Möglichkeiten. Lisa Dickey

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Möglichkeiten - Lisa Dickey страница 9

Möglichkeiten - Lisa Dickey

Скачать книгу

einem Bett. Der Typ und seine Frau legten sich hin und winkten, ich solle mich zu ihnen gesellen.

      „Willst du high werden?“, fragte er mich, dabei den Inhalt der Papiertüte über die Matratze ausbreitend. Ich schaute auf die herausgefallene Injektionsnadel und das kleine Tütchen mit Pulver und antwortete: „Nein, vielen Dank.“ Ich war zuvor noch nie von irgendeiner Substanz high gewesen und hatte auch nicht vor, mich von dem Zeug abhängig zu machen. Doch ich war neugierig und fragte: „Kann ich dabei zusehen?“ Wenn ich schon mal hier war, wollte ich auch wissen, wie man so was macht.

      Ich beobachtete ihn, wie er das Pulver vorsichtig in einen Löffel mit ein wenig Wasser schüttete, das Feuerzeug anmachte und dann die Unterseite erhitzte. Das Pulver verwandelte sich in eine schwarze Flüssigkeit, die er in die Spritze füllte. Er band seinen Arm mit einem Plastikschlauch ab, klopfte auf die Vene, so wie man es im Kino sah, und setzte sich den Schuss. Seine Frau zitterte, weil sie von einem High runterkam, doch als er ihr die Spritze anbot, griff sie zu. Ich konnte kaum glauben, dass ich hier saß und sie beim Fixen beobachtete, ihre Gesichter musterte, um eine Veränderung zu erkennen, und wurde zunehmend nervös. Würden sie auf komische Gedanken kommen?

      Offensichtlich hielten sie nicht viel vom dem Stoff, denn nach einiger Meckerei meinte der Typ: „Wir werden jetzt schlafen.“ Ich dachte: Okay, und wo zum Teufel soll ich pennen?

      Schließlich lag ich auf der einen Seite des Betts, der Typ in der Mitte und seine Frau auf der anderen. Ich glaube, ich war so nervös, dass ich die ganze Nacht kein Auge zutat. Sie schienen mir nicht besonders high zu sein, doch ich hatte bislang keinen Kontakt zu Junkies gehabt. Was wusste ich schon? Was härtere Drogen anbelangte, war ich ein Novize, obwohl ich kürzlich mit dem Trinken begonnen hatte. Ich empfand das hier als eine mir unbekannte Welt. Bislang hatten mich Drogen nicht angezogen, doch das sollte sich noch ändern.

      1960 verließ ich die Grinnell und kehrte nach Chicago zurück, nur eine Prüfung von einem regulären Abschluss entfernt, denn ich war in meinem ersten Jahr bei einem Seminar durchgefallen. Ich wollte den Abschluss, doch ich brannte für den Jazz, für das ernsthafte Spielen, und die Grinnell war sicherlich nicht der Ort dafür.

      Ich zog zurück zu meinen Eltern und nahm während der Suche nach Arbeit für einen Pianisten einen Job bei der Post an. Meine Aufgabe bestand darin, fünfmal täglich Post zuzustellen, und wenn ich Gigs hatte, machte ich von einundzwanzig Uhr bis vier oder fünf Uhr am Morgen Musik. Die Arbeitszeiten stellten sich als brutal heraus, denn mir blieb fast keine Zeit für Schlaf. Meist musste ich noch den Zug zu und von den Gigs nehmen. Im „L“ sackte ich vor Erschöpfung zusammen, während er in den frühen Morgenstunden an der South Side entlangratterte.

      Doch ich brauchte den Job bei der Post, denn ich verdiente noch nicht genügend mit den Auftritten. Und so trug ich im Herbst 1960 immer noch Briefe aus, als mich ein Anruf von Coleman Hawkins erreichte. Hawkins war ein legendärer Saxofonist, der Mann, der das Sax im Jazz popularisierte und an die „vorderste Front“ brachte. Er spielte schon seit den frühen Zwanzigern, als er seine Karriere mit Mamie Smith’s Jazz Hounds begonnen hatte. In den darauffolgenden vier Jahrzehnten war er mit all den großen Namen aufgetreten: Louis Armstrong, Django Reinhardt, Miles Davis, Benny Goodman, Thelonious Monk und Oscar Peterson. Meine Güte, ich wäre schon aufgeregt gewesen, mich mit Coleman Hawkins nur im selben Raum zu befinden, ganz zu schweigen davon, tatsächlich mit ihm zu spielen.

      Um seine Kosten so gering wie möglich zu halten, arbeitete Hawkins meist mit Spontan-Besetzungen, was bedeutete, dass er lokale Musiker engagierte – einen Pianisten, einen Drummer und einen Basser –, und das in jeder Stadt, in der er auftrat. Für den Gig in Chicago war der Pianist erster Wahl – ein Typ namens Jodie Christian – nicht verfügbar, woraufhin Hawkins’ Schlagzeuger Louis Taylor vorschlug, es mal mit mir zu versuchen. Damals war ich noch ziemlich grün hinter den Ohren, hatte aber schon einige Male mit Taylor gespielt, der meinte, ich verdiene die Chance.

      Coleman holte mich für ein vierzehntägiges Engagement im Cloisters-Nachtclub ins Boot. Er war der erste international bekannte Musiker, mit dem ich arbeitete. Sein Saxofon-Solo auf der Aufnahme von „Body And Soul“ wurde als die ultimative Interpretation des Klassikers angesehen. Ich fühlte mich geehrt, die Bühne mit ihm zu teilen, und war gespannt auf das, was ich von ihm lernen konnte. Doch ich zeigte mich auch nervös und hoffte, den Ansprüchen gerecht zu werden. Coleman ermutigte mich und versuchte, mir ein angenehmes Bühnen-Feeling zu bereiten, und ich glaube, dass er mit meinem Stil zufrieden war.

      Allerdings bot sich mir nie die Chance, mich ausführlich mit ihm zu unterhalten, da ich immer nach dem letzten Set nach Hause hetzen musste. Die Auftrittszeiten lassen sich als total verrückt beschreiben – jede Nacht vier Sets und fünf am Samstag, ohne einen einzigen freien Tag. Und so spielte ich bis in die frühen Morgenstunden und versuchte dann den ganzen Tag, die Post auszutragen. Schon am dritten Tag war ich ein komplettes Wrack. An dem Morgen stand ich vor einer Apartmenttür, blätterte durch die Briefe und fühlte mich, als würde ich im Stehen einschlafen – was sicherlich nicht gut war, denn das Apartment lag am Ende einer hohen Betontreppe. Ich quälte mich, lag hinter der Zeit, und dann wurde mir auch noch übel – was wohl niemanden überrascht.

      Louis Taylor, der Drummer, der mir den Gig beschafft hatte, riet mir: „Herbie, der Job bei der Post kommt deiner Musik in die Quere. Du musst da aufhören.“ Ich erkannte, dass es keinen Weg gab, beide Tätigkeiten miteinander in Einklang zu bringen, doch ich hatte Angst, bei der Post zu kündigen, da mir der Job Stabilität und ein regelmäßiges Einkommen garantierte.

      Doch am vierten Tag, nachdem ich um vier Uhr regelrecht nach Hause kroch, wusste ich, dass mir keine Wahl blieb. An dem Morgen erzählte ich den Kollegen bei der Post von der beabsichtigten Kündigung. Viele von ihnen – selbst Musiker – rieten mir dringlichst davon ab. Man ermahnte mich zur Vorsicht: „Mann, du wirst deine Krankenversicherung verlieren!“ Ich wusste, wenn ich kündigte, würde man mich nicht wieder einstellen, falls es mit der Musik nicht funktionierte. Doch ich musste das Risiko eingehen, und so betrat ich das Büro meines Vorgesetzten und erklärte ihm, dass ich hier fertig sei.

      Nach Ende des zweiwöchigen Engagements bei Coleman Hawkins saß ich dann neben dem Telefon und hoffte auf ein Angebot für einen weiteren Job. Ohne reguläre Arbeit fühlte ich mich seltsam. Zudem war ich nicht sicher, als Pianist genügend zu verdienen. Doch meine Eltern kümmerten sich um mich, ließen mich mietfrei wohnen und fütterten mich mit einem täglichen Abendessen durch. Ich konnte mich ihrer Unterstützung glücklich schätzen, während ich an der Verwirklichung des Traums arbeitete, irgendwann einmal ein professioneller Jazz-Musiker zu sein.

      Im Dezember 1960, einige Monate nach der Coleman-Episode, rief mich John Cort an, der Besitzer des Birdhouse, eines winzigen Clubs im zweiten Stock eines Gebäudes an der Dearborn Street in der North Side, den man nur über eine steile Treppe erreichte. „Donald Byrd und Pepper Adams spielen nächstes Wochenende in Milwaukee“, verriet er mir. „Willst du mit ihnen auftreten?“

      „Du nimmst mich wohl auf den Arm?“, antwortete ich, ohne zu zögern. „Yeah, natürlich will ich mit ihnen spielen.“ Ich konnte es nicht glauben – gerade hatte man mich zu einem Gig mit einem der weltbesten Jazz-Trompeter eingeladen. Donald Byrd war ein „Veteran“ von Art Blakey’s Jazz Messengers und hatte sogar einen Master an der Manhattan School of Music gemacht. Über die Jahre war er mit zahlreichen Jazz-Größen aufgetreten, darunter John Coltrane und Thelonious Monk, worauf er 1958 mit dem Bariton-Saxer Pepper Adams ein Quintett gründete. Und das war exakt die Gruppe, zu der man mich einlud.

      „Tja“, meinte John, „dann zieh dir dein kastanienbraunes Jackett an und komm mal rüber!“ Ich hatte schon gelegentlich in seinem Club gespielt, und so kannte er auch mein Jackett – das einzige Jackett, das ich für Auftritte besaß. Ich machte mich so schnell wie möglich auf den Weg ins Birdhouse.

      Wie sich herausstellte, hatte

Скачать книгу