Papakind. Isolde Kakoschky
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Читать онлайн книгу Papakind - Isolde Kakoschky страница 6
Zu Hause traf sie mit ihrem Bruder zusammen und tauschte mit ihm die Erfahrungen aus. Doch Alexander schien den Schulwechsel viel leichter zu verkraften als sie selber. Er zählte gleich ein paar Freunde auf, mit denen er schon mal gemeinsam im Kindergarten gewesen war und die er nun wieder getroffen hatte. Sie beneidete Alex um sein frohes, lockeres Wesen.
Am nächsten Tag wollte sich Franziska am Nachmittag endlich wieder mit Verena treffen. Sie wollte ihr doch noch so viel erzählen, worüber sie sich seit dem Besuch in Halle den Kopf zerbrach. Aber Verena hatte keine Zeit. Es verging noch ein Tag und noch einer. Einmal musste Verena der Mutter helfen, einmal mit ihrer Schwester üben, einmal ihren Bruder abholen, sie hatte nie Zeit.
Vielleicht will Verena nur nicht den weiten Weg zu mir machen, überlegte Franziska. So stieg sie in der nächsten Woche einfach auf ihr Fahrrad und fuhr zu ihrer Freundin. Doch noch ehe sie ankam, verschlug es ihr schon die Sprache. Da saß doch ihre Reni mit dem anderen Mädchen aus ihrer Klasse Arm in Arm auf der Treppe vor dem Haus. Sie schwatzen und kicherten und schienen Franzi gar nicht zu bemerken. Franziska spürte den Kloß in ihrem Hals und drehte das Fahrrad um. Nein, hier wollte sie nicht bleiben! Verena hatte eine neue Freundin und hatte sie angelogen. Die Enttäuschung saß tief und schmerzte.
Am nächsten Morgen wartete Franziska an der Hausecke vor der Schule bis Maria vorbei kam.
Maria war ein Nachbarsmädchen. Irgendwie wollte keiner mit ihr wirklich befreundet sein. Sie hatte ein paar Pfunde zu viel, konnte bei keinem Spiel richtig mithalten und immer musste man auf sie warten. Doch heute war das genau passend. Verena sah schon in die Richtung, aus der Franzi kommen musste, als sie Hand in Hand mit Maria auf den Schulhof kam. Franzi winkte Verena nur von Weitem zu und lief mit Maria in den Klassenraum. Es war eine bittere Genugtuung, doch ohne diese kleine Rache wäre Franziska mit dem Verrat der Freundin nicht klar gekommen.
Deshalb willigte sie auch am Nachmittag ein, als Maria sie fragte, ob sie mit zu Regina kommen wollte. Regina war eher eine Einzelgängerin. Ab und zu erkaufte sie sich ein wenig Zuwendung, wenn sie Schokolade mit in die Schule brachte, die ihre Oma aus dem Westen Deutschlands geschickt hatte. Diesmal hatte die Westoma ihr einen Kassettenrecorder geschenkt. Damit war sie die Einzige in der Klasse, die so was hatte und bei Franzi regte sich die Neugier. Außer Franzi und Maria war auch noch Heidi mit zu Regina gekommen. Die Mädchen waren allein in der Wohnung und tanzten ausgelassen durch das Zimmer. Lautstark sangen sie mit: »Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit…«
In dem Moment hörten sie Geräusche im Flur. Blitzschnell drückte Regina die Stopp-Taste, doch es war schon zu spät. Das »…hojahojaho…« blieb den Mädchen im Halse stecken, als der Mann in der Tür stand. Er füllte den Rahmen in voller Höhe aus, während Regina förmlich in sich zusammen sank.
»Darf ich erfahren, was das ist!«, dröhnte seine Stimme durch den Raum. »Ich habe dir verboten, andere Gören mit her zu bringen! Und dann noch das Gedudel! Gib die Kiste her!«
»Nein!«, bettelte Regina, »den habe ich von meiner Oma.«
»Ist mir egal! Wenn die Alte dir was schenkt, wollen deine Geschwister auch was davon haben!« Er riss dem Mädchen den Recorder aus der Hand und stellte ihn hinter sich ab.
Die drei Freundinnen hatten wie gebannt auf die Szene gestarrt. In Franzi kroch Angst hoch.
»So, mein Fräulein, dann wollen wir mal miteinander reden.« Er sagte das ganz ruhig, doch Franziska spürte, dass diese Ruhe nichts Gutes zu bedeuten hatte.
»Und ihr geht besser und ich will euch hier nicht wieder sehen!«, richtete er das Wort an die Mädchen. Und zu Regina gewandt: »In deinem Interesse!«
Mit diesen Worten öffnete er seinen Gürtel und zog ihn aus den Schlaufen der Hose. Der Mann schloss hinter Heidi, Maria und Franzi die Zimmertür. Im Flur hörten sie noch, wie Regina wimmerte.
»Bitte nicht, nicht mit dem Gürtel.«
Doch im nächsten Augenblick folgte schon ein grauenhaftes Klaschen und das laute Weinen von Regina.
Die Mädchen stürzten ins Treppenhaus und rannten, bis sie auf der Straße waren. Außer Atem setzten sie sich auf den Bordstein.
»Wie kann er nur sein Kind so verhauen?« fand Franzi langsam wieder Worte.
»Na, weil sie nicht sein Kind ist«, klärte Heidi die anderen auf. »Der Kerl ist ihr Stiefvater.«
»Aber ihre Mutti muss doch was sagen, sie ist doch ihr Kind?«, stellte sich Franzi die Frage.
»Vielleicht weiß sie es ja gar nicht«, mutmaßte Maria.
In dem Moment waren alle drei froh, liebevolle Eltern zu haben.
Am Abend lag Franziska im Bett und dachte über das Erlebte nach. Waren alle Stiefväter so? Im Märchen gab es meistens böse Stiefmütter. Die waren auch nicht nett. Sie kannte sonst keinen mit einem Stiefvater oder einer Stiefmutter. Im Nebenraum hörte sie das tiefe gleichmäßige Atmen ihres schlafenden kleinen Bruders. Sie lächelte bei dem Gedanken an den lebhaften Jungen, der schon oft etwas angestellt hatte. Hatte der ein Glück, nicht bei Reginas Stiefvater zu leben.
Und sie überlegte, wie man dem Mädchen helfen konnte. In ihrer alten Schule war Franziska im Schülerrat gewesen. Aber damals hatte sie ja noch nichts von Reginas Sorgen gewusst. Jetzt müsste sie wieder gewählt werden, dann könnte sie zum Lehrer gehen, ohne als Petze angesehen zu werden. Frau Breitling hätte gewusst, was zu tun war. Und Herr Kollberg würde es auch wissen.
Schon bald darauf sollten die Schüler bestimmen, wer von ihrer Klasse sie im Schülerrat vertreten sollte. Eine Liste mit Namen wurde aufgestellt, auch Franzi war dabei, und die Diskussion begann. Obwohl sie neu war, hatte Franzi schon bald einige Befürworter auf ihrer Seite. Herr Kollberg ließ die Kinder abstimmen.
»Also, wie ich sehe, sind die meisten für Franziska Zandler«, fasste er das Ergebnis zusammen. Da erhob sich Karli.
»Nee, ich würde die Neue nicht wählen. Wir wissen doch noch gar nicht, wie die beschaffen ist!« Selbst Herr Kollberg musste lachen.
»Na ja, Karl, so unrecht hast du nicht. Aber sieh mal, ein Teil von eurer Klasse kennt die Franziska schon viele Jahre und die haben alle für sie gestimmt. Sie hat das ja schon vorher an ihrer alten Schule gemacht und da sollten wir ihr hier doch auch eine Chance geben. Die meisten deiner Mitschüler sehen das genauso.«
Karl sah seinen Lehrer an und nickte. »Na gut, dann versuchen wir es mit ihr.« Diesmal lachte keiner.
Nun kam so viel Interessantes auf Franziska zu, das ihre Freizeit in Anspruch nahm. Sie ging noch immer zum Zeichenunterricht. Einmal in der Woche war Schwimmen. Zusätzlich zum Unterricht hatte sie noch einen extra Deutschkurs, wo sie kleine Geschichten und Gedichte schrieben und rezitieren übten. Damit wollten sie irgendwann bei Veranstaltungen auftreten. Und dann noch die Arbeit im Schülerrat, da trat die zerbrochene Freundschaft zu Verena immer mehr in den Hintergrund. Nur ab und zu wurde sie traurig bei dem Gedanken. Sie wusste nicht, dass es Verena genauso erging.
Inzwischen war Franziska 13 geworden. »Jetzt bist du ein richtiger Teenager, wie das heutzutage heißt«, hatte der Vati zu ihr gesagt und ihr den ersten BH geschenkt. Seit dem Sommer hatte sie deutlich an Oberweite zugelegt. Sie war zwar immer noch recht klein, aber langsam wurde aus dem Kind ein junges Mädchen.
Wenn