Nixentod. Thomas L. Viernau
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Hier draußen in der scharfen Winterluft des Januartages begann diese stoische Maske langsam zu verschwinden. Moser schaute verwundert auf zu seinem riesigen Partner und beobachtete die Wandlung in den Gesichtszügen. Die meist leicht gefurchte Stirn glättete sich, die Augen, die sonst immer irgendwie fixiert auf einen undefinierbaren Punkt in der Ferne waren, wurden lebhaft und ein feines Lächeln zierte den sonst so höflich distanziert schauenden Kollegen.
Moser fragte ihn, ob er etwas entdeckt habe. Linthdorf schüttelte nur den Kopf.
Sie stapften nun schon zwanzig Minuten auf dem Oderdeich Richtung Kienitz. Der Schornstein des Küstriner Heizkraftwerks war in der Ferne zu erkennen. Die Finger fingen an, starr vor Kälte zu werden. Auch im Gesicht war die eisige Luft spürbar. Linthdorf blickte stets zum Flussufer hinunter. Dort hatten Eisschollen sich zu merkwürdigen Gebilden aufgeschichtet. Ab und zu zog er seine zigarettenschachtelgroße Kamera aus der Manteltasche und fotografierte den Fluss.
Nach weiteren zehn Minuten wurde er plötzlich unruhig. Inmitten der Eisschollen erblickte er etwas, was da eigentlich nicht hingehörte.
Eine ockerfarbene Plastiktüte schien es zu sein. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit trabte Linthdorf durch den Schnee ans Ufer und angelte den prall gefüllten Beutel aus dem Uferwasser zwischen den Eisschollen. Moser staunte nicht schlecht über seinen Chef.
Der Beutel war schwer, etwas Textiles war darin, aber auch ein fester Gegenstand. Wie lange er schon im Wasser lag, konnte man nur schwer schätzen. Wahrscheinlich hatten die Eisschollen den Beutel ans Ufer transportiert.
Mit ihrer Beute trabten die beiden in Richtung Auto. Moser trug den Beutel, der aus mehreren Rissen triefte, etwas missmutig mit leicht ausgestreckter Hand. Sein rechtes Hosenbein fühlte sich schon bedrohlich feucht an. Der Beutel landete im Kofferraum des Daimlers.
Potsdam
Dienstag, 10. Januar 2006
Vor Linthdorf lag der Bericht der Gerichtsmedizin auf dem Schreibtisch. Ein umfangreiches Pamphlet war das, gespickt mit lateinischen Fremdwörtern aus der Medizinersprache und Fotos aus dem Innenbereich des Körpers. Etwas irritiert von der Vielzahl an Informationen begann er zu blättern.
Beim Zahnstatus stutzte er. Für eine so junge Frau waren das recht wenige Zähne, die da noch zu sehen waren. Er erinnerte sich, dass die Kollegen aus Frankfurt ein Foto mitgeschickt hatten, worauf eine makellose Reihe weißer Zähne zu sehen waren. Er blätterte noch einmal den dünnen Bericht des Frankfurter Dezernats durch, ja, natürlich, hier war das Bild.
Als Kommentar war ein Hinweis darauf, dass diese Zähne eine zahntechnische Arbeit waren und nicht mehr zu den natürlichen Zähnen des Opfers gehörten. Er hatte auch noch den Hinweis des Gerichtsmediziners im Ohr, dass nur ein ausgewiesener Spezialist dieses Gebiss hatte anfertigen können.
Fast hätte er bei dieser Beschäftigung mit den Zähnen der Toten das Wichtigste überblättert: die eigentliche Todesursache. Dem Fachlatein entnahm er, dass sie an inneren Blutungen, zugefügt durch eine Vielzahl äußerer Schläge und Tritte, letztendlich verblutet war.
Ein qualvoller und langsamer Tod, wahrscheinlich waren die letzten Stunden dieser Frau eine einzige Höllenqual gewesen. Mehrere Rippenbrüche, Milzriss, Lungenflügelquetschung, Schädelbasisbruch. Das Werk eines Sadisten oder sogar mehrerer ...
Konkrete Spuren, die auf verschiedene Täter hinwiesen, waren nicht nachzuweisen. Die Frau konnte sich nicht mehr wehren, da beide Arme gebrochen waren und wie leblos an ihr herabhingen. Die Schmerzen allein der Splitterbrüche mussten unerträglich gewesen sein. Viele der Schnitte in der Haut allerdings wurden erst nach dem Tode zugefügt. Die Schnittkanten deuteten auf scharfkantiges Eis hin. Wahrscheinlich während der Zeit im Fluss.
Ebenfalls die Entstellungen im Gesicht. Typische Fraßbilder von wilden Vögeln. Krähen vielleicht, die mit ihren spitzen Schnäbeln die Augen ausgepickt hatten und auch die vorstehende Nase und Teile der Lippen auf dem Gewissen hatten. Aber auch Fische in der Oder konnten daran beteiligt gewesen sein. So genau ließ es sich anhand der vorgefundenen Wunden nicht mehr feststellen.
Die Leiche hatte viel Blut verloren, Flusswasser war dafür überall im Körper und in allen Gefäßen nachgewiesen worden. Dennoch war eine DNA-Bestimmung anhand von Blutresten möglich. Blutgruppe A, Rhesus positiv. Nun ja, das hatten knapp sechzig Prozent der Menschheit. Eine ungefähre Altersbestimmung war auch beigefügt. Sie musste zwischen 33 und 38 Jahre alt gewesen sein. Linthdorf klappte den Ordner zu.
Die Lektüre solcher Berichte löste unweigerlich bei ihm Mitleid mit der geschundenen Kreatur aus. Hier wurde immer gut sichtbar, was ein Gewaltverbrechen bedeutete. Die Verletzungen der Opfer wurden zwar immer recht emotionslos in ein Kauderwelsch aus lateinischen Fachbegriffen und mechanistischen Beschreibungen, wie sie zugefügt worden waren, verpackt. Aber wer nur ein bisschen Phantasie hatte, konnte sich anhand der Angaben ein gutes Bild vom Tathergang machen.
Es war für Linthdorf immer noch ein unvorstellbares Phänomen, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun konnten. Eine tief sitzende Wut packte ihn dann, die ihn wie einen Bluthund auf die Fährte brachte, um die Untat aufzuklären.
Die Leidenschaft für Gerechtigkeit ließ ihn auch den etwas zermürbenden Alltag im LKA mit all den bürokratischen Abläufen ertragen. Im Übrigen wüsste er auch nicht, was er sonst machen sollte.
Sein Interesse an anderen Berufen war nach allem, was er so mitbekommen hatte in seinen Dienstjahren, nicht sehr ausgeprägt.
Vielleicht könnte er sich ein Leben auf dem Lande vorstellen. Allerdings so ganz allein auf einem alten Bauernhof war auch nicht seine Welt.
Eine Frau gab es nun schon seit fünf Jahren nicht mehr in seinem Leben. Nach dem kläglichen Scheitern seiner zweiten Ehe hatte er die Lust auf eine neue Beziehung verloren. Aber das war schon wieder ein wunder Punkt auf seiner Seele, an den er im Moment lieber nicht denken mochte.
Linthdorf beauftragte Moser mit der Suche nach Zahntechnikern im Großraum Berlin und auch in Brandenburg, welche dieses Gebiss gefertigt haben könnten. Der Zahnstatus der Frau war ziemlich ungewöhnlich – wenn es eine Möglichkeit zur Identifizierung gab, dann über diese kunstvolle Arbeit eines Zahntechnikers. Vielleicht hatten sie ja Glück.
Der Plastikbeutel aus der Oder war inzwischen bei der KTU. Die Klamotten schienen der Frau aus dem Fluss gehört zu haben. Jedenfalls passten sie hinsichtlich der Konfektionsgröße. Sie waren schon ziemlich abgetragen, keinerlei Hinweis auf Hersteller oder Markenzeichen, eher Secondhandware.
Der feste Gegenstand war eine ziemlich verschlissene Handtasche, die allerdings leer war. Jemand musste sie sorgsam ausgeräumt haben. Vielleicht ergab ja die mikroskopische Untersuchung ein paar Hinweise.
So richtig ging es mit der ominösen Toten nicht voran. Noch immer war ihre Identität nicht geklärt. Suchmeldungen an alle Polizeidienststellen hatten bisher auch noch nichts erbracht. Ein Foto zur Veröffentlichung in der Presse schien beim Aussehen der Leiche auch nicht sehr hilfreich. Die Suche im polizeiinternen Datenspeicher hatte auch nichts ergeben. Die Frau war nirgends erfasst. Sie blieb eine Unbekannte.
Es gab in der Abteilung einen Stapel mit Aktenordnern, in denen solche Todesfälle erfasst wurden, die als »Unbekannt« in den elektronischen Speichern geführt waren. Solange kein Anhaltspunkt vorhanden war, der die Identität des Opfers eindeutig klären konnte, verliefen alle weiteren Ermittlungen im Sande.
Eine