Möglichkeiten. Lisa Dickey
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Die mit Eric verbrachten Wochen im Winter 1962/1963 stellten einen wichtigen Entwicklungsschritt dar, denn ich musste zum ersten Mal meinen Platz in einer freien musikalischen Struktur finden. Das, was ich von Eric lernte, sollte nicht nur meinen Stil bei Miles Davis beeinflussen, sondern sich auch auf die Formation und Evolution der Band Mwandishi auswirken. Das Zusammenspiel öffnete mich mental, ließ mich die Möglichkeiten im Jazz erkennen.
Darin lag der Zauber, sich in den Sechzigern in New Yorks Jazz-Szene zu bewegen. Es gab so viele talentierte Musiker, so viele unterschiedliche Entwicklungsstränge im Genre, die man in der ganzen Stadt erkundete, so dass es beinahe einem Oberseminar des Jazz glich. Die Gestaltungsmöglichkeiten, wie man etwas spielte, waren grenzenlos. Sie reichten vom Cool Jazz über Hard Bop und Avantgarde bis hin zum Latin Jazz. Man konnte beinahe jeden Club besuchen und dort einige der weltbesten Musiker hören. Wir empfanden uns als Kinder in einem riesigen Süßwarengeschäft. Ende 1962 nahm ich meinen ersten Job bei einer Latin-Band an. Der Leader war der kubanische Conga-Spieler Mongo Santamaria. Sein Pianist – erst Jahre später fand ich heraus, dass es Chick Corea gewesen war – hatte gerade die Gruppe verlassen. Mongo brauchte für das Wochenende einen Mann fürs Klavier, und ich erklärte mich bereit, auszuhelfen. Ich hatte noch niemals Latin gespielt, doch Mongo meinte, er werde mir leichte Montunos beibringen – einfacher ausgedrückt: Latin-Pattern – und dass ich den Gig damit gut überstünde.
Wir traten in einem Supper Club in der Bronx auf, nicht weit von Donalds und meinem Apartment entfernt. Am dritten Abend kam Donald vorbei, um zu sehen wie es so läuft. Mittlerweile ähnelte er einem großen Bruder, achtete immer auf mich und versicherte sich, dass es mir gutging. An dem Abend herrschte im Club eine apathische Stimmung. Das Publikum saß an den Tischen, unterhielt sich und trank, doch die Tanzfläche war wie leergefegt. Nach Beendigung des ersten Sets schlenderte Donald zum Musikpavillon und stellte sich vor.
Während der Pause unterhielten sich er und Mongo angeregt, denn mein Mitbewohner war ein wahrer „Musikstudent“, der Gespräche über Musikgeschichte und -theorie liebte, mit jedem, der sich dafür interessierte. Die beiden führten eine tiefschürfende Diskussion über afrokubanische Musik und den afroamerikanischen Jazz. Mongo verriet ihm, dass er schon lange nach einem gemeinsamen Bindeglied zwischen den Stilen suche, bislang aber noch keines gefunden habe. Doch er sei sich sicher, dass es dort draußen etwas gebe, eine von der afrikanischen Diaspora ausgehende Verbindung.
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn ich empfand es als recht komplexes Gespräch für eine Spielpause bei einer Show in einem Supper Club. Dann rief Donald: „Hey, Herbie – spiel doch mal ‚Watermelon Man‘ für Mongo.“
Mongo nickte mit seinem Kopf im Rhythmus und meinte: „Einfach weiterspielen.“ Er trat vor seine Congas und spielte dazu einen Latin-Beat – er nannte ihn Guajira –, und was soll ich sagen, es passte perfekt. Der Bassist warf einen verstohlenen Blick auf meine linke Hand, um zu sehen, was ich gerade spielte, und kopierte die Basslinie. Kurz danach stieg die komplette Band ein und jammte bei der Latin-gewürzten Neufassung von „Watermelon Man“.
Zwischenzeitlich standen die Leute auf – die den ganzen Abend förmlich an den Stühlen geklebt hatten – und gingen paarweise zur Tanzfläche. Innerhalb von wenigen Minuten ging es unglaublich heiß zur Sache, und das Publikum tanzte und kreischte vor Freude. Auf Mongos Gesicht zeigte sich ein breites Grinsen. Die Musiker schauten sich gegenseitig verblüfft an. Was geschieht hier? Wir begannen zu lachen, denn der Song machte Spaß. Als wir die Nummer beendeten, jubelten einige Leute und klatschten mir auf den Rücken. „Das ist ein Hit! Das ist ein Hit!“ Mongo fragte: „Darf ich es aufnehmen?“
„Bitte, mach nur“, antwortete ich. Ich konnte nicht fassen, was gerade geschehen war, denn bei „Watermelon Man“ hatte ich niemals an einen Latin-Beat gedacht, aber der Rhythmus brachte frisches Leben in den Song.
Mongo Santamaria veröffentlichte seine Version von „Watermelon Man“ im Frühjahr 1963. Es wurde ein großer Hit, erreichte schließlich sogar Platz 10 der Cash Box und Platz 11 in den Billboard-Charts. Ich ging die Straße hinunter und hörte die Nummer laut aus den Fenstern und aus den vorbeifahrenden Autos dröhnen. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt – beinahe schon dreiundzwanzig – und hatte einen Riesenhit! Und dank Donalds Ratschlag hinsichtlich des Musikverlags sollte ich endlich ordentliches Geld verdienen!
Nach dem Erfolg von Mongos Version von „Watermelon Man“ erteilte ich dem Urheberrechtsanwalt Paul Marshall ein Mandat, der mir riet, mich bei der BMI als Verlag registrieren zu lassen und nicht nur als Komponist. [BMI – Broadcast Music Incorporated, eine der US-amerikanischen Musikverwertungsgesellschaften, ähnlich der deutschen GEMA.] Damit fiel es der Organisation leichter, die mir zustehenden Tantiemen aufzuspüren. Ich war der BMI schon bei der Ankunft in New York beigetreten, doch wusste nicht, dass man als Komponist und Verleger sogar einen Vorschuss auf die Tantiemen zukünftiger Verkäufe erhielt, hatte man erst einmal einen Erfolg erzielt. Als Marshall dann in meinem Namen bei der BMI anrief, forderte er für mich einen Vorschuss von 3.000 Dollar. Und so überbrachte mir ein Kurier den Scheck innerhalb von einer guten Stunde.
Ich hatte im vorhergehenden Jahr insgesamt nur 4.000 Dollar verdient. Als ich den Briefumschlag öffnete, hielt ich den „dicksten“ Scheck in meiner Hand, den ich bis dato je erhalten, geschweige denn gesehen hatte. Was in aller Welt sollte ich mit dem Geld machen? Ich dachte darüber nach und fällte eine Entscheidung. Ich würde einen Kombi anschaffen!
„Einen Kombi?“, rief Donald verblüfft und runzelte Stirn. „Hey, Mann, meinst du das ernst?“
Ich erklärte ihm den Plan. Mit dem Erfolg von „Watermelon Man“ begann ich über eine eigene Band nachzudenken, mit der ich rausfahren und den Song promoten könnte. Hätte ich aber eine eigene Band, bräuchte ich natürlich einen Wagen, um das Equipment zu den Gigs zu karren und wieder zurück. Das am effizienteste und vernünftigste Vehikel war ein Kombi.
Donald legte eine Hand auf meine Schulter und musterte mich eindringlich: „Herbie, hast du nie daran gedacht, dir einen Sportwagen zuzulegen?“
„Nein“, lautete meine knappe Antwort. Und das entsprach der Wahrheit. Mir war es niemals in den Sinn gekommen, Geld für einen Sportwagen auszugeben, was möglicherweise daran lag, dass ich nie auch nur annähernd so viel besessen hatte. Donald wusste, wie es sich anfühlte, mit einem schönen und teuren Schlitten durch New York zu brausen – auch wenn er nicht ihm, sondern seiner Freundin gehörte.
„Hör mal, es gibt da diesen neuen Wagen namens AC Cobra. Es ist das Straßenmodell eines Rennwagens, der sogar einen Ferrari ausgestochen hat.“ Er berichtete mir alles über den von Ford produzierten Cobra, das heißeste neue Geschoss, über das sich Autoliebhaber unterhielten. Am Broadway befand sich ein Showroom, und dort durfte man sogar eine Probefahrt machen. „Schau ihn dir mal an und überleg, ob du danach immer noch einen Kombi haben willst.“ Ich stimmte zu, mal einen Blick zu riskieren, obwohl der superschnelle Sportwagen nicht meinen Bedürfnissen entsprach.
Kurz darauf besuchte ich das Charles Kreisler Automotive und betrat den Ausstellungsraum. Einige Verkäufer saßen hinter einem großen Tisch, doch sie würdigten mich keines Blickes, als ich hereinkam. Besonders ein Typ schien mich um alles in der Welt ignorieren zu wollen. Ich lehnte mich schließlich über das Möbel und sprach ihn direkt an: „Entschuldigen Sie bitte. Sie haben doch einen Cobra hier.“ Er schaute mich immer noch nicht an, sondern deutete mit einer tippenden Fingerbewegung in Richtung des Autos.
Ich wusste,