Nixentod. Thomas L. Viernau

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Nixentod - Thomas L. Viernau

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machte.

      Unglückliche Menschen altern schneller als Zufriedene. Diese Erfahrung hatte Linthdorf im Kontakt mit vielen seiner Gesprächspartner gemacht. Er merkte sofort, dass Kraeft kurzatmig war, kleine Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn, obwohl es ungewöhnlich kühl im Hause war.

      Sie saßen sich jetzt gegenüber, Linthdorf und Moser auf einer alten Couch, die bei jeder Bewegung knarrte, Kraeft auf einem schweren Stuhl.

      »Bleiben Sie mal ruhig, wir wollen Ihnen ja nichts tun«, beschwichtigte Linthdorf den kleinen Mann auf dem Stuhl. »Wieso haben Sie uns beobachtet?«

      Kraeft rutschte unruhig hin und her. »Hab ich ja gar nich. Wollt bloß ma kucken, wer da so früh bei Herbert schon einkehrt. Is ja eijentlich noch zu.«

      Linthdorf nickte mit regloser Miene.

      »Sie sind doch oft an der Oder unterwegs. Ist Ihnen in den letzten Tagen etwas aufgefallen, bevor die Leiche geborgen wurde?«

      Nach kurzem Zögern schüttelte Kraeft den Kopf. »Nöö, was sollte mir denn auffallen?«

      »Leute, die nicht hierhergehören, fremde Autos, Ungewöhnliches eben.«

      »Na ja, seit die Grenze zu Polen offen ist, gibt’s hier schon mehr Verkehr. Aber die beachte ich nich so. Sind sowieso nur Gauner. Ich mag die alle nich. Aba im Winter is meist Ruhe. Silvester nachmittags waren ein paar Autos unten an die Oder. Die ham schon mit die Raketen rum geballert und gesoffen. Junge Leute, kannte ich alle nich, weiß nich, wo die her warn. Drei Autos warn das. Große Kisten, so ne Landrovers, teure Dinger.«

      »War die Oder da schon mit Eis bedeckt gewesen?«

      »So richtig kalt wurde es ja erst in der Neujahrsnacht, aber Eisschollen trieben da schon recht viele auf dem Wasser.«

      »Waren Sie am Silvesternachmittag an der Oder unterwegs?«

      »Ja, war ich. Mach jeden Tach nen Gang entlang des Deichs. Da hab‘ ich ja auch die Autos mit die jungschen Kerls gesehen. Hab aber nen großen Bogen um die gemacht. Will mit so ne Leute nix zu tun ham.«

      »Und haben Sie dann auch noch gefeiert, ich meine Silvester?«

      »Nee nee, bin kein so’n Partyheld. War abends um Acht noch ma bei Herbert drüben gewesen. Der hat ja große Party am Abend, war’n fast alles Leute aus’m Dorf da. Ich bin nur ma kurz reingeschaut, war mir viel zu laut und auch zu viele Leute da. Bin dann wieder rüber zu mir und hab noch fern gesehn bis Mitternacht. Das war’s.«

      »Und am Neujahrstag wurde es kalt?«

      »Ja, ging schon früh los mit Schnee. Auf der Oder haben die Eisschollen angefangen sich zusammen zu schieben. Die Oder hat ja ne janz jewaltige Strömung. Je mehr Schollen treiben, desto öfter krachen die zusammen und schieben sich übereinander. Is schon n’ tolles Schauspiel. War ich auch kucken.«

      »Aber aufgefallen ist Ihnen da noch nichts?«

      »Nöö, war alles wie imma.«

      »Haben Sie vielleicht jemanden am Deich gesehen?«

      »Nöö, niemanden ...«

      »Und ein Auto, was nicht hingehörte, vielleicht die drei Geländewagen vom Vortag?«

      »Nöö, auch nicht ...«

      Kraeft wurde plötzlich einsilbig. Linthdorf spürte, dass im Moment nicht mehr aus ihm herauszuholen war und hörte auf zu fragen. Er nickte kurz zu Moser. Aufbruch. »Vielen Dank, Herr Kraeft, wir müssen noch weiter.«

      Auf dem Weg durchs Dorf schwieg Linthdorf. Moser trabte wortlos neben ihm her. So richtig verstand er nicht, wieso sie diesen armen Hund befragt hatten. Auf Moser machte Kraeft einen unangenehmen Eindruck. Etwas Unaufrichtiges glaubte er in seinem Wesen entdeckt zu haben. Moser brach das Schweigen.

      »Kam Ihnen Kraeft nicht auch etwas komisch vor?«

      Linthdorf schaute prüfend auf Moser.

      »Ja, speziell als die Rede auf den Neujahrstag kam, da wurde er sehr still. Ich glaub, da hat er uns nicht alles erzählt.«

      Ein leichter Schneegriesel hatte eingesetzt und puderte den Hut Linthdorfs. Moser zog sich seine Kapuze fest und trabte durch den Schnee Richtung Auto.

      Weg hinter Güstebieser Loose

      Immer noch Sonnabend, 7. Januar 2006

      Die Befragung der beiden Feuerwehrleute hatte nichts Neues ergeben. Schnell waren die beiden Polizisten fertig gewesen. Linthdorf steuerte seinen Daimler Richtung Oderdeich. Die Straße war schmal, entgegenkommen durfte ihnen hier niemand, zumal der Schnee ein Ausweichen ziemlich unmöglich machen würde.

      Am Horizont tauchte schon der eckige Kirchturm des Nachbardorfes Güstebieser Loose auf. Rechts neben ihnen war der Deich als Schneewall zu erkennen. Linthdorf steuerte kurz vor Güstebieser Loose eine freie Stelle an, hier wendeten wahrscheinlich die Räumfahrzeuge. Das ungleiche Paar stapfte durch den Schnee zum Deich.

      Nur wenige Menschen schienen in der Winterzeit diesen Weg zu nehmen. Spärliche Fußspuren waren im Schnee zu entdecken. Linthdorf versuchte in dieselben Fußspuren zu treten, die bereits ein unbekannter Deichgänger vor ihm gemacht hatte. Für seine langen Beine eine Zumutung, dauernd musste er das Tempo reduzieren, der Unbekannte war ein deutlich kleinerer Mensch gewesen. Moser grinste, für ihn waren die vorgetretenen Spuren ideal.

      Auf der Deichkrone konnte man den Fluss gut überblicken, auch das andere Ufer war einsehbar. Die Oder erinnerte Linthdorf an seine Kindheit. In der Ferienzeit war er ins Ferienlager gefahren. Seine Eltern hatten diese Ferienreisen als ausgesprochen nützlich für die soziale Erziehung ihres Sprösslings angesehen und trotz anderweitiger Pläne ihn angemeldet.

      Mal ging es an die Küste, mal ins Gebirge, zweimal war er auch in Polen, ganz weit hinten, im äußersten Osten hinter Białystok, wo der Bug fließt. Urtümliche Landschaft empfing ihn dort. Die Oderlandschaft hier erinnerte ihn an diese Zeit. Er versuchte die aufkommenden Bilder zu unterdrücken. Eine unbeschwerte Zeit war es gewesen, mit Angeln gehen, Zeltlager, Schnipseljagd und Wisente Beobachten im Nationalpark.

      Die Welt war damals noch ein wohlgeordnetes Ganzes mit festen Parametern. Er hatte sich inzwischen weit entfernt von diesem unbekümmerten Jungen, der er damals war. Nichts war mehr übrig von der ungetrübten Entdeckerfreude und Abenteuerlust des Zwölfjährigen.

      Blickte er jetzt auf die Flusslandschaft, so war es ein nüchterner, analysierender Blick, ausgerichtet auf sein funktionales Tun als Ermittler der Kripo.

      Dennoch fühlte er ein unbestimmtes Jubilieren tief in seinem Innersten. Es stieg langsam auf, als ob der Blick in die Weite auch sein innerstes Wesen wieder mit dem Leben anfreunden wollte. Die langen Jahre als Ermittler beim LKA in Potsdam hatten tiefe Spuren in Linthdorfs Seele hinterlassen. Er wollte sich das eigentlich nie richtig eingestehen. Nach außen gab er stets den ausgewogenen Kollegen, der mit gleichbleibender Freundlichkeit, ja fast schon einer Art stoischer Gelassenheit die Schicksalsschläge des Alltags ertrug.

      Egal ob er Lebensläufe von Leuten durchleuchten musste, die er als Privatperson niemals kennen lernen würde oder zu Tatorten gerufen

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