Der Thriller um Michael Jackson. Hanspeter Künzler

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Thriller um Michael Jackson - Hanspeter Künzler страница 9

Der Thriller um Michael Jackson - Hanspeter Künzler

Скачать книгу

nicht von der Musik gepackt, sondern von einem Video-Clip, einem Tanzschritt, einer Pose oder auch nur einem Fotoporträt.

      Ein Grund für diese späte Hinwendung zu Michael ist wohl im deutschen Musikgeschmack und den damit verbundenen Wertvorstellungen in den Sixties und Seventies zu suchen. Abgesehen von einigen Oasen in der Umgebung amerikanischer Armeestützpunkte stieß die schwarze amerikanische Popmusik hier weitgehend auf Unverständnis. Motown, die Hitfabrik in Detroit, die unter der kaltschnäuzigen Führung von Berry Gordy Jr. aus Elementen von Soul, Gospel, Doo Wop und Rhythm & Blues einen Pop-Sound hervorbrachte, der in den USA und in Großbritannien über die ganzen Sixties hinweg schwarze und weiße Popfans in Tanz-Ekstase versetzte, blieb hier ein Kultphänomen. In den Worten eines der befragten Fans: „Motown, das hörte hier doch keiner, mit all den Kleidern und den blöden Tänzchen war das doch Kindermusik!“

      Als Motown und die Jackson 5 im Zenit ihrer Karrieren standen, wurden die deutschen Charts von deutschen Schlagern und deutschen Übersetzungen englischsprachiger Hits geprägt. Dazu kamen britische Singles, deren Ruf vorab über das populäre Radio Luxemburg und die Piratensender in der Nordsee Verbreitung fand. Die amerikanische Armee-Radiokette American Forces Network (AFN) sorgte immerhin dafür, dass das kontinentaleuropäische Publikum doch noch einen Draht – einen dünnen Draht zwar, aber immerhin – zur fernen US-Hitparade hatte. Aber in den konventionellen Medien musste die Popmusik unten durch. Es herrschte sogar ein weit verbreitetes Vorurteil gegen sie, selbst wenn es um Neuerer wie die Beatles ging. „Yeah yeah“-Musik war das klangliche Pendant zum Schundheft. Wenn sie noch halbwegs toleriert wurde, war laute Musik nach dem bürgerlichen Konsens eine adoleszente Verirrung, die sich mit der psychischen Reife in eine Vorliebe für gesittete Klassik, stramme Blasmusik oder James Last verwandeln würde. Die in dieser Haltung verwurzelte Radiopolitik hatte zur Folge, dass die Hitparade selten von Liedern beseelt wurde, die nicht in den mitteleuropäischen Mainstream passten. The Supremes („Love Child“, 1969), The Edwin Hawkins Singers („Oh Happy Day“, 1969), Otis Redding („Sittin’ on the Dock of the Bay“, 1968 – es war für Reddings Hit-Chancen von Vorteil, dass sein Flugzeug im Dezember 1967 in den Lake Monona gestürzt war und ihn an der Seite seiner Begleitgruppe Bar-Kays in den Tod gerissen hatte) und Ike & Tina Turner („Nutbush City Limits“, 1973) gehörten zu den wenigen schwarzen US-Künstlern, die es in unserer Popwelt dennoch zu Ruhm brachten. Es war nicht genug, um ein breites Publikum für die Freuden von James Brown oder gar die Jacksons zu gewinnen. In der Rockszene, die sich ernst nahm, beziehungsweise im „Underground“, hatte Motown, Soul und Funk eh einen schweren Stand. Auch hier galt Popmusik wenig. Die immer waghalsigeren Experimente der Beatles, der Rolling Stones und „progressiverer“ Bands à la Nice, Pink Floyd, Cream und The Jimi Hendrix Experience hatten mächtig den Appetit auf komplexere und ausgefallenere Rockkost angeheizt. Gerade in dieser Szene machte sich eine neue Version der alten Zweiteilung zwischen Kunstmusik und Populärmusik breit. Ketzerisch vertrat man hier die Meinung, dass Rockmusik „die neue Klassik“ sei, indem sie nämlich zu einer Erweiterung des Horizonts und zur Bereicherung des Intellekts führe. Popsongs nach dem klassischen Drei-Minuten-zwanzig-Schema galten als geistloses kommerzielles Produkt, besonders wenn man dazu auch noch tanzen konnte. Darüber hinaus waren die abenteuerlustigeren deutschen Musiker mit der eigenen Suche beschäftigt, welche sie genau in die Gegenrichtung trieb. Im Bestreben, eine neue Musik zu schaffen, die in der hiesigen Kultur und nicht an der Carnaby Street oder gar in den Baumwollfeldern von Mississippi verwurzelt war, versuchte man unter anderem mit neuartigen, manchmal selbstgebauten elektronischen Instrumenten eine Musik zu schaffen, die sich nicht mehr am Blues orientierte. Die Briten schufen für diese Bemühungen alsbald den zuerst despektierlich, bald aber bewundernd gemeinten Kosenamen „Krautrock“.

      Als „Off the Wall“ in die Läden der Länder kam, die im Musikgeschäft GAS-Länder genannt werden (Germany, Austria, Switzerland), war dort das breite Publikum schlicht nicht in der Lage, dessen Brillanz zu erfassen. Das Album gelangte zwar in die Charts, musste sich in Deutschland aber mit einer eher diskreten Höchstplatzierung auf Rang 25 begnügen.

      Als am 30. November 1982 „Thriller“ in die Läden kam, traf das Album veränderte Umstände an. Die Vorurteile gegen Popmusik waren abgeflaut. Im Fernsehen kam deutlich mehr Pop, es wurde eine deutlich breitere geschmackliche Palette abgedeckt. Zum Beispiel hatte man inzwischen Bob Marley und seine Wailers entdeckt und überhaupt ein Interesse an schwarzer Musik entwickelt, das über die verschlagerten Disco-Knüller von Boney M. hinausging. Dennoch war es nicht so selbstverständlich, dass „Thriller“ auch hier an die Chart-Spitze gelangen würde, wie es der überwältigende Erfolg in den USA wohl hätte erwarten lassen. Der US-Erfolg war zu einem großen Grad einem geschickten Schachzug von CBS-Präsident Walter Yetnikoff zu verdanken.

      Am 1. August 1981 war mit MTV der erste Musik-TV-Sender fürs Satellitenfernsehzeitalter aufgeschaltet worden. Als Zielpublikum für den Sender wurde unumwunden ein weißes Rockpublikum ins Auge gefasst. Dahinter standen keine rassistisch motivierten Verschwörungen, sondern kaltschnäuzige finanzielle Überlegungen. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass weiße (College-)Kids mehr Geld in der Tasche hatten als die jungen schwarzen Bewohner der urbanen „Projects“. Walter Yetnikoff war überzeugt, dass „Thriller“ über den angestammten Stilschubladen im amerikanischen Musikgeschäftdenken stand. Er drohte, der noch so jungen Firma MTV künftig den Zugang zu allen anderen CBS-Videos zu verweigern, wenn sie den spektakulären – und spektakulär teuren – Clip für die erste Single-Auskoppelung von „Thriller“, „Billie Jean“, weiterhin boykottierte. MTV lenkte bald ein. Das Videozeitalter war damit erst richtig angebrochen – genauso wie die Karriere von Michael Jackson als Star, der über allen anderen Stars seiner Generation wachte.

      MTV blieb vorerst ein amerikanisches Vergnügen. MTV Networks Europe wurde erst 1987 in London lanciert. Zuvor war ebenfalls in London der Konkurrenzsender „Music Box“ gestartet worden, aber das war bloß drei Jahre vorher – also zu spät für den Rummel um „Thriller“. So verbreitete sich die „Message“ von Michael Jackson immer noch hauptsächlich über die herkömmlichen Pop-Medien, vor allem die Teenie-Presse. Entsprechend galt Jackson in den GAS-Ländern vorerst als Teenie-Phänomen. Ja, im Gegensatz zu Deutschland schaffte es „Thriller“ in Österreich nur auf Rang drei. In der Schweiz resultierte Rang vier – und dies erst im November 1983, ein geschlagenes Jahr nach dem Erscheinen des Albums. Immerhin blieb „Thriller“ auch in der Schweiz 51 Wochen in der Hitparade, um dann dank der Neuauflage „Thriller 25“ im Frühjahr 2008 doch noch den Chart-Gipfel zu erklimmen.

      Mit dem Erscheinen von „Bad“ machte Michael Jackson zumindest auf internationaler Ebene wiederum einen Quantensprung. Zum ersten Mal tourte er solo durch die Welt und bereiste im Frühjahr und Sommer 1988 auch Europa. Der Kontinent stand unterdessen im MTV-Fieber. Endlich war man auch hier bereit, das Gesamtpaket Michael Jackson in all seiner multimedialen Glorie zu verstehen und zu würdigen. Es war just der Moment, wo in Großbritannien und in den USA dicke und düstere Wolken über seiner Karriere aufzogen. Wo die gnadenlose Lawine von Sensations- und Horrorstorys Michael Jackson, den Künstler, in „Wacko Jacko“, den Freak, verwandelte.

      Michael Jackson:

      Der 25. Juni 2009

      Lunch war vorbei, es wäre wieder an die Arbeit gegangen im Staples Center, Los Angeles. Die Proben für die Serie von fünfzig Konzerten in der Londoner O2-Arena, die am 13. Juli 2009 beginnen und am 6. März 2010 enden sollte, waren in die Schlussphase getreten. Acht Tage blieben noch, ehe man das Bühnenbild und alles, was sonst noch auf der Bühne stand, abmontieren und nach London transportieren würde. Heute sollte es darum gehen, die Inszenierung von „Dirty Diana“ zu perfektionieren. Allerdings sorgten die Gerüchte, die seit einer halben Stunde die Runde machten, rundum für Bestürzung, ja Panik. Michael Jackson sei ins Ronald Reagan UCLA Medical Center eingeliefert worden, hieß es. War es ein falscher Alarm? Eine letztlich harmlose Panikattacke wie im Dezember 1995 bei den HBO-TV-Aufnahmen

Скачать книгу