Möglichkeiten. Lisa Dickey

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Möglichkeiten - Lisa Dickey

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schrieben sogar gemeinsam einen Song, den ich später für mein zweites Album My Point Of View aufnahm.

      Einige professionelle klassische Musiker probten acht oder mehr Stunden am Tag, doch das war nichts für mich. Tatsächlich übte ich nie länger als eine Stunde täglich, verbrachte jedoch ungezählte Stunden mit dem Studium, dem Erlernen neuer Musik und dem Analysieren. Ich unterhielt mich scheinbar endlos lange mit den anderen über Strukturen, Theorie und Improvisation, und wir „warfen“ uns die Noten bis tief in die Nacht zu. Ich wurde niemals müde und begeisterte mich zunehmend, je mehr ich lernte.

      Auch heute noch fasziniert mich die Improvisation. Höre ich Platten von Oscar Peterson, muss ich immer rätseln: Wie hat er das gerade gemacht? Ich liebte das Spielen verknüpft mit dem Jammen, denn es stellte eine gute Möglichkeit dar, um sich auszudrücken. Man musste nicht die Noten eines anderen lesen, man drückte sich selbst aus, indem man die eigene Musik exakt im Moment erschuf.

      Während des zweiten Studienjahrs entschied ich mich zur Organisation des ersten Jazz-Konzerts auf der Grinnell. Das sollte doch nicht schwer sein, oder? Ich würde mir einige Bigband-Aufnahmen anhören, die Noten der anderen Instrumente heraushören und das komplette Arrangement selbst schreiben. Dann musste ich nur noch genügend Musiker für die verschiedenen Parts finden, ihnen die Phrasierungen und die Dynamik beibringen und sie „konzertbereit machen“. In meinem siebzehnjährigen Kopf schien das alles umsetzbar.

      Auf der Grinnell gab es nur 1.200 Studenten, und zudem lag die Universität mitten in Iowa. Wo sollte ich also genügend Jazz-Musiker für ein komplettes Konzert finden? In der ganzen Universität befestigte ich Zettel an den schwarzen Brettern und suchte Musiker mit genügend Spielerfahrung, besonders solche, die schon einmal in einer Highschool-Tanzband gewesen waren. Ich wusste, dass die sechzig Meilen östlich der Grinnell gelegene University of Iowa tatsächlich eine Jazz-Band hatte, und so lieh ich mir von ihnen einige Arrangements. Irgendwie gelang es mir letztendlich, fünf Saxofone, drei Posaunen, vier Trompeten, Bass und Schlagzeug und sogar eine kleine Vokalgruppe zusammenzuwürfeln.

      Dann versuchte ich, mehr über die Arrangements einiger Count-Basie-Platten zu erfahren, und arbeitete exakt wie bei den George-Shearing-Songs: Ich hörte mir die Musik an und notierte danach die verschiedenen Instrumente. Das stellte sich als kompliziert und zeitraubend heraus, aber ich lernte viel dabei.

      Nach der abschließenden Transkription der einzelnen Parts begann ich mit Einzelproben für jedes Instrument des Orchesters. Dabei entdeckte ich, dass zwar alle die einzelnen Töne spielen konnten, doch nur zwei Musiker etwas über Jazz-Phrasierung wussten. Ich wollte mir nicht all die Mühe machen und danach ein mittelmäßiges Konzert abliefern, weshalb ich selbst alle Einzelproben dirigierte – die der Saxofonisten, der Posaunisten und der Trompeter. Da niemand auch nur den blassesten Schimmer von einem Solo hatte, musste ich diese Abschnitte ausnotieren. Ich benötigte das gesamte Semester, um die Musiker zu unterrichten und sie für die Show aufzubauen. Die Vorbereitungen nahmen mich so stark in Anspruch, dass mir keine geistigen Kapazitäten mehr zur Verfügung standen. Somit rasselte ich bei einigen Prüfungen durch.

      Es war das zweite Semester des zweiten Universitätsjahres, und das Datum für das Konzert lag knapp vor den Abschlussprüfungen. Als der Tag näherrückte, ging ich gar nicht mehr zu den Vorlesungen – ich hatte einfach viel zu viel zu tun! Ich arbeitete Tag und Nacht mit den Musikern und schlief kaum. Doch als der große Tag anbrach, waren wir bereit. Oder besser gesagt, so bereit, wie wir sein konnten.

      Das Konzert fand im Mai 1958 im Alumni Recitation Hall Auditorium statt. Die Zuschauer hatten niemals daran gedacht, in Grinnell, Iowa, ein Jazz-Konzert zu hören. Bedenkt man die niedrig angesetzten Erwartungen, klangen wir fantastisch. Bei jedem Song klatschte und jubelte das Publikum frenetisch. Ich liebte die Bühnenerfahrung der Improvisation mit einer Gruppe von Jazz-Musikern, sich gehen zu lassen, egal welche Richtung ich einschlagen wollte. Der ganze Abend fühlte sich magisch an.

      Doch dann kam der eklige Weckruf zurück in die Realität: Ich hatte die Seminare so einschneidend ignoriert, dass die Gefahr wie ein Damoklesschwert über mir schwebte, von der Uni geworfen zu werden, würde ich nicht die Abschlussprüfung mit akzeptablen Noten bestehen. In der nächsten Woche „prügelte“ ich mir alles in den Schädel. Als ich bei den Prüfungen auftauchte, schienen einige Professoren, die mich schon seit Wochen nicht mehr gesehen hatten, erstaunt zu sein. Meine Eltern wären bei einem Versagen wie am Boden zerstört gewesen, und so versuchte ich verzweifelt, zumindest so gute Resultate abzuliefern, dass ich weiterstudieren durfte.

      Und irgendwie gelang mir das. Ich bestand alle Abschlussprüfungen, womit ich das Semester mit dreimal Note „gut“ und einem „befriedigend“ abschloss. Ein Professor zeigte sich davon so verblüfft, dass er glaubte, ich hätte geschummelt. Er bestellte mich in sein Büro und wollte nachdrücklich wissen, wie mir die guten Abschlüsse gelungen seien, da ich doch fast das gesamte Semester gefehlt hätte. Er begann mich mit Fragen zu löchern und wollte prüfen, ob ich den Lernstoff tatsächlich nachweisen konnte. Ich war zum Glück in der Lage, ihm die Antworten zu liefern, weshalb er schließlich nachgeben musste.

      Danach zog ich mich völlig erschöpft in meine Studentenbude zurück und starrte in den Spiegel. Ich sah verdammt schlecht aus, hatte blutunterlaufene Augen. „Was willst du werden?“, fragte ich das Gesicht im Spiegel. Ich versuchte mein Möglichstes, um mich dem Studiengang Elektrotechnik anzupassen, doch es lag auf der Hand, wohin mich die Leidenschaft zog. Zu dem Zeitpunkt gab es keine Wahlmöglichkeit mehr. Und so entschied ich mich an dem Tag für das Hauptfach Musik.

      Als ich die Einführungskurse des ersten Jahres besuchte, war ich erleichtert, schon beinahe den gesamten Lernstoff draufzuhaben. Ich hatte schon so viel Zeit mit den Themen Theorie, Harmonie und Struktur verbracht, dass ich die Seminare übersprang und nur zur Abschlussprüfung erschien.

      Um mir etwas zusätzliches Geld zu verdienen, jobbte ich in der Mensa des Studentenwerks, nahm Bestellungen entgegen und bediente die Gäste. An einem Wochenende hatte ich einen Gig als Pianist in Des Moines und war regelrecht geschockt, als ich herausfand, dass ich für den einen Abend mehr erhielt als für eine Woche in der Mensa. Die Erkenntnis verwirrte mich: die Vorstellung, all die langen Stunden Essen durch ein Restaurant zu schleppen, wenn ich doch so viel mehr bei einer Tätigkeit verdienen konnte, die ich liebte. Von dem Moment an war es mir unmöglich, in der Mensa zu arbeiten, und ich schmiss den Job.

      Der Trip nach Des Moines stellte sich jedoch nicht als so angenehm heraus, was wie eine Ironie des Schicksals anmutete. Der Gig lief gut, doch danach geschah etwas Merkwürdiges: Ich war damals achtzehn Jahre alt, doch die in dem Nachtclub spielenden Typen hatten schon von mir gehört. Ich erklärte mich bereit, mit ihnen in Des Moines aufzutreten, plante aber schon, in den frühen Morgenstunden zur Grinnell zurückkehren, um das Geld für ein Hotelzimmer zu sparen. Einer der Musiker bot mir jedoch an, in dem Haus zu übernachten, das er und seine Frau bewohnten. Ich dachte: Cool! Ein kleines Abenteuer! Der Typ war ein waschechter Profimusiker, und ich würde bei ihm abhängen.

      Der Gig endete um etwa zwei Uhr morgens. Als ich mit ihm zum Wagen ging, meinte er: „Ich muss noch einige Male einen Zwischenstopp einlegen, bevor ich nach Hause fahre.“ Ich antwortete: „Das stört mich nicht.“ Mir war es egal, wohin es ging, denn ich freute mich über die gemeinsame Fahrt.

      Beim Wagen warteten noch einige andere Leute, und wir quetschten uns ins Auto. Der Typ fuhr vom Parkplatz los, und schon kurz darauf stoppten wir vor einem Haus. Sobald wir die Auffahrt hochfuhren, gingen alle Lichter in dem Gebäude an. Ich fand das ein wenig seltsam – warteten die etwa auf uns? Jemand sprang aus dem Auto, hastete zur Vordertür und kam mit einer kleinen Papiertasche zurück. Danach ging es zu einem anderen Haus, wo wir die Frau des Musikers abholten. Ich bemerkte voller Verwirrung, dass sie zitterte, obwohl es draußen noch sehr warm war.

      Wir hielten noch einige Male an, um Mitfahrer abzusetzen, und dann saßen nur noch der Musiker, seine Frau

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