Ich rede zu viel. Francis Rossi
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Sie verstand nicht – oder es war ihr egal –, was ich machte, dachte, ich würde in einer Popband herumblödeln, statt mir einen anständigen Job zu suchen. Vielleicht sah das ja auch meine Familie so, doch sie zeigte es nicht direkt. Vermutlich dachte sie, dass immer noch der Job im Eiswagen auf mich wartete, wenn das mit der Musik nicht klappte. Was Jeans Mutter hingegen wusste: Ich war den Großteil der Nacht nicht anwesend, aber zu häufig am Tag. Ständig lag sie ihrer Tochter in den Ohren.
Und so fing alles an: „Wir haben jetzt ein Kind. Es wird höchste Zeit, dass du aufhörst, in der Weltgeschichte herumzuziehen und deine Zeit mit einer Band verschwendest. Werde sesshaft, und fang endlich an, Geld für deine Familie zu verdienen.“ Das ging sogar so weit, dass Jean mir ein Ultimatum stellte: „Entweder ich oder die Gruppe!“ Das gehört auch zu den Problemen, mit denen sich fast alle aufstrebenden Musiker zu einem bestimmten Zeitpunkt herumschlagen müssen.
Gelegentlich geht das so weit, dass es zu einem Initiationsritus wird, an dessen Ende man sich für einen Weg entscheiden muss. In meinem Fall antwortete ich einfach: „Du wusstest von der Band schon vor der Hochzeit, wusstest, wie es war. Wenn du jetzt deine Meinung änderst, ist das okay, aber ich werde mein Ding durchziehen, wie ich gesagt habe.“
Dann beschuldigte sie mich, eiskalt zu sein, gefühllos und gleichgültig. Doch ich war in dieses Mädchen verschossen! Ich liebte meinen Sohn. Außerdem wusste ich, dass ich schon bald einen „richtigen Job“ hätte, würde die Band ein wenig Glück haben. Abgesehen vom Kummer darüber, eventuell die Gruppe aufgeben zu müssen, mochte ich die Rolle eines verheirateten Mannes und jungen Vaters. Ein Kind zu haben, war für mich eine ernsthafte Angelegenheit. Doch auch aus diesem Aspekt entstand ein Problem, das Jean und ich nicht mit einem vernünftigen Gespräch lösen konnten: Ich glaubte an eine strikte Erziehung mit klaren Regeln und Grenzen, daran, den Kindern den Unterschied zwischen „falsch“ und „richtig“ beizubringen. Jean sah das eher im Geiste der Sixties und erzählte anderen: „Meine Kinder dürfen alles machen, was sie wollen.“ Ich konterte: „Nein, das dürfen sie nicht!“ Und dann begann der nächste Streit.
Schließlich verzog ich mich aufs Klo. Es war der einzige Ort im ganzen Haus, an dem man mich mal fünf Minuten in Ruhe ließ. Schrecklich, dieser eiskalte Raum mit einer harten, hölzernen Klobrille. Das Klo glich zu allem Überfluss noch einem Miniaturschrank, doch ich verbrachte dort immer mehr Zeit und nahm sogar meine Gitarre mit. Es war so klein, dass ich zum Spielen den Hals in die Höhe halten musste. Doch ich hockte da Stunden, die Füße gegen die Wand gestemmt, spielte auf der Gitarre rum und sang.
Auf Drängen von John Schroeder hatte ich mit dem Songwriting begonnen. Wir alle probierten das aus. Die Tatsache, dass die Beatles, die Rolling Stones, die Who und die Kinks ihr eigenes Material schrieben, bedeutete, diese Kunstfertigkeit zu übernehmen, wenn man in derselben Liga gesehen werden wollte. Sonst musste man Bands nacheifern wie den Hollies und Manfred Mann, die auf der Suche nach Songs regelmäßig die Musikverlage in der Denmark Street abklapperten. Aus meinem ersten Versuch wurde die einzige Single von Traffic Jam. Sie hieß „Almost But Not Quite There“. Der Titel besagte alles, denn er deutete verdeckt auf das jahrhundertealte Problem hin, den Sexpartner „beinahe, aber noch nicht“ ganz befriedigt zu haben. Der Text stammte natürlich auch von mir. Aus irgendeinem Grund, an den ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann, wurde das Stück aber Pat Barlow und mir zugeschrieben. Ich fand den Titel echt clever, bis die BBC das Urteil fällte, der Text sei „zu suggestiv“, und den Song augenblicklich von der Programmliste strich.
Als Frischvermählter begann ich, langsam darüber nachzudenken, ob Jean und ihre Mutter nicht doch recht hätten und ich mir ernsthafte Gedanken über eine andere Tätigkeit machen müsste. Ich sprach mit Dad, ob ich vielleicht für ihn einen der Eiswagen fahren solle. Uns hatte zu allem Überfluss die Nachricht ereilt, dass auch die Leute von der Plattenfirma ernsthafte Zweifel hegten. John Schroeder war der Einzige, der noch einen Versuch wagen wollte. Möglicherweise lag das aber eher an Johns Gedanken an seinen Ruf im Business, den er nicht beschädigen wollte, denn an seiner Besorgnis über unsere Karriere. John hatte so viele Erfolge erlebt und wollte uns nicht als Versager abschreiben.
Schließlich kam es zum Entschluss, dass wir ein letztes Mal mit John ins Studio gehen sollten, um etwas auf die Beine zu stellen. Das Motto lautete: Jetzt oder nie! Uns war das allen schmerzhaft bewusst, doch auf mir lastete der größte Druck, da ich es zu meiner Aufgabe gemacht hatte, einen Song mit Hit-Potenzial abzuliefern. Ich war verzweifelt, wollte nicht gezwungen sein, die Band aufzugeben und – eine schreckliche Umschreibung – mich häuslich niederzulassen.
Und so saß ich eines Tages wieder hinter verriegelter Tür auf dem Klo. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich absichtlich versucht, die Sounds anderer Gruppen aus den Charts nachzuahmen, mir kleine Phrasen hier und da „auszuleihen“ und Refrains zu imitieren.
Nun ging ich aber auf etwas Grundlegendes zurück, meine von der Musik geprägte Kindheit. Mir schwirrte „Poppa Piccolino“ im Kopf herum, der Song, den ich als Kind so sehr liebte – besonders diese fröhliche kleine Melodie, mit der der Song den Zuhörer packt. Ich improvisierte damit auf der Gitarre herum, verlangsamte sie und drückte ihr einen Freak-Stil Jahrgang 1967 auf. Auch hörte ich gedanklich die Jimi-Hendrix-Version von „Hey Joe“. Ich liebte die Fassung, besonders die ultra-groovige Rhythmusgitarre. Und so improvisierte ich auch in dem Stil. Als Nächstes – mehr aus reiner Neugier als aufgrund ernsthaften Bemühens – versuchte ich, sie zu verschmelzen. Aus dem hüpfenden, aufgekratzten Intro von „Poppa Piccolino“ und dem so lässigen wie irre coolen „Hey Joe“ wurde etwas Neues, das tatsächlich gut klang.
In dem Augenblick gingen Jean und ihre Mutter mit dem Kind spazieren. Ich verließ die Toilette, setzte mich auf die Couch und begann mit „spacigen“ Textfragmenten zu spielen, bis ich einen Song mit dem Titel „Pictures Of Matchstick Men“ fertig hatte. Die meisten nehmen aufgrund des Titels immer an, dass die Inspiration von den berühmten Bildern des industriellen Nordens von L. S. Lowry stammte. Tatsächlich hat das nichts damit zu tun. Es war eher ein Versuch, mir einen LSD-Trip auszumalen.
Ich saß auf der Couch und spielte das Stück wieder und wieder. In der einen Minute dachte ich, es sei das Beste, was ich jemals geschrieben hätte, in der nächsten empfand ich es als einen Witz, einen „gestrickten“ Song. Auf jeden Fall bekam ich ihn nicht mehr aus dem Kopf. Dann spielte ich die Nummer der Gruppe vor, und jeder der anderen mochte sie.
Die Feuertaufe kam, als wir ins Studio gingen, um die Platte aufzunehmen, von der wir glaubten, sie sei unsere letzte mit John Schroeder. John hörte sich die Nummer an und mochte sie. Seiner Ansicht nach war es eine gute B-Seite für die nächste Single. Er meinte das als Kompliment, doch für mich glich das einem Rückschlag. John hatte als A-Seite ein eher durchschnittliches Stück mit dem Titel „Gentleman Jim’s Sidewalk Café“ geplant. Es klang exakt wie dieser künstlich gestrickte Sixties-Mist, mit dem wir bereits versagt hatten.
Nachdem beide Tracks im Kasten waren, zeigte sich Johns angeborenes Talent, einen Hit zu erkennen. Er schlug vor, die Single-Seiten umgekehrt zu belegen, womit „Pictures Of Matchstick Men“ nun die A-Seite war. Einzig und allein die Vocals sollten verändert werden, die ich zuerst mit einer Falsett-Stimme gesungen hatte. John schlug vor, mit meiner natürlichen Stimme zu singen, was ich auch tat – es machte bang! –, und plötzlich hatten wir etwas Besonderes. Wir alle