Möglichkeiten. Lisa Dickey
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„Herbie, es ist Zeit für deine eigene Platte.“
„Nein“, erwiderte ich. „Ich bin noch nicht bereit.“
„Doch, das bist du“, bekräftigte er seine Aussage. „Und ich werde dir erklären, wie man das anpackt.“
Donald stand bei Blue Note unter Vertrag, dem Top-Jazz-Label, das sich damit rühmte, Platten der „jungen Wilden“ des Jazz zu veröffentlichen – der heißen Musiker, die gerade ihre Karriere begannen. Freddie Hubbard, Wayne Shorter und Horace Silver waren alle bei Blue Note, und ihre Karrieren entwickelten sich steil nach oben. Doch es gab einen Haken: Die Verantwortlichen von Blue Note wollten einen jungen Künstler erst dann vertraglich verpflichten, wenn sie genau wussten, dass er Alben verkaufen konnte. Das ließ sich mit dem alten „Huhn-und-Ei“-Dilemma vergleichen, denn niemand stimmte einer Plattenproduktion zu, bis man bewiesen hatte, dass man auch genügend Platten absetzte.
Doch Donald hatte einen Plan ausgeheckt. Er riet mir: „Du musst Folgendes machen. Geh zu Alfred Lion“ – einem der Mitbegründer von Blue Note – „und erzähl ihm, sie hätten dich eingezogen.“ Es war die kurze Zeit zwischen dem Korea- und dem Vietnamkrieg. Obwohl die USA nirgendwo kämpften, nahm die Rekrutierung ihren gewohnten Lauf. „Sag ihm, dass du eine Platte machen willst, bevor du zur Armee gehst. Das ist der erste wichtige Punkt“, erklärte Donald.
„Zweitens: Die eine Hälfte des Albums kannst du für dich aufnehmen, die andere musst du für Blue Note einspielen.“ Ich wusste nicht, was das bedeuten sollte, woraufhin er seine Erklärung fortsetzte. Die Hälfte der Titel durften Eigenkompositionen sein, doch ich sollte mich darauf vorbereiten, mindestens genauso viele Versionen von Standards aufzunehmen. „Du musst was machen, das die Leute kennen“, setzte Donald seine Unterweisung fort. „Denn nur so verkauft man Platten. So läuft das Business eben, Herbie.“
Ich dachte einige Tage über Donalds Ratschläge nach, besonders über die Tipps zu den eigenen Songs. Ich mochte das Spielen von Standards wie jeder andere auch, doch mit der Komposition von eigenen Stücken wollte ich die Hörer packen. Komponisten wie Horace Silver hatten Stücke geschrieben, die sich verkaufen ließen. Seine heißen, funky Nummern gingen dabei am besten. Konnte ich einen „funky“ Song komponieren, der dem Verkauf eines Albums zuträglich war?
Ich beabsichtigte, etwas Authentisches zu schreiben, das auf der afroamerikanischen Erfahrung basierte. Allerdings wollte ich Themen wie Gefängnis, Chain-Gang oder Baumwollpflücken im Süden vermeiden. Ich war schwarz, stammte aber aus dem Norden, aus einer großen Stadt, und hatte somit nicht den blassesten Schimmer von Baumwollfeldern und Chain-Gangs. Ich besaß noch hochfliegende Ideale hinsichtlich meiner Integrität als Musiker und wollte, dass meine Songs mit dem wirklichen Leben übereinstimmten. Okay, warum also nicht eine Nummer schreiben, die auf der Erfahrung als Schwarzer in Chicago beruhte? Und dann blitzte das Bild des Watermelon Man vor meinem geistigen Auge auf, eines wohl eindeutig ethnisch prägnanten Charakters meiner Kindheit.
In den Vierzigern rollte der sogenannte „Wassermelonenmann“ [erst ab den Siebzigern wurde der Begriff „Watermelon Man“ mit einem Drogenhändler gleichgesetzt, A.T.] mit seinem Wägelchen durch die South Side und die Gassen entlang, um seine Früchte zu verkaufen. Damals bestand die Straßendecke noch aus altem Kopfsteinpflaster, und so wuchs ich mit dem Geräusch des Klack-Klack-Klack, Klack-Klack-Klack auf, das die Räder des von einem Pferd gezogenen Wagens machten. Ich hatte dieses rhythmische Klackern so oft gehört, weshalb es mir leichtfiel, es in ein Song-Pattern zu übertragen. Doch wie sollte die Melodie klingen?
Ich erinnerte mich, wie der Watermelon Man seine Ware mit einer Art Sing-Sang anpries. „Watey-mee-low! Red, ripe, watey-mee-low!“ Er rief das zu den Fenstern der Bewohner hoch, schwärmte davon, dass er den Leuten die Wassermelonen „stecken“ wolle, was bedeutete, ein kleines dreieckiges Stück zur Verkostung herauszuschneiden. Obwohl der Watermelon Man rhythmisch „sang“, war das Geheul nicht unbedingt melodisch. Ich dachte an all die Frauen, die auf der Veranda saßen, das Gesicht der Gasse zugewandt. „Hey-eyyy, watermelon man!“ Und da hatte ich sie – die Melodie meines Songs. Ich schrieb ein funky Arrangement, bei dem die Melodie über ein Rhythmus-Muster „säuselte“, welches das Geräusch der Wagenräder imitierte, die über das Kopfsteinpflaster der Straße klapperten. Ich nannte den Song schlicht „Watermelon Man“.
Mir gefiel die Nummer, und ich war glücklich darüber, sie aus einer Kindheitserinnerung heraus kreiert zu haben, einem Teil meines kulturellen Erbes. Ich wusste aber, dass nicht jeder auf den Song eines schwarzen Musikers mit dem Titel „Watermelon Man“ abfahren würde. Damals ließ sich das bestimmende Image von Schwarzen (mit Wassermelonen) mit einer eindeutig negativen Karikatur gleichsetzen, die ein kleines schwarzes Kind mit geflochtenem Haar, großen weißen Augen und glänzenden Zähnen zeigte. Durch die Komposition eines Songs mit dem Titel „Watermelon Man“ fühlte ich mich ein wenig peinlich berührt, denn ich war mir nicht ganz sicher, keinen Fehler zu begehen.
Und so nahm ich mir die Situation gedanklich vor und pflückte sie wie immer analytisch auseinander. Dabei stellte ich mir zwei Fragen: Gibt es negative Bezüge mit Blick auf Wassermelonen? Nein! Gibt es ein inhärentes Problem mit einem „Watermelon Man“? Nein. Dass etwas so Unschuldiges und Harmloses wie eine Wassermelone partiell vom herrschenden Rassismus in Beschlag genommen wurde, war eine Tatsache, die mir überhaupt nicht gefiel. Ich wollte mich davon nicht unterkriegen lassen, denn das hätte bedeutet, sich auf die Opfermentalität einzulassen, die Tendenz zu akzeptieren, unbewusst oder bewusst, das Negative anzunehmen, das mit Rassismus verknüpft ist.
Indem ich das Stück „Watermelon Man“ betitelte, beabsichtigte ich, die Deutungshoheit des Bildes von Schwarzen wieder für uns zu beanspruchen. Nach den gedanklichen Analysen fühlte ich mich erleichtert, da ich den Song mochte und ihn aufnehmen wollte – und mir wäre niemals ein anderer Titel eingefallen.
Es gab übrigens auch einen Gemüsehändler, der mit seinem klackernden Gespann durch die South Side zog, doch der hatte nicht diesen Sound …
Auf Donalds Drängen hin begab ich mich im Frühjahr 1962 zu einem Treffen mit Alfred Lion und Frank Wolff, die ich während der Arbeit an Royal Flush bereits kennengelernt hatte. Alfred und Frank waren deutsche Immigranten, in die USA ausgewanderte Kindheitsfreunde, die Blue Note 1939 gegründet hatten. Die beiden sprachen mit breitem Dialekt, und einige Jazz-Musiker hatten ihren Spaß daran, sie nachzuäffen. Man hätte den Eindruck gewinnen können, dass die Leute sich über sie lustig machten, doch in Wahrheit erkannte jeder, wie viel Herzblut Frank und Alfred investierten und wie viel ihnen die Musik bedeutete. Die Musiker schätzten sie dafür.
Wie Donald mir geraten hatte, erklärte ich Frank und Alfred zuerst, dass ich vor der Einberufung stünde. Dann erzählte ich ihnen von drei Eigenkompositionen, die ich mit zwei Standards und einem Blues einspielen könne, was eine Platte mit sechs Songs ergäbe, damals typisch für eine Jazz-LP. Sie baten mich, die drei Songs vorzuspielen. Als ich fertig war, fragte Alfred: „Kannst du noch drei Nummern schreiben, Herbie?“ Das überraschte mich, denn es war für Blue Note höchst ungewöhnlich, von einem jungen Künstler nur eigene Songs produzieren zu lassen. Vielleicht hatten sie bei „Watermelon Man“ etwas gehört, das sie überzeugte, dass man damit Platten verkaufen konnte, weshalb sie sich gewillt zeigten, ein komplettes Album nur mit eigenen Stücken von mir zu machen. Das verblüffte mich! Ich hatte das Büro an dem Tag in der vagen Hoffnung auf einen Plattenvertrag betreten, und nun boten sie mir viel bessere Konditionen an, als ich jemals zu träumen gewagt hätte.
Doch