Nixentod. Thomas L. Viernau
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Na ja, und Brunhilds Mann, der Eddy, da war nich ville zu. Gleich nach der Wende ging der stiften, ab in’n Westen, keiner hat wieda wat von ihm jehört. Nu saß sie da mit dem bekloppten Jungen. Na, und der Eddy, der war ja auch jar nicht Hansis Vater.
Der eijentliche Vater war schon in den späten Sechzigern abhanden jekommen. Man munkelte, dass er ab in den Westen sei. Sie hatte Arbeit früher in Frankfurt im Halbleiterwerk, später dann war sie in der Kantine von der Traktorenstation und dann Verkäuferin aufm Ökohof im Nachbardorf. War nich ville, wat se da vadiente, aber es reichte.
Ja, und um den Hansi hat se sich rührend gekümmert. Schule hat er nur bis achte Klasse geschafft, Beruf gar nicht, hat bei der Post Briefe ausgefahrn mit’m Fahrrad. Als dann das Hochwasser kam, ist sie im Keller gewesen, um noch irgendwelche Sachen rauszuholen.
Irgendwie sind dann die Sandsäcke, die sie am Kellereingang gestapelt hatte, umgefallen und haben die Kellertür blockiert. Sie hat wohl noch gerufen, aba hat nichts genützt, das Wasser strömte zu schnell. Hansi hat von allem nix mitbekommen, der saß mit’m Hund und den beiden Katzen oben uff’m Dach und wartete. Als das Hochwasser wieda zurückging, hat man sie gefunden im Keller. Jämmerlich ertrunken im eijenen Keller. Hansi hat se jefunden. War völlig aus’m Häuschen, der Junge. Wollte gar nich mehr raus aus’m Keller.
Wurde dann von Rettungssanitätern mit ner Spritze ruhiggestellt und mitgenommen. Drei Monate später hamsen dann entlassen. Seitdem is mit ihm nich ville mehr los. Bekommt ne Waisenrente und stört ansonsten keinen Menschen im Dorf. Alle kennen ihn und wissen, was mit ihm is. Bei mir isser öfters mal zu gange. Hilft auch ma, Bierfässer rollen, abwaschen und andere kleine Hilfsjobs. Bekommt dann immer wat Jebratenes und seinen Saft, den er so liebt. Is’n harmloser Tropf, ein armet Schwein eijentlich.
Schade, dass seine Mutta so früh schon starb, der Hof drüben wäre dann noch besser in Schwung.«
Linthdorf lauschte der Erzählung des Wirts aufmerksam, nickte ab und zu einmal. Krespel studierte die Speisekarte.
»Was können Sie denn heute empfehlen?« Der Wirt schaute etwas irritiert zu Krespel. »Mögen Sie Fisch?«
»Na klar!«
»Probieren Sie mal Wels, habe gerade welchen reinbekommen von der Fischereigenossenschaft. Sind echt Klasse diese Saison, schönes weißes Fleisch, zergeht wie Butter auf der Zunge ... Und dazu Dillsoße und Kartoffeln.«
Krespel schaute zu Linthdorf. Der nickte begeistert. »Vorneweg noch ein Süppchen?«
»Wir haben ne Fischsoljanka, also echt ein Gedicht.«
Zufrieden stürzten sich die beiden ins zweite Mittagsabenteuer. Linthdorf genoss dieses Ritual jedes Mal aufs Neue. Vor zwei Stunden hatten die beiden zwar schon eine Portion Hecht verputzt, aber der Aufenthalt an der Oder hatte wieder Hunger gemacht. Jedenfalls war noch Platz für eine zweite Fischmahlzeit.
Manchmal vergaß er dabei seinen tristen Alltag und fühlte sich voller Elan und Begeisterung, wie ein König auf Landpartie. Anderthalb Stunden tafelten die beiden im Dorfkrug.
Sie waren die einzigen Gäste geblieben. Krespel hatte seine Mappe herausgeholt und die Karte vom Oderbruch ausgebreitet. »Wollen wir bei der Rückfahrt noch mal auf Schloss Gusow haltmachen?«
Linthdorf kannte Gusow schon. Es gab dort eine erstaunliche Sammlung alter Dinge, die jemand mit großer Akribie aus den alten Hohenzollernschlössern zusammengetragen hatte und als neue Attraktion sogar eine Zinnfigurensammlung. Er wusste, dass Krespel diese kleinen Figürchen liebte. Zu Hause in einer Glasvitrine hatte er eine beträchtliche Anzahl dieser Männchen stehen, alle liebevoll beschriftet, zu welchem alten Preußenregiment sie gehörten und was sie darstellen sollten. Also willigte er schnell ein.
Berlin-Mitte
Montag, 23. Januar 2006
Linthdorf saß in der U-Bahn. Oft fuhr er nicht mit diesen Zügen, ein Gefühl von Platzangst überkam ihn jedes Mal, wenn die gelben Triebwagen im Dunkel der Unterwelt verschwanden. Tröstlich war nur die schwache Beleuchtung der Wagen, die ein angenehm gelbwarmes Licht verbreiteten.
Seit ein paar Jahren gab es jedoch Züge mit moderner Ausstattung. Deren Licht war zwar deutlich intensiver, aber dafür kaltweiß. Diese modernen U-Bahnzüge mit bunter Displaywerbung, kleinen Monitoren, über die irgendwelche Werbespots in endlosen Wiederholungen liefen, und den nervös bunten Bankbezügen aus irgendeinem Superkunststoff, der unkaputtbar zu sein schien, passten in das neue Berlin.
So wie die alte Stadt, die Linthdorf einst ans Herz gewachsen war, sich peu à peu aus dem Alltagsleben verabschiedete, verschwand auch Linthdorfs Verbundenheit mit ihr. Das einstmals etwas schmuddelige Image der Stadt mit ihrem morbiden Charme existierte nur noch in der Erinnerung. Die vielen Provisorien und das Flickwerk, welches den Ostteil Berlins charakterisierten, hatten einer neureichen Glitzerwelt Platz machen müssen. Ganze Straßenzüge waren über Nacht verschwunden und durch glasverspiegelte Würfel und Quader ersetzt worden. Moderne Architektur mit edlen Materialien katapultierte innerhalb eines Jahrzehnts Berlin zu einer Boomtown, die Leute aus aller Welt anzog, die hier das große Abenteuer und schnelles Geld erhofften.
Irgendwo blieben die alten Bewohner dabei auf der Strecke. Linthdorf sah im Stadtzentrum kaum noch Menschen über sechzig Jahre. Auch die sonst immer zahlreichen Großfamilien mit Kinderwagen und Hund an der Leine waren verschwunden.
Dafür waren die Straßen voll mit Rucksacktypen, die meist in Englisch oder Spanisch laut parlierend ganz selbstverständlich inmitten der neuen Pracht umherzogen. In die gesichtslosen Neubauten waren coole Yuppies in Designerklamotten eingezogen, die alles ganz locker im Griff zu haben schienen. Diese Menschen strotzten vor Selbstbewusstsein, rannten zielstrebig zwischen den Rucksackträgern herum, telefonierten dabei noch laut über ihre winzig kleinen Handys mit ominösen Geschäftspartnern und beachteten den Rest der Welt kaum.
Hier in der U-Bahn hatte Linthdorf jedoch noch ein bisschen das Gefühl, in seiner alten Stadt unterwegs zu sein. Jedenfalls dann, wenn es sich um einen alten Zug handelte. Tief sog er den speziellen Geruch dieser Triebwagen ein. Eine Mischung, die er immer als »Berliner Luft« bezeichnete. Darin vermischten sich die Ausdünstungen zigtausender Fahrgäste mit dem Geruch alten Leders, einer süßlichen Note alten Maschinenöls, dazu ein Hauch heißgelaufenen Metalls, der etwas modrige Duft der Spree, der es vor allem in den Sommermonaten schaffte, jede Ritze zu durchdringen, und den Abgasen der Autos.
Auch die Geräuschkulisse wirkte beruhigend in diesen Zügen. Die alten Züge ratterten noch, der Summton beim Türenschließen und die schnarrenden Rufe des Lautsprechers am Bahnsteig waren eine eigenartige Melodie, die für Linthdorf immer eng mit dem Lebensgefühl hier verbunden war.
Die neuen Züge waren geräumiger und irgendwie resistent gegen alle Gerüche. Es roch immer gleich darin. Ein wenig erinnerte ihn der Geruch dieser Züge an neu gekaufte Gummistiefel.
Der Zug war nur spärlich voll. Linthdorf hatte genügend Platz für seine langen Beine, musste sich nicht verrenken auf seiner Sitzbank. Draußen folgten die Stationen im Minutentakt: Frankfurter