Möglichkeiten. Lisa Dickey
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Möglichkeiten - Lisa Dickey страница 11
Natürlich konnte ich mir einen Hotelaufenthalt nicht lange leisten – auch nicht einen billigen –, und als mich Donalds Bassist Laymon Jackson fragte, ob ich mir mit ihm ein Apartment teilen wolle, willigte ich unverzüglich ein. Wir fanden ein dreckiges, billiges Apartment in der baufälligen West Side, eine nur über eine Treppe zu erreichende winzige Behausung ohne Möbel, aber mit vielen Kakerlaken. Es gab nur ein Bett – eine auf dem Boden liegende Matratze –, die sich Laymon und ich teilten. Uns stand nicht genügend Geld zur Anschaffung einer zweiten zur Verfügung, auch wenn das Zimmer groß genug gewesen wäre. Allerdings fanden wir einige Stühle auf der Straße, womit jeder wenigstens eine Sitzgelegenheit hatte.
Die ersten Wochen in New York waren hart. Bevor ich dort hinzog, hatte ich überhaupt keine Vorstellung, wie das Leben von New Yorker Musikern ablief. Ich wusste, dass Donald eine erfolgreiche Jazz-Karriere verfolgte und dass sich seine Platten auf der ganzen Welt verkauften. Als fester Musiker in seinem Quintett würden wir doch sicherlich viel Geld verdienen? Doch schon bald fand ich heraus, dass sich die Realität grundlegend von meiner Einschätzung unterschied. Wir spielten weniger Gigs als erwartet und erhielten weniger Gage. Laymon und ich teilten uns das billigste Apartment, das man finden konnte, in der Nachbarschaft von Schwarzen und Hispanics, und sogar das war beinahe unerschwinglich.
Im Laufe der Zeit lernten wir ein Handvoll anderer Musiker in der Nachbarschaft kennen, darunter einen Vibrafonisten namens Jinx Jingles und seine Frau, eine Sängerin, die meist auch pleite waren. Am härtesten empfand ich einen Moment, ungefähr einen Monat nach Ankunft in der Stadt, in dem ich meine Taschen leerte und nur noch zwölf Cents fand. Doch wir achteten aufeinander, kratzten eines Nachmittags unser Geld zusammen und kauften für etwas mehr als einen Dollar einen Laib Wonder Bread, eine Tomate, einen Suppenknochen und etwas Mehl. Jinxs Frau kochte die Suppe, in die wir das Brot eintunkten. Ich war so hungrig, dass ich es als absolut köstlich empfand.
Alle paar Wochen rief ich meine Eltern an. Ich erzählte ihnen nichts von den miserablen Seiten des Lebens, doch sie schienen es zu spüren. „Willst du nicht nach Hause kommen?“, fragte Mom immer, was ich natürlich verneinte. Ich bin mir sicher, dass sie mir Geld geschickt hätten, hätte ich nur gefragt, doch ich war fest entschlossen, es allein zu schaffen. Mir war mein Stolz sehr wichtig.
Mein erster Gig mit Donald Byrds Formation fand im Five Spot statt, einem Club im Kabarett-Stil am Cooper Square in der Bowery. Seit der Eröffnung 1956 hatte sich der Laden zu einem Magneten für Künstler und Schriftsteller wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac und Willem de Kooning gemausert sowie berührten Musikern wie Thelonious Monk und später Joni Mitchell. Vor dem Auftritt führte Donald noch ein kleines „Aufklärungsgespräch“ mit mir. „Hör mal, Herbie“, begann er. „Wenn wir im Five Spot spielen, werden sich dort auch andere Pianisten aufhalten, Musiker, deren Platten du liebst.“ Er meinte, möglicherweise kämen Horace Silver oder Bill Evans. Wenn ich sie im Publikum sähe, aufgereiht wie eine Jury, die über den „Neuen“ richtet, solle ich versuchen, jegliche Bedenken wegzustecken. „Werde nicht nervös, okay?“ Nein, überhaupt kein Druck.
Natürlich war ich nervös. Aber irgendwie habe ich den Auftritt wohl gut gemeistert, denn ich erhielt danach Anrufe anderer Musiker, die mich für Gigs engagierten. Jeder wusste, dass ich Donalds Pianist war, doch das Quintett arbeitete nicht immer, womit mir Zeit für zusätzliche Auftritte blieb und sogar Aufnahme-Sessions mit Jackie McLean, Kenny Dorham und Lou Donaldson. Nachdem der Stein einmal ins Rollen gekommen war, stand mir zu meiner großen Erleichterung ein eher akzeptables Einkommen zur Verfügung.
Eines Nachmittags kurz nach dem Five-Spot-Gig fuhr Donald von der Bronx zu meiner Bude in der 84th Street, um mich zu besuchen. Er kam in einem Jaguar angesaust, seine Freundin auf dem Beifahrersitz, und ich dachte: Okay, Donald scheint wohl recht gut zu verdienen! Er parkte den Schlitten und besuchte mich im Apartment. Nach einem prüfenden Rundumblick meinte er: „Herbie, du musst hier raus. Ich hole dich in die Bronx. Du kannst bei mir einziehen.“
Ich konnte mir ungefähr vorstellen, in was für einem Luxus Donald lebte, und so nahm sich das Angebot dankend an. Doch als ich wenige Tage später in sein Apartment einzog – nachdem ich meine Habseligkeiten fünf Etagen hochgeschleppt hatte –, war ich erstaunt, dass die Wohnung nur über ein Schlafzimmer verfügte. Im Wohnzimmer gab es ein versenkbares Klappbett, und dort sollte ich nächtigen. Der Jaguar gehörte übrigens nicht ihm, sondern seiner Freundin, die er jedoch nie fahren ließ.
Donald stellte drei Regeln für das Apartment auf. Erstens: Alles musste penibel sauber sein, um das Heer der Kakerlaken zu dezimieren. Zweitens: Ich musste jeden Morgen mein Bett machen. Drittens: Falls jemand vor neun Uhr klingeln sollte, musste ich ihn zuerst wecken, bevor ich an die Tür ging.
Ich hatte keine Vorstellung, aus welchem Grund die dritte Regel aufgestellt worden war. Eines Morgens fand ich es heraus. Die Klingel läutete vor neun Uhr, und ich ging in Donalds Schlafzimmer, um ihn zu wecken. Er war ziemlich groggy, sprang aber geschmeidig aus dem Bett, riss das Fenster auf und stieg auf die Feuerleiter. Als ich die Tür öffnete, stand ein Vollzugsbeamter des Finanzamts dort, der sich mit Donald unterhalten wollte – als hätte er es geahnt! Ich schätze mal, Donald hatte seit geraumer Zeit keine Steuern entrichtet, aber solange er den Finanzschnüfflern aus dem Weg gehen konnte, war er ihnen natürlich immer eine Länge voraus.
Donald hatte meinen Eltern versprochen, sich um mich zu kümmern, und er hielt sein Versprechen. Doch er war ein Freigeist, und die Feststellung ist durchaus berechtigt, dass sich seine Art der Fürsorge von der meiner Eltern unterschied. Kurz nach dem Einzug führte er mich in die Welt des Marihuanas ein. Wir fuhren zu einem Gig – irgendwo im Mittleren Westen, möglicherweise Detroit –, und ich kann mich nur noch daran erinnern, die ganze Nacht gelacht zu haben. Das erste Mal war großartig, doch letztendlich mochte ich das Kiffen nicht. Ich stand weder darauf, mich von der Realität zu entfernen, noch mochte ich die Art, wie das Kiffen manchmal meine Stimmung runterzog, und das Gefühl der Paranoia gefiel mir schon gar nicht. Ich bin eher ein „High-Energy“-Mensch, womit sich Marihuana als Droge für mich erledigte. Ich mochte jedoch das Trinken und entwickelte eine hohe Toleranz demgegenüber. Im ersten Jahr in New York blieb ich aber meist nüchtern und hielt mich zurück.
Ende 1961 hatte ich schon auf meinen ersten beiden Platten gespielt: Donald Byrds Royal Flush und Out Of This World von Donalds und Peppers Quintett. Für die Aufnahme von Royal Flush wählte Donald sogar eine meiner Kompositionen aus, ein Song mit dem Titel „Requiem“. Damals hatte ich keine große Erfahrung hinsichtlich des Songwritings. Als Kinder hatten Wayman, Jean und ich uns ein Stück mit dem Titel „A Summer In The Country“ einfallen lassen, und auf der Grinnell schrieb ich auch einige Nummern. In Chicago half ich bei den Kompositionen anderer Musiker, die nicht viel vom harmonischen Hintergrund wussten, was mich ein bisschen Erfahrung sammeln ließ. Ich wollte aber mehr komponieren. Als Donald mir von seinen Absichten berichtete, ein neues Album einzuspielen, schrieb ich „Requiem“ in der Hoffnung, dass er es für die Scheibe auswählen würde.
Es schien ein recht viel versprechender Start gewesen zu sein, auf diesen Platten zu spielen und meine Songs aufzunehmen. Doch ein Jahr, nachdem ich in New York angekommen war, arbeitete ich immer noch nicht so viel wie erwartet. Daraufhin fällte ich im Januar 1962 die Entscheidung, mich in der Manhattan School of Musik einzuschreiben. Statt tatenlos herumzusitzen, vertiefte ich meine Ausbildung, weshalb ich mich für Seminare in klassischer Komposition und Orchestrierung anmeldete.
Donald hatte seinen Master an diesem Institut gemacht. Gelegentlich schaute er vorbei, um sich mit mir zum Lunch zu treffen. Eines Tages kam er in die Mensa und sah den ihm bekannten Pianisten Larry Willis. Er stellte uns vor, und Larry starrte mich an: „Du bist der Herbie Hancock?“ Ich lachte, mir nicht sicher, ob er mich auf den Arm nehmen wollte. Larry hatte allerdings noch nie Platten aufgenommen,