Nixentod. Thomas L. Viernau
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Samstagnacht, 31. Dezember 2005
Zach fuhr nun schon seit drei Stunden durch die Stadt. Irgendwie wurde seine Situation immer trostloser und verworrener. Er wusste sich einfach nicht weiter zu helfen und sah nur einen Ausweg aus seinem Dilemma.
Es war stockfinster draußen. In der Ferne waren erste Böller zu hören. Auch ein paar Raketen zischten immer wieder durch den dunklen Himmel und hinterließen farbige Spuren.
Er hatte schon längst die Orientierung verloren, steuerte mechanisch den Wagen durch ein dünnbesiedeltes Viertel hinter dem Nordbahnhof. Tagsüber war hier schon wenig los, aber nachts war die Gegend wie ausgestorben. Eine dichte Baumreihe filterte das Licht der trüben Straßenbeleuchtung durchs Geäst. Die dunkle Straße schluckte das Licht förmlich, ebenso die ewig lange Friedhofsmauer aus ergrauten Klinkern. Er fuhr hier öfters entlang, wenn er dem Stau in der Chausseestraße entgehen wollte und kannte die vielen kleinen Abkürzungen in der Innenstadt.
Vor sich sah er plötzlich ein rotes Licht. Es gehörte zu einem Fahrrad. Darauf eine seltsam vertraute Person. Zach erkannte sie sofort.
Es war Karolin, seine Karolin!
Was hatte die jetzt in der Nacht hier zu suchen? Wohin fuhr sie? Auf alle Fälle nicht nach Hause, denn das wäre die entgegengesetzte Richtung. In Zach stieg die Wut wie eine heiße Hitzewelle hoch. Der gesamte Frust der letzten Tage und Stunden kochte zu einem einzigen kompakten Gefühl zusammen: zu reiner Wut. Zach trat das Gaspedal durch und steuerte auf das rote Licht zu ...
Auf den Straßen von Berlin
Sonntag früh, 1. Januar 2006
Die letzte Nacht hatte Zach als Alptraum erlebt. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Immer wieder sah er die Frau im hohen Bogen über den Lenker stürzen und sah das kaputte Fahrrad im Schneematsch liegen. Und immer wieder schoss ihm durch den Kopf: Du hast sie umgebracht!
Das Geräusch des Auftreffens der Stoßstange auf das Fahrrad, der schrille Schrei der Frau auf dem Rad und das harte Aufschlagen ihres Körpers auf dem Straßenboden – alles war der Ablauf von gerade einmal ein bis zwei Sekunden, die für Zach unendlich langsam waren. In einer Art Zeitschleife liefen diese beiden Sekunden immer wieder in Slow-Motion vor seinem inneren Auge ab. Er sah sich selbst aus dem Auto steigen und zu der reglos am Boden liegenden Gestalt hinlaufen.
Sie lag vor ihm im Schneematsch und bewegte sich nicht mehr. Ihr Gesicht war merkwürdig bleich. Angst erfüllte in diesem Moment Zachs Innerstes und ließ ihn davonlaufen. Er setzte sich ins Auto und fuhr mit laut aufheulendem Motor los. Nur weg!
Erst nach einer halben Stunde hatte er sich wieder soweit im Griff, bis er ein paar klare Gedanken fassen konnte. Der erste Gedanke war zu helfen.
Sie konnte da nicht den Rest der Nacht über liegen bleiben, sie musste in ein Krankenhaus. Und zwar so schnell wie möglich. Zach drehte seinen Kombi und fuhr mit stark überhöhter Geschwindigkeit zurück. Er bog mit einem lauten Quietschen in die stille Straße am Friedhof ein. Die Stelle, wo sie lag, musste gleich kommen ...
Er erstarrte. Dort, wo eigentlich Karolin am Boden liegen musste, war nichts, absolut gar nichts. Nur das Fahrrad lag noch einsam herum. Der Schneematsch war vollkommen zertreten, als ob sie einen Tanz im Schnee gemacht hätte.
Unmöglich!
Er hatte es doch mit eigenen Augen gesehen: Sie lag ohnmächtig am Boden. Und jetzt war sie weg!
Zutiefst verunsichert stand Zach herum. Was sollte er nur machen?
Wenigstens das Fahrrad konnte er mitnehmen. Vielleicht war Karolin ja auch zu Hause oder im Krankenhaus? Er musste es herausfinden. Schnell legte er das Fahrrad zusammen und packte es in den geräumigen Frachtraum seines Kombis. Dann fuhr er los Richtung Wedding. Durch seinen Kopf jagten wirre Gedanken, die sich allesamt um den Unfall drehten. Irgendetwas stimmte jedoch nicht, und Zach hatte ein ungutes Gefühl.
Am Landwehrkanal
Montag früh, 2. Januar 2006
Irgendwie steuerte das Auto von selbst das Ufer des Landwehrkanals an. Zach war die Gegend vertraut. Hier war er mit seiner Karolin oft spazieren gegangen.
Im Sommer hatte das Ufer etwas Verträumtes. Die Bäume spendeten Schatten, unzählige Insekten schwirrten in der Luft und im Wasser gluckste es ab und an, so als ob ein Wassermann vom Grunde des Kanals ihnen einen Gruß heraufschickte.
Doch jetzt war es hier trist und grau.
Der Mann mit dem grauen Mantel trottete am Ufer entlang und schien gar nicht zu bemerken, was um ihn herum passierte. Er hatte alles verloren, was ihm wichtig gewesen war. Das war ihm inzwischen klargeworden. Karolin war verschwunden.
Er hatte alle Krankenhäuser nach ihr abgefragt. An Schlimmeres wagte er gar nicht zu denken. Es hatte ja sowieso keinen Sinn mehr. Seinem kleinen Sohn hatte er gestern noch einmal versichert, dass er ihn immer liebhabe. Der Junge hatte ihn etwas verstört angeschaut. Ein Blick, der Zach innerlich vollkommen aus der Balance gebracht hatte.
Er war sich nicht mehr sicher, was er machen sollte. Aber wenn er an die Ereignisse dieser Dezembernacht zurückdachte, wurde ihm immer mehr bewusst, dass er nur eine wirkliche Lösung seines Problems noch hatte.
Jetzt lag der Kanal als trübgraues Gewässer vor ihm. Keine Wasserbewegung war festzustellen. Zach stand am Ufer. Alles in seinem Kopf begann sich zu drehen. Bilder aus seinem Leben rollten in erstaunlicher Detailtreue und Genauigkeit noch einmal vor ihm ab.
Er hatte keine Angst mehr. Alles war so gekommen, wie es kommen sollte. Noch einmal schaute er nach oben und sog tief die kalte Winterluft in sich ein. Mit einem Lächeln verabschiedete er sich von der Welt und sprang.
Melusine – Tod in der Oder
... ist ein träger Strom. Abseits des großen Verkehrs zieht sie dahin. Sie entspringt im Mährischen Hochland, windet sich quer durch die Sudeten, nimmt die Wasser vieler kleiner Gebirgsbäche auf, um sich dann mit der Warthe und der Neiße zu vereinen. Ab Ratzdorf ist die Oder die natürliche Grenze zwischen Deutschland und Polen.
Sie passiert zahlreiche Industriestädte: Forst, Guben, Eisenhüttenstadt, Frankfurt, Schwedt, und ergießt sich bei Stettin in einen großen Binnensee: das Haff. Am nördlichen Ufer hat das Haff einen Zugang zur Ostsee. Dort werden die Wassermassen der Oder ins Meer geleitet.
Steht man am Ufer dieses Flusses, dann fallen einem die vielen Untiefen und Sandbänke auf, die tückische Strudel bilden. Der an seiner Oberfläche so ruhig und schläfrig wirkende Strom verbirgt seine immense Kraft geschickt.
Erst wenn man es einmal versucht hat, in der Oder zu schwimmen, weiß man über die
Schrecken ...