Der Thriller um Michael Jackson. Hanspeter Künzler
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Kinderstars und Teeniehelden im Popgeschäft schaffen es selten, eine Karriere in die Erwachsenenzeit hinüberzuretten. Britney Spears gelingt es mit Ach und Krach, dann und wann den Dämonen zu entweichen, die der frühe Erfolg in ihrer Psyche freigesetzt hat, um sich von gewieften Profis eine weitere Hitsingle maßschneidern zu lassen. Ihr stehen Dutzende von verlorenen Seelen entgegen, die in den Bars von Los Angeles der Jugend und den Träumen der Jugend nachträumen. Und diejenigen Ex-Teenie-Helden, die es tatsächlich schaffen, auch noch in fortgeschrittenem Alter in Hallen aufzutreten, in denen es mehr als einen Barkeeper braucht, sind zumeist dazu verdammt, das Hit-Repertoire von anno dazumal zu wiederholen, bis das nostalgiegebeutelte Rentnerpublikum statt feuchter Höschen nur noch gebrauchte Gebisse auf die Bühne werfen kann (ein Schicksal, das der immer noch jungen Britney durchaus noch blühen könnte). Rar sind Künstler wie (Little) Stevie Wonder, deren frühreife Show-Talente mit den Jahren zu einer künstlerischen Neugier und Vision heranwachsen, mit denen sie Werke hervorzubringen, deren innovatorische Brillanz alle früheren Karrierepeinlichkeiten vergessen lässt.
Dass Michael Jackson zu diesen Ausnahmekünstlern gehören würde, war nicht abzusehen, als er im Dezember 1979 an der Seite von Produzent Quincy Jones, den er bei den Dreharbeiten von „The Wiz“ kennengelernt hatte, das Studio betrat, um das erste Solo-Album in eigener Verantwortung einzuspielen (seine ersten vier Solo-Alben waren schon zwischen 1972 und 1975 erschienen, aber einen Einfluss auf deren Stil hätte Michael selbst dann nicht ausüben können, wenn er das gewollt hätte). Das resultierende Album erschien am 10. August 1979 und hieß „Off the Wall“. Die verantwortlichen Business-Kapitäne von der Plattenfirma Epic (ein Unterlabel von CBS Records, heute Sony) maßen dem Ereignis so wenig Bedeutung zu, dass man es zuließ, dass Michael nur zwei Monate später mit den restlichen Jacksons zur achtzig Konzerte umfassenden „Destiny“-Welttournee antreten musste, statt sich in eigener Sache einsetzen zu können. Es war eine dramatische Machtdemonstration von Vater Joseph Jackson, der den Sologelüsten von Michael mit Misstrauen gegenüberstand. Er befürchtete – zu Recht, wie es sich herausstellte –, dass ein möglicherweise eintretender Soloerfolg einen Graben zwischen Michael und seinen Brüdern aufreißen würde. Bestimmt auch wusste er, dass es die weiterhin von ihm gemanagten, mit solidem, aber nicht blendendem Talent ausgerüsteten Rest-Jacksons schwer haben würden, ohne den Talisman Michael noch Gehör zu finden.
„Off the Wall“ hielt sich sechzehn Wochen lang an der Spitze der amerikanischen „Black Music“-Charts und erreichte in den dortigen Pop-Charts Rang drei. Damit war Michael Jackson nicht nur in der amerikanischen Soul- und Funkszene als Solokünstler etabliert (der Ausdruck R&B war damals noch für den jazzig angehauchten Gospel-Blues eines Ray Charles oder Fats Domino reserviert), sondern auch in Großbritannien, Frankreich, Brasilien und Australien. Die langjährigen Fans von Soul und Funk nach angestammtem „funky“ Muster hatten Mühe, sich mit dem für ihren Geschmack zu glattpolierten Album anzufreunden. „Wer braucht schon einen einzelnen Jackson im Haus, wenn er auch die ganze Familie haben könnte?“, fragte giftig die englische „Black Music & Jazz Review“. Aber bei der nächsten Generation von Musikfans schlug das Album ein wie eine Bombe. Die elastische und subtil unterspielte Mélange aus Funk, Disco, Soul, Jazz und Pop, ganz zu schweigen von der androgynen Stimme, war neu.
In den USA hatte die Disco-Welle den Graben zwischen „schwarzer“ und „weißer“ Musikkultur, der sich nach dem Verblassen des rassenblinden Motown-Sounds der Sixties nur noch breiter aufgetan hatte, zwischenzeitlich zugeschüttet. Da passte „Off the Wall“ eh perfekt ins Klima. In Großbritannien, wohl auch in Frankreich, sprach das Album der Jugend aus dem Mund, auch wenn es für den amerikanischen Markt konzipiert worden war. Die erste Generation von Secondos – Kinder von Immigranten aus Jamaika und vom indischen Subkontinent – hatte in den Schulen die Oberstufe erreicht. In den urbanen Schulen waren die Klassen kulturell durchmischt wie noch nie. Ungeachtet der Hautfarbe der Schüler und der Musik, welche deren Eltern daheim erklingen ließen, waren diese nicht entweder mit Pop, Rock, Soul, Reggae oder Afrobeat aufgewachsen, sondern mit all diesen Musikformen zusammen. Es konnte durchaus sein, dass sie selbst auf Chic standen und Queen und Bob Marley grässlich fanden – aber ob sie es wollten oder nicht, auch Queen und Bob Marley gehörten zur Klangkulisse ihres Aufwachsens. Eine Popmusik, die ihnen aus dem Herzen sprach, musste denn zumindest die Möglichkeit offenlassen, dass Spurenelemente all dieser anderen Musikstile darin zu orten waren. In einer Zeit, in der besonders die jungen britischen Reggae-Bands arg dagegen anzukämpfen hatten, dass Reggae mit Einflüssen, die nicht aus dem Ghetto von Kingston kamen, weit herum als „unauthentisch“ oder gar „verweichlicht“ abgetan wurde, setzte „Off the Wall“ ein kühnes Zeichen: Das Album zeigte, dass es möglich war, das Stildiktat festgefahrener Genre-Konventionen zu ignorieren und gerade dank einer Stilsynthese aus dem Reagenzglas des Studios zu einer neuen Authentizität durchzufinden. Vor kurzem wurde der erfolgreiche New Yorker Rapper und Business-Kapitän Jay-Z (Jahrgang 1969) gefragt, welches sein Lieblingsalbum von Michael Jackson sei. Er nannte „Off the Wall“: „Es ist zeitlos, es passt in kein Genre, es hat keine Hautfarbe. Ob man es genießen kann, hängt nicht vom Alter ab. Meine Mutter hat es gehört, ich habe es gehört. Und trotzdem war es einfach cool.“
Nur ein einziger Fan aus dem deutschen Sprachraum hat im Gespräch oder auf dem Fragebogen „Off the Wall“ – wie ich es getan hätte – als Ausgangspunkt seines Fan-Seins angegeben. „Bad“ entpuppt sich als das Album, das die meisten neuen Fans anlockte, gefolgt von „Thriller“ und „Dangerous“. 5 Prozent gaben gar an, erst mit seinem Tod auf die Freuden von Michael Jacksons Muse gestoßen zu sein. Einige wurden durch das Fernsehgespräch mit Oprah Winfrey oder gar durch das Interview mit Diane Sawyer an der Seite seiner kurzzeitigen Ehefrau Lisa Marie Presley auf ihn aufmerksam. Es gibt Bewunderer, die sich vor lauter Ungerechtigkeitsgefühl anlässlich der Kindsmissbrauchsanschuldigungen von 1993 oder gar 2003 zum Fan-Sein bekannten (der Eindruck wird bestätigt vom Fanklub jackson.ch, der vor allem 1993 einen großen Zulauf neuer Mitglieder verzeichnete). Allerhand Video-Clips („Heal the World“, „Earth Song“, „Give In To Me“, „Thriller“), Konzertübertragungen und -DVDs (allen voran Bukarest) brachten ebenfalls eine beachtliche Anzahl neuer Fans ins Haus. Aber nur für einen einsamen Fan kam der große Aha-Moment mit einem Song von „Off the Wall“: „Don’t Stop Till You Get Enough“. Und kein einziges Mal wurde „Off the Wall“, das Album, mit dem Michael Jackson die höchsten musikalischen – im Gegensatz zu visuellen – Mauern niederriss, als Lieblingsalbum genannt.
Verschwindend wenige heutige Michael Jackson-Fans aus dem deutschen Sprachraum können ihre Bewunderung bis „I Want You Back“ und „ABC“ zurückverfolgen. Die meisten bleibenden Fans –