gleichzeit­lich re­spek­tvoll und selbstkritisch sein kann. Tradition ist, mit Calvin ge­sprochen, nichts anderes als ein Weiterreichen des Wortes Gottes.14

      3. Zum Hintergrund von Noordmans' Denken

      Anhand von Gerrishs fünf Kennzeichen werde ich nun ein Porträt von Noordmans zeichnen. Dabei werde ich Noordmans᾿ Gespräch mit Barth und dessen Theologie ins Spiel bringen, um so dem Eigenen von Noord­mans als reformiertem Theologen

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