Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White
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In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren erreichte die Ska-Manie auch England, wo eine sich immer mehr vergrößernde Bevölkerung aus Westindien und neugierige Briten in Massen die ›shebeens‹ (heruntergekommene Kellerclubs ohne Lizenz) und Tanzveranstaltungen der Sound-System-Leute besuchten, um Long Life Lager zu trinken, Ganja zu rauchen und sich in dem Tumult zu vergnügen, den Platten von der Insel und gastierende Musiker hervorriefen. In Großbritannien wurde der Ska nach dem Blue-Beat-Label der Firma Melodisc Records bald ›Bluebeat‹ genannt. Auf diesem Label erschienen Songs von jamaikanischen Gruppen wie Laurel Aitken and the Carib Beats, Basil Gabbidon’s Mellow Larks und Desmond Dekker and the Acs. Vom jamaikanischen Publikum ermutigt, nahm der englische Organist Georgie Fame ausgewählte Titel von den letzten Blue-Beat-Veröffentlichungen in das Repertoire auf, das er in Londons Flamingo Club spielte. Später nahm Fame mehrere auf dem Ska basierende Singles für das R&B-Disc-Label auf; die besten davon waren ›Orange Street‹ und ›JA Blues‹. Und zur gleichen Zeit fanden die jamaikanischen Musiker in London Gefallen an dem Funky-Jazz des Organisten Jimmy Smith und des Saxophonisten Lou Donaldson und nahmen diese Musik mit nach Hause zurück.
Aber all das wäre wohl kaum mehr als eine Kuriosität geblieben, hätte es nicht die Bemühungen eines weißen Anglo-Jamaikaners von aristokratischer Herkunft namens Chris Blackwell gegeben. Als Geschäftsunternehmen, das er beinahe wie ein Freizeitvergnügen betrieb, hatte er ein kleines Vertriebsnetz für ethnische Platten aufgebaut. Aber er hatte eine Zukunftsversion, was die potentielle Wirkung von Jamaikas pulsierender Antwort auf den Blues betraf.
1962 brachte Blackwell sein winziges Blue-Mountain/Island-Label mit nach England, erwarb Master-Tapes, die in Kingston produziert worden waren, und veröffentlichte sie in Großbritannien auf Black Swan, Jump Up, Sue und dem Mutter-Label Island. Unter seinen ersten Künstlern waren Jimmy Cliff, Lord Creator, Wilfred ›Jackie‹ Edwards, die Blue Busters, Derrick Morgan, der Posaunist Don Drummond and the Skatalites und Bob Marley, dessen erste Single auf Island unter dem falsch geschriebenen Namen Bob Morley erschien.
In England traf Blackwell mit seinen zukunftsweisenden jamaikanischen Rock-Platten auf Sympathie bei den modebewussten Mod- und Skinhead-Teenager-Bewegungen. Aber der große Durchbruch kam erst, als Millie Small, eine näselnde kleine Göre, die er managte, 1964 mit ›My Boy Lollipop‹ einen riesigen US-Hit landete, auf dem der Skatalite Ernest Ranglin an der Gitarre und ein unbekannter Harmonikaspieler aus der Band von Jimmy Powell and the Five Dimensions auf der Mundharmonika zu hören sind.
Auf Jamaika war der Schlachtruf des Sound System Ska: ›Stay and Ketch It Again!‹ Der Mann hinter dem Plattenspieler heizte die Menge, die im Schlurfschritt tanzte, aber mächtig mit den Hüften rotierte, mit einem Aufblitzen seiner polierten Machete und einem laut krakeelten ›Please a Lady! Jump it ip now!‹ nochmals an, und dann legte er Don Drummonds ›Jet Stream‹ oder das gewagte ›Jerk in Time‹ von den Wailers auf. Es dauerte nicht lange, da wollte jeder ›rude boy‹ (Halbstarker aus den Ghettos) und Waisenknabe vom Lande seine eigene Stimme aus einer Bassbox dröhnen hören.
Die erste Single der Wailers, ›Simmer Down‹ (Bob hatte mit einer früher aufgenommenen Solofassung einen Talentwettbewerb im Ward Theatre gewonnen), war Ende 1963 bis Anfang 1964 ein Ska-Superhit auf Jamaika; der Text rief die jungen Rowdys dazu auf, ihr Temperament zu zügeln und mitzuhelfen, die Bandenkriege und die wilde Gesetzlosigkeit einzudämmen, die epidemische Ausmaße angenommen hatten. Unglücklicherweise verliehen diese Platte und nachfolgende Veröffentlichungen wie ›Rude Boy‹ und ›Jail House‹ den Straßenlümmeln einen eher perversen Ruhm.
Die Ska-Blue-Beat-Weiterentwicklung, die bekannt werden sollte als ›Rock Steady‹, fand ungefähr 1966 statt, als die allgegenwärtigen Posaunen, Trompeten und Tenorsaxophone in den Hintergrund traten, der elektrische Bass die Vorrangstellung gewann, die Gitarre sich darauf verlegte, die nach Schluckauf klingenden Kadenzen zu akzentuieren, und immer häufiger Sologesang präsentiert wurde. Der archetypische Song dieser Ära war der Tanzhit ›Rock Steady‹ von Alton Ellis. Allgemein war jedoch der wesentliche Aspekt an der Weiterentwicklung des Ska zum Rock Steady das Auftauchen einer neuen Generation talentierter jamaikanischer Musiker.
»Die Typen, die alles unter Kontrolle hatten, raubten die älteren Musiker aus«, sagte Bob Marley in einem Interview 1975. »Die hatten’s satt und hörten zu spielen auf. Und da änderte sich die Musik, von den älteren Musikern zu den jüngeren. Leute wie ich, wir lieben James Brown und eure funky Sachen, also haben wir in die amerikanische Kiste gegriffen. Wir wollten nicht mehr rumstehen und nur den langsamen Ska-Beat spielen. De young musicians, deh had a different beat – dis was rock steady now! Eager to go! Du-du-du-du-du … Rock steady goin’ t’rough!«
Marley traf den Nagel auf den Kopf, als er James Brown mit dem musikalischen Wandel in Verbindung brachte, denn der R&B war für den Ska, was Soul für Steady bedeutete. Und als Jimi Hendrix und Sly Stone auftauchten und dem Soul eine Adrenalinspritze verpassten, waren die Wailers angetreten, dasselbe für den Rock Steady zu leisten, ihn auszustatten mit einer ungezügelten Entschlossenheit und Kraft, die ihn schließlich zum Reggae machte.
In den siebziger Jahren waren in den Top 40 der USA mehrere Rock-Steady- und frühe Reggae-Hits zu Gast – besonders auffallend die anti-kolonialistische Kampfansage ›Israelites‹ von Desmond Dekker and the Aces (1969) und Jimmy Cliffs lebensfrohes ›Wonderful World, Beautiful People‹ (1970) –, ohne dass die Plattenkäufer auch nur ahnten, wofür diese Songs standen. Aber amerikanische und britische Musiker, die sich angefreundet hatten mit dem thematischen und rhythmischen Selbstbewusstsein der Reggae-Musik in den frühen siebziger Jahren, hörten hinter dem unvergesslichen Sound auch die Kassen klingeln und begannen, mit ihren eigenen Reggae-Interpretationen Erfolge einzuheimsen. Paul Simons Ausflug 1971 in die Dynamic Studios von Byron Lee in Kingston, um ›Mother and Child Reunion‹ aufzunehmen, hatte seinen Anteil an einer lebendigen und lukrativen musikalischen Einflussnahme auf andere prominenten Exponenten des Rock, R&B, Punk, der Disco-Musik, des Funk und der New Wave, darunter Stevie Wonder, Paul McCartney, Elvis Costello, Boney M, 10cc, die Rolling Stones, Orleans, Linda Ronstadt, ABBA, die Staple Singers und The Clash, um nur einige zu nennen. 1974 erreichte Eric Clapton in den USA und in vielen Ländern Europas Platz eins mit seiner Version von Marleys Shantytown-Geständnis ›I Shot the Sheriff‹. 1979–1980 dann wurde ein eklektizistischer neuer Sound von rassengemischten englischen Gruppen wie den Specials, Madness und English Beat geschaffen, die ein Ska-Revival mit der possenhaften Energie des Punks verbanden.
Die hypnotisierenden und oft aufwieglerischen Songs von Bob Marley and the Wailers waren gemeinhin voller Metaphern für den Überlebenskampf der Dritten Welt und zudem durchsetzt von den verschwommenen Lehrmeinungen des Rasta-Glaubens sowie von Symbolen und Maximen, die der jamaikanischen und afrikanischen Folklore entstammten. Die Wailers bewiesen bald, dass sie weit mehr als ein Rock-Phänomen waren, und ihre Musik beschäftigte sich zunehmend mit gesellschaftlichen Problemen auf der Insel, sei es nun die ätzende Anklage polizeilicher Übergriffe gegen Rastas in ›Rebel Music (3 O’Clock Road Block)‹ oder ›Them Belly Full (But We Hungry)‹, in dem das demokratisch-sozialistische Regime des Premierministers Michael Manley darauf hingewiesen wurde, dass die Ghettobevölkerung, der die Bürgerrechte entzogen waren, eine unberechenbare und starke politische Kraft sei.
Aber auf Jamaika rechnete niemand mit der Wirkung, die die Musik von Marley und Begleitern einmal auf der ganzen Welt haben sollte. Während der meisten Entwicklungsphasen des Jamaika-Rock waren die Wailers in der Karibik kommerziell recht erfolgreich gewesen.