Nixentod. Thomas L. Viernau
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Im Dorfkrug von Kienitz
Montag, 2. Januar 2006
Am Abend ging es im Dorfkrug hoch her. Stimmengewirr, Zigarettenqualm und Bierdunst erzeugten eine eigenartig dichte Atmosphäre in dem sonst eher stillen Schankraum. Die Leute von der Freiwilligen Feuerwehr gaben den Ton an. Schon etwas benebelt vom Alkohol drängten sich die jungen Burschen nach vorne und gestikulierten wild herum.
»Ick hab ja noch jesacht, det is ne Tote da, was da im Wassa liecht, hab ick, doch ... Un plötzlich waren da alle um mich herumjestanden und hamse ooch jesehn. Janz blau war se un entstellt von dit Eis un janz nackelig lag se da so im Wassa. Muss ma ne schöne Frau jewesen sein. Noch jar nich so alt. Aba det kann man bei so ne Wassaleiche jar nich sachen.«
Ein rotblonder Hüne mit wettergegerbtem Gesicht und einer halbvollen Tulpe Bier in der Hand überschlug sich beim Erzählen im breiten Dialekt der Ostbrandenburger fast vor Eifer.
Ein solch gruseliger Fund gehörte nicht zum Alltag am Fluss. Eigentlich hatte sich hier seit dem letzten Hochwasser nichts Aufregendes mehr ereignet. Die Leute in den Orten am Oderufer führten ein zurückgezogenes, unspektakuläres Leben.
Im Sommer zog es immer mehr Städter aus dem nahen Frankfurt oder sogar aus dem fernen Berlin hierher zum Radwandern oder zum Paddeln auf dem Fluss. In der dunklen Jahreszeit verirrte sich nur selten ein Fremder ins Dorf.
Man war unter sich, genoss die intime Stimmung. Viel war sowieso nicht zu verdienen hier am äußersten Rande Deutschlands. Jobs waren rar, junge Leute zog es hinüber gen Westen.
Zurück blieben die älteren und die Hausbesitzer, die an ihrem Grund und Boden hingen und dafür einiges an Unannehmlichkeiten auf sich nahmen.
Die einzige Kneipe im Ort war der alte Dorfkrug. Ein eher nüchterner Zweckbau aus den Sechziger Jahren, ehemals als HO-Gaststätte erbaut mit Tanzsaal und Kegelbahn, inzwischen erfolgreich privatisiert. Der Inhaber, der ehemalige Leiter der HOG, hatte den Sprung in die neue Welt des Unternehmertums geschafft; er kaufte den etwas heruntergekommenen Rauputzbau für eine symbolische Summe, strich sie weiß an und brachte eine kleine Leuchtreklame über der Eingangstür an: »Zum Alten Oderschiffer« strahlte nun im neongrünen Licht in die Nacht.
Im Sommer stellte er Tische und Stühle raus, dazu ein paar Sonnenschirme mit bunter Werbung für diverse Biersorten. Dann war das Haus gut besucht. Im Winter allerdings lebte man auf bescheidenem Fuße.
Vielleicht dreißig Leute drängten sich in der Schankstube. Doch dem Stimmengewirr nach zu urteilen würde man eine ganze Hundertschaft hier vermuten.
Jeder glaubte, seine Stimme zum Thema erheben zu müssen. Rings um den Tresen ging es am hitzigsten zu. Wortführer war Kohlgruber, der Finder der Leiche.
Er genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. In immer monströseren Farben schilderte er seinen Fund. Die meisten nickten eifrig und pflichteten ihm bei.
»Ja ja, sah janz schlimm aus ...«
Der Wirt schenkte eine Runde Klaren aus: »Geht aufs Haus!«
Soviel Umsatz wie an diesem Abend hatte die Kneipe sonst den ganzen Winter nicht. Zustimmendes Gegröle. Kohlgruber prostete den anderen zu.
Alle waren sichtlich damit beschäftigt, den Doppelten hinunterzustürzen.
Etwas abseits stand ein etwas kleinerer Mann, der sich aus der Zecherei heraushielt. Etwas verlegen verfolgte er die Gespräche, stierte dabei in sein Glas, welches bereits zu zwei Dritteln geleert war. Ein kollegialer Knuff ins Kreuz sollte ihn animieren, auch etwas mehr mitzutun beim Umtrunk. Unwirsch wehrte er die Einladung ab, legte einen Fünfeuroschein auf den Tresen und verschwand.
Kaum einer nahm Notiz vom Weggang des kleinen Mannes. Erst spät nach Mitternacht torkelten die letzten Besucher aus dem Dorfkrug. Die Leuchtreklame war längst schon erloschen, als ein Trupp Unverzagter noch lauthals schwadronierend durchs Dorf zog. Die Lichter in den Häusern waren aus, alles schlief bereits. Nur im Nachbarhaus, gleich neben der Kneipe, brannte ein schwaches Licht, vielleicht eine Fernsehleuchte. Aber darauf achtete niemand mehr.
Kienitz
Donnerstag, 5. Januar 2006
Zwei Tage waren vergangen. Das Dorf schien wieder zu seinem gewohnten Rhythmus zurückgekehrt zu sein. Ein dunkelgrauer Kombi mit Frankfurter Nummer parkte vor dem Gemeindehaus.
Er gehörte der Kripo aus Frankfurt. Die beiden Insassen waren bereits im Gemeindehaus verschwunden. Der Bürgermeister hatte die beiden Kripobeamten in sein Zimmer gebeten. Kaffeeduft lag im Raum. Ein paar Kekse waren auf einem Teller dekorativ aufgeschichtet. Etwas ratlos erwartete der Bürgermeister die Fragen der Beamten.
Nein, er kenne die gefundene Person nicht, auch seien bisher keinerlei Hinweise auf vermisste Personen eingegangen und im Dorf wisse auch keiner etwas über die geheimnisvolle Leiche. Er könne ausschließen, dass die Frau aus dem Ort oder aus den Nachbardörfern im Oderbruch komme.
Vielleicht sei sie ja aus dem benachbarten Polen, schließlich ist die Grenze ja direkt im Fluss. Ob die Polizei denn schon mal die Behörden im benachbarten Küstrin, das jetzt Kostrzyn hieß, befragt habe, die verständen auch ganz gut deutsch?
Die beiden Beamten machten sich missmutig ein paar Notizen. Routinearbeit, diese Befragungen, die meist nichts erbrachte, aber dennoch durchgeführt werden musste. Natürlich waren die Kripoleute schon auf die Idee gekommen, im benachbarten Polen nachzufragen, ob dort eine weibliche Person vermisst wurde.
Allerdings war bisher noch nichts Brauchbares gemeldet worden. Man tat sich schwer mit dem Amtshilfeersuchen. Es gab genügend Arbeit mit Schmuggel und Menschenhandel.
Um eine ominöse Fremde, die nirgends als vermisst gemeldet worden war, konnte man sich daher nicht auch noch kümmern. Zumal sie schon tot war und bisher nichts auf ein gewaltsames Ende hindeutete.
Die Leiche war bereits abtransportiert in die Gerichtsmedizin ins ferne Potsdam. Die Kripo aus Frankfurt verfasste einen abschließenden Bericht über die Umstände des Auffindens und den Stand der Bearbeitung bei der Klärung der Identität. Etwas dünn war der Bericht schon.
Aber mit der Leiche sollten sich die Kollegen vom LKA in Potsdam herumärgern. Die zogen solche Fälle sowieso an sich. Wozu soviel Aufwand mit einer Person, die sowieso keiner in der Gegend kannte!
Die Dienststelle in Frankfurt/Oder hatte genug mit Grenzdelikten zu tun. Für ominöse Todesfälle war da eigentlich keine Zeit, und erst recht hatte keiner der Beamten Lust auf mühselige Detektivarbeit.
Auszug aus einem Artikel in der Wochenendbeilage der »Potsdamer Neuesten Nachrichten« über die Entwicklung der Vermisstenzahlen im Lande Brandenburg:
... konnte auch für das gerade abgelaufene Jahr 2005 wiederum eine Steigerung bei der Aufklärungsrate von Vermisstenfällen festgestellt werden. Über 75 Prozent aller als vermisst gemeldeten Personen konnten im Berichtszeitraum aufgefunden werden. Meist handelte es sich um Kinder und Jugendliche, die ihrem Elternhaus den Rücken kehrten. Ein zunehmender Anteil debiler und seniler Personen ist bei dieser Statistik ebenfalls zu verzeichnen. Die Vermisstenstatistik spiegelt