Nixentod. Thomas L. Viernau
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Читать онлайн книгу Nixentod - Thomas L. Viernau страница 18
»In einem Fluss. Wehalb möchten Sie das wissen?«
»Ich kenne sie nur flüchtig. Ihre Mutter war schon bei mir. Die hatte gar keine Zähne mehr mit Anfang Sechzig. Scheint wohl erblich zu sein. Jedenfalls kam sie zu mir mit einem sehr desolaten Gebiss, ich glaube, die meisten Zähne waren rettungslos verloren. Sie war starke Raucherin. Nikotin ist Gift für die Zähne, und wenn die Substanz sowieso schon von Hause aus schlecht ist, nun ja, dann ist der Zustand mit Ende Dreißig ebenso wie er hier ist, ehmm, war.«
»Wann war die Frau das letzte Mal bei Ihnen?«
»Ist schon eine Zeitlang her. Warten Sie, ich schaue mal in meinen Kalender.«
Sie drehte sich zu ihrem Computermonitor, tippte ein paar Mal auf die Tasten. »Ja, hier haben wir sie. Karolin Brakel. Am 15. August letzten Jahres.
»Was haben Sie da bei ihr gemacht?«
»Ein Stück Zahn war abgebrochen. Ich musste das Implantat anpassen an den abgeschliffenen Zahnstumpf. Eine knifflige Sache, da vom ursprünglichen Zahn nur noch ein winziger Stumpf übrig war. Dieser Stumpf sollte das ganze Implantat halten. Es war absehbar, dass sie damit in Kürze wieder hier sitzen würde. So hat sich ja das Problem erledigt.«
Linthdorf erhob sich und dankte für die Informationen. Nun begann die eigentliche Arbeit erst. Er hatte einen Namen, eine Anschrift und auch einen Angehörigen. Mehr, als er zu hoffen gewagt hatte nach dem schleppenden Verlauf der Ermittlungen in den letzten Tagen.
Die Anschrift war gleich um die Ecke, jedenfalls ließ die Postleitzahl darauf schließen. Er entschloss sich zu laufen. Seine zerfledderte Berlinkarte, die ihm schon oft gute Dienste geleistet hatte, zeigte ihm den Weg.
Nur vier Straßen weiter war die Anschrift: Brüsseler Straße 18. Er querte die Müllerstraße mit ihren hektischen Händlern und Dönerbuden, tauchte ein in ein Viertel, dessen bessere Zeiten schon lange vorbei zu sein schienen.
Viele Geschäfte standen leer, die wenigen, die noch belegt waren, boten Secondhandklamotten und anderen Billigkram an. Die Hausnummer 18 machte da keine Ausnahme. Das Schaufenster war staubig, in der Auslage waren ein paar alte Bücher aufgestapelt. Mit Pinsel war auf ein Pappschild mit ungelenken Buchstaben »Antiquariat« geschrieben. Im Hintergrund hatte es sich ein Altachtundsechziger in einem Sessel gemütlich gemacht.
Linthdorf kannte diesen Typus Mensch. Wichtig war ihnen vor allem, dass sie unangepasst waren. Gegenüber dem Staat und seinen Organen waren sie misstrauisch und skeptisch. Meistens bekam man keine brauchbaren Antworten.
Linthdorf hatte es sich angewöhnt, incognito zu bleiben und so vielleicht doch etwas mehr zu erfahren. Er betrat das kleine Ladengeschäft, duckte sich, um nicht anzustoßen, begann in den aufgestapelten Büchern herumzustöbern. Der Ladeninhaber würdigte ihn noch keines Blickes.
Linthdorf zwängte sich zwischen den eng stehenden Regalen durch, blieb vor der Krimiabteilung stehen. Ab und zu kaufte er sich einen Paperpack-Krimi, den er meist innerhalb von ein paar Nächten verschlang.
Die Kommissare in diesen Krimis hatten immer viel Action, wilde Verfolgungsjagden, Affären mit zwielichtigen Frauen und am Ende stets den Mörder gefunden. Dennoch mochte er die Krimikommissare. Speziell die Schweden und die Briten hatten es ihm angetan.
Einen besonderen Ehrenplatz hatten die Krimis des Belgiers Simenon. Dessen Helden Maigret fühlte sich Linthdorf seelisch eng verbunden. Aber das Arbeitsumfeld der Krimihelden war meist geprägt von spektakulären Szenerien. Hier in Brandenburg war alles so durchschnittlich und banal. Kein Vergleich zu der zermürbenden und meistens auch recht monotonen Arbeit eines wirklichen Ermittlers.
Die meiste Zeit verbrachte Linthdorf bei der Durchsicht von Akten, beim Abgleich von endlosen Listen und bei der Computerrecherche. Eine Verfolgungsjagd hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt und seine Dienstwaffe gebrauchte er nur zum monatlichen Übungsschießen.
Zwei kleine Bücher hatte er inzwischen entdeckt: Edgar Wallace und Agatha Christie. Er kannte sie schon, aber sein guter Freund Voßwinkel war ebenfalls ein Krimiliebhaber und Sammler. Ein guter Grund, mal wieder mit einer Flasche Rotwein bei ihm vorbeizuschauen. In letzter Zeit hatten sie sich nur selten gesehen, obwohl Voßwinkel nur zehn Minuten entfernt von Linthdorf wohnte.
Der Antiquar war auf einmal freundlich gestimmt. Er sah, dass sein riesiger Kunde wirklich Interesse an den Büchern und sogar schon welche ausgewählt hatte. Beim Bezahlen fragte Linthdorf nach dem Geschäft. »Ziemlich schwierige Lage hier?«
Der Antiquar winkte ab: »Ach, ich hab’ schon schlechtere Läden gehabt.«
»Aber von der Laufkundschaft können Sie hier nicht existieren?«
»Nee, ick hab’ aber meene Stammkunden. Liebhaber, Studenten und Sammler. Die sind mir auch viel lieber. Jedes Mal hat man noch ein nettes Gespräch über die Weltenläufe und bekommt so etwas mit über seine Umwelt.«
»Ich bin auf der Suche nach Frau Karolin Brakel. Kennen Sie die?«
»Die wohnt doch hier. Klar, kenn’ ick! Wieso wollen Sie das wissen?«. Der Antiquar stutzte.
Linthdorf zückte seinen Dienstausweis. Erschrocken wich der Antiquar zurück. Mit der Polizei wollte er nichts zu tun haben.
»Hat se wat verbrochen? War eijentlich immer ne janz nette. Stets freundlich. Brachte ab und zu mal Bücher vorbei. Schien wohl nicht janz so vermögend zu sein. Hab se jetzt aber schon ne janze Zeitlang nicht mehr jesehn.«
»Sie ist tot. Wir untersuchen die Umstände ihres Todes, da gibt es noch Klärungsbedarf.«
Der Antiquar kratzte sich seinen grauen Bart. Er begann in einer Ecke zu wühlen, die Linthdorf bisher achtlos liegen gelassen hatte. Es war die Esoterik-Abteilung. Horoskope, Astrologie, Psi-Erfahrungen, Feng-Shui und andere übersinnliche Literatur lagen dort aufgestapelt. Die bunt aufgemachten Bücher hatten auf Linthdorf keinen Reiz ausgeübt, darin zu blättern. Der Antiquar zerrte aus dem Stapel ein paar dünne Schwarten.
»Die hab ick für sie zurückjelegt. Hatte se schon vor Weihnachten bei mir entdeckt und wollte se imma ma abholen kommen, aba kam nicht mehr. Da hab ick se wieder zurück in’n Stapel jepackt.«
Vor Linthdorf lagen zwei Paperpacks mit der für esoterische Literatur typischen Aufmachung. Irgendwelche verschwimmenden Farben in grellem Orange und dunkelblauen Tönen. Die Titel waren die für die Branche üblichen Verheißungen: »Endlich glücklich!« und »Glück ist kein Zufall«. Im Untertitel wurde dann schon mehr erklärt. Das orangefarbene Büchlein war ein Traumdeuterbuch und das dunkelblaue ein Buch über indianische Astrologie. Linthdorf kaufte die beiden Büchlein ebenfalls.
Der Antiquar freute sich über den unerwarteten Umsatz. Er gab dem riesigen Polizisten noch den Tipp, gleich nebenan bei der Mutter des Opfers zu klingeln. Sie wohnte fast Tür an Tür mit ihrer Tochter.
Berlin-Wedding
Immer noch Montag, 16. Januar 2006
Linthdorf klingelte an der Wohnungstür von Frau Bärbel Zabelthau. Keine Reaktion. Er lauschte, ob sich hinter der schweren Tür etwas regte. Hinter sich hörte er schlurfende Schritte.
»Wollen se zur Frau Zabelthau? Die is verreist nach Bayern zu ihre Kinders, kommt erst nächste Woche wieda.«
Linthdorf