Möglichkeiten. Lisa Dickey
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Möglichkeiten - Lisa Dickey страница 10
Ich war zutiefst enttäuscht, aber dann fragte Donald: „Sind heute nicht einige Jam-Sessions in Chicago? Vielleicht können wir dich wenigstens mal spielen hören.“ Ich wusste von einer lockeren Session mit dem Leader, Trompeter und Saxofonisten Ira Sullivan und erklärte Donald die grobe Richtung. So machten wir uns denn auf den Weg. Als wir im Club ankamen, dachte ich nur noch: Herbie, vermassle das nicht! Das war meine große Chance, eine Art Vorspielen für den schick gekleideten, hochgebildeten Donald Byrd, einen wirklich sympathischen Menschen. Ich wollte ihn unbedingt beeindrucken, so sehr, dass meine Hände zitterten, als ich an der Reihe war, die Bühne zu betreten, um mich zu den Musikern zu gesellen.
Ich schätze mal, dass das Zittern nicht aufhörte, denn ich klang schrecklich. Die Nervosität hatte mich fest im Griff, und ich konnte nichts richtig spielen. Nachdem ich mich durch eine Nummer gequält hatte, wusste ich, dass ich erledigt war. Ich schlich mit hängenden Schultern von der Bühne und ging mit gesenktem Kopf an den Tisch, an dem die anderen saßen.
Ich drehte mich zu Donald und sagte: „Ich möchte dir dafür danken. Ich weiß, dass du mich jetzt nicht mehr haben willst, aber ich schätze es sehr, dass du mir die Chance gegeben hast.“ Donald begann zu lachen und klopfte mir auf den Rücken. „Na los, Herbie! Wir werden dich morgen mit nach Milwaukee nehmen. Ich habe gespürt, dass du nervös warst – mach dir da mal keine Sorgen.“ Erleichterung durchströmte meinen ganzen Körper. Ich hatte es also doch nicht vermasselt und immer noch eine Gelegenheit, Donald zu beweisen, was ich wirklich konnte.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Milwaukee, und ich spielte an dem Abend wesentlich besser als bei der Jam-Session. Doch ein Song bereitete mir Probleme – ein Jazz-Standard aus den Dreißigern mit dem Titel „Cherokee“. Ich kannte die Akkord-Struktur, doch Donalds Quintett spielte die Nummer recht schnell. Bei Balladen und Songs mittlerer Tempi schlug ich mich recht gut, doch ich hatte bei den Soli schnellerer Stücke zu kämpfen.
Nach dem Gig entschied ich mich, Donald darauf anzusprechen. „Ich weiß, dass ich mit ‚Cherokee‘ nicht so gut klargekommen bin. Ich hatte bei schnelleren Tempi schon immer Probleme. Hast du vielleicht einige Tipps, die mir weiterhelfen?“
„Vor langer Zeit gab mir Barry Harris einen Ratschlag“, meinte Donald, sich dabei auf einen Pianisten aus seiner Heimatstadt Detroit beziehend. „Er sagte: ‚Der Grund, dass du nicht schnell spielen kannst, liegt darin, dass du dich noch nie gehört hast, wenn du schnell spielst.‘“ Und dann erläuterte er mir exakt Barrys Vorgehensweise, das Problem aus der Welt zu schaffen.
Laut Barry sollte man mit einer bestimmten Form anfangen – entweder einem zwölftaktigen Blues oder einem Rhythmus-Pattern (basierend auf den Akkorden von Gershwins „I Got Rhythm“), die man als die einzigen wahren traditionellen Muster im Jazz einstufen kann. Danach machte man sich an die kompletten Durchgänge: Ist es eine Blues-Form, notiert man die zwölftaktige Struktur und ein improvisiertes Soli darüber – in der Länge einiger Durchgänge. Hat man die komplette Struktur ausnotiert, übt man die aufgeschriebenen Noten, spielt sie immer wieder und dann immer schneller.
Am nächsten Tag befolgte ich Donalds Anweisungen. Ich machte mir keine allzu großen Gedanken, den ausnotierten Part exakt wiederzugeben, denn es war wichtiger, ihn schneller zu spielen und dabei zuzuhören, mich daran zu gewöhnen. Am Abend des zweiten Gigs in Milwaukee sagte Donald „Cherokee“ an und brachte den Song deutlich zügiger. Es war das erste Mal, dass ich ein gutes Solo bei einem schnellen Song spielen konnte, und das Gefühl, wie meine Finger über die Tasten sausten, beeindruckte mich selbst.
Nach dem Auftritt unterhielten Donald und ich uns erneut. Er wusste, dass ich noch viel lernen musste. Offensichtlich hatte er gemerkt, wie ernst ich seinen Ratschlag nahm, denn er meinte: „Herbie, ich habe es mit der Band schon abgesprochen. Wir mögen deinen Stil und wollen, dass du einsteigst.“
„Ihr habt doch einen Pianisten“, entgegnete ich verwirrt.
„Wir werden ihn feuern“, informierte er mich. „Wir wollen dich. Aber du musst nach New York umziehen. Was hältst du davon?“
Natürlich wollte ich, denn New York war das Zentrum des Jazz, die Stadt, in der die großen Chancen an jeder Ecke warteten. Chicago hingegen ließ sich als großartige, aber nicht impulsgebende Jazz-Stadt beschreiben, mit beeindruckenden Pianisten wie Ahmad Jamal und Ramsey Lewis. Ich hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass meine Heimatstadt nur ein Sprungbrett auf dem Weg nach New York darstellte, wo es richtig abging. Allerdings hätte ich mir niemals vorstellen können, den Absprung so schnell anzuvisieren.
„Das würde ich gerne“, erklärte ich Donald. „Doch du musst zuerst meine Mutter fragen.“ Obwohl ich schon zwanzig war, fällte Mom immer noch die Entscheidungen in der Familie. Mein ganzes Leben hatte ich Vater sagen gehört: „Geh und frag deine Mutter.“ Und nun lag eine so bedeutende Chance vor mir, dass ich es als falsch empfunden hätte, den Entschluss ohne sie zu treffen.
Donald lächelte nur und antwortete: „Natürlich.“ Am nächsten Tag rief er Mom vom Club aus an und bat um die Erlaubnis, ihren jüngsten Sohn mit nach New York City zu nehmen, damit er in seiner Band spielte.
Meine Eltern sagten, sie würden alle ihre Kinder unterstützen, egal, was sie auch machen wollten, doch Mom war sich bei dieser Entscheidung nicht sicher. Sie drückte gegenüber Donald ihre Bedenken aus, was mein Alter und meine Sicherheit in der Metropole anbelangte, und Donald – schon „ganze“ achtundzwanzig Jahre alt – ging in seinem unnachahmlichen Stil darauf ein: „Haben Sie keine Angst! Ich werde mich persönlich um Herbie kümmern und darauf achten, dass es ihm gutgeht.“
Damit hatten sich weitere Gespräche erledigt, und nur weniger als einen Monat später – im Januar 1961 – unternahm ich meine erste Flugreise von Chicagos Midway Airport nach New Yorks Idlewild. Ich kam mit drei Taschen und einigen hundert Dollar in der Tasche an und stieg in den Bus nach Manhattan ein, um ein neues Leben zu beginnen.
Während der Busfahrt nach Manhattan starrte ich ununterbrochen auf die vielen Wolkenkratzer. Obwohl in Chicago aufgewachsen, hatte ich kaum Zeit im Stadtzentrum verbracht, und in der South Side oder nahe der Hyde Park gab es keine riesigen Gebäudetürme, was mich hier so neugierig wie einen Touristen machte. Ich konnte nicht glauben, tatsächlich in New York City – dem Mekka des Jazz – und zum ersten Mal allein auf mich gestellt zu sein.
Ich stieg in Midtown Manhattan aus, nicht weit vom Times Square entfernt, und wuchtete die drei vollgestopften Taschen auf den Randstein. Damals hatten Reisetaschen noch nicht diese kleinen Rädchen, und so musste ich sie entweder zu meiner neuen Behausung tragen oder schleifen: dem Alvin Hotel an der 52nd Street zwischen dem Broadway und der Eight Avenue. Das Alvin gehörte zu den billigen Hotels, und ich hatte gehört, dass dort viele Musiker lebten. Es lag nur eine Ecke vom Birdland entfernt, dem Ort, wo ich sein wollte.
Das Birdland war der legendäre Jazz-Club, der seit 1949 all die Großen angezogen hatte. An der Fassade hing ein Schild mit der Aufschrift THE JAZZ CORNER OF THE WORLD, was man förmlich spürte. Dort waren bislang regelmäßig Musiker wie Count Basie aufgetreten, Charlie Parker, John Coltrane, Stan Getz und Art Blakey. Auch Miles Davis zählte zu den häufig gesehenen Gästen, obwohl die Polizei ihn nur fünf Monate zuvor vor dem Clubs für das „Verbrechen“ verprügelt hatte, eine weiße Frau