Die Evolution der Seele und Natur. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
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Читать онлайн книгу Die Evolution der Seele und Natur - Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter страница 9
Wenn wir zum Mental kommen, sehen wir – wie könnte es in einem eingekörperten Mental anders sein? – eine Reaktion, eine Wechselwirkung, eine Beziehung und Entsprechung, wenn man so will; doch mag die Summe der Entsprechungen noch so groß sein, sie kann nicht zeigen, wie eine physikalische Reaktion in eine bewusste Tätigkeit, eine Wahrnehmung, Gemütsbewegung oder Denkvorstellung umgewandelt wird oder darauf hinausläuft oder sie durch sich selbst bildet, noch kann sie beweisen, dass die Liebe ein chemisches Produkt ist, oder dass Platos Ideenlehre, Homers Ilias oder das kosmische Bewusstsein des Yogis nur eine Kombination physiologischer Reaktionen oder ein Komplex von Veränderungen der grauen Gehirnmasse oder ein Flammenwunder elektrischer Entladungen waren. Nicht nur, dass der gesunde Menschenverstand und die Fantasie vor diesen Theorien zurückschrecken – dieser Einwand kann ausgeklammert werden –, nicht nur, dass Wahrnehmung, Vernunft und Intuition zugunsten einer erzwungenen und zu weit gehenden Schlussfolgerung beiseitegeschoben werden, sondern es klafft hier ein Unterschied zwischen dem, was erklärt werden soll, und dem, wodurch es zu erklären gesucht wird, der nicht ausgefüllt werden kann, so sehr wir auch Nervenverbindungen und psychophysische Brücken gelten lassen mögen. Und wenn der Naturwissenschaftler auf eine Anzahl bezeichnender Fakten hinweist und hofft, eines Tages den Sieg über diese furchtbaren Schwierigkeiten erringen zu können, fängt auf der anderen Seite eine Unmenge psychischer Phänomene an zu entstehen, die seine Theorie höchstwahrscheinlich in unergründlichen Gewässern ertränkt. Die Unüberwindlichkeit dieser stets evidenten Einwände beginnt breitere Anerkennung zu finden, aber da die Vergangenheit immer noch erheblich das Zepter schwingt, ist es notwendig, nachdrücklich darauf hinzuweisen, so dass wir das uneingeschränkte Recht haben können, mit liberaleren Hypothesen fortzufahren, die das Problem unseres Seins und Wesens nicht voreilig auf eine simple Mechanik reduzieren.
Eine dieser Hypothesen ist die alte Ansicht, dass nicht nur das Auftreffen von Körper und Leben auf Mental und Seele, sondern auch das Auftreffen von Mental und Seele auf Körper und Leben berücksichtigt werden müsse. Hier finden wir ebenfalls die evolutionäre Idee, aber die physikalische und die Lebens-Evolution, auch das Wachstum des Mentals, werden nur für eine Begleiterscheinung zur Seelen-Evolution gehalten, für die die Zeit die Bahn und die Erde unter vielen anderen Welten der Schauplatz ist. In der alten indischen Version dieser Theorie sind Evolution, Vererbung und Wiedergeburt drei Parallelprozesse der universalen Entfaltung; die Evolution ist der Zweck des Vorgangs, die Wiedergeburt die Hauptmethode, die Vererbung eine der physischen Voraussetzungen. Dies ist eine Theorie, die zumindest den Rahmen für eine harmonische Erklärung all der vielfältigen Elemente des Problems liefert. Die naturwissenschaftliche Vorstellung geht vom physischen Wesen aus und macht das Psychische zur Folge- und Begleiterscheinung des Körpers; der andere Evolutionsgedanke geht von der Seele aus und sieht im physischen Wesen eine Instrumentierung für das Zu-sich-selbst-Erwachen eines in das Universum der Materie versunkenen Geistes.
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Kapitel 4
Wiedergeburt und Seelen-Evolution
Worte Sri Aurobindos
Die Vorstellungen, die sich die Menschen gegenwärtig vom Leben und seinen Umständen bilden, sind größtenteils pragmatische Konstruktionen. Es sind Formen einer Vernunft, die damit beschäftigt ist, sich von ihrer Umwelt nur insoweit sinnvoll Rechenschaft zu geben, als sie dadurch einen hinreichenden Schlüssel für das uns unmittelbar Angehende erhält: für unser Wachstum, unser Handeln und die Befriedigung der Persönlichkeit, für etwas Mögliches und Lebenswertes, das sich auf unsere Reise in der Zeit auswirkt, für etwas Lebensfähiges und Durchführbares. Ob dies irgendeiner wahren Wirklichkeit der Dinge entspricht oder in direkter Berührung mit ihr steht, scheint etwas ganz Zufälliges zu sein. Es genügt anscheinend, wenn wir unsere oberflächliche und willfährige Vernunft von dessen Wahrheit überzeugen können und feststellen, dass es in seinen Auswirkungen für Denken, Handeln und Lebenserfahrung sinnvoll und fruchtbar ist. Zwar gibt es noch eine andere unpragmatische Vernunft in uns, die sich abmüht, diese Forderung der intellektuellen und vitalen Persönlichkeit abzuschütteln; sie will die wirkliche Wahrheit der Dinge unverschleiert und unverstellt anschauen, um das eigentliche Bild der Wahrheit in den stillen Wassern eines leidenschaftslosen, klaren und reinen Mentals zu spiegeln. Aber die Tätigkeit dieser ruhigeren höheren Vernunft wird von zwei ungeheuren Schwierigkeiten behindert. Erstens scheint es nahezu unmöglich, die Vernunft ganz von unserer übrigen Natur zu befreien, von der normalen Verstandeskraft, von dem Willen zum Glauben, von jenem Instinkt der Intelligenz, der gewissermaßen durch ein subtiles Prinzip von Vorliebe und Auslese das Weiterleben der Denkweise unterstützt, die unserer persönlichen Neigung oder dem kultivierten Rahmen unserer Natur zusagt. Sodann: Welche Wahrheit wird von unserer Vernunft gespiegelt? Es ist im Grunde wohl ein indirektes Bild der Wahrheit, nicht eigentlich ihr Selbst und Körper von Angesicht zu Angesicht; es ist ein Bild, geformt aus Daten, Symbolen und Prozessen der Wirklichkeit – wenn es denn eine wahre Wirklichkeit gibt –, wie wir sie aus der sehr begrenzten Erfahrung des Selbsts und den dem menschlichen Mentals zugänglichen vorhandenen Dingen gewinnen können. So stehen selbst die höchste Macht und der weiteste Gang unserer Vernunft stets unter dem vertrackten Zugriff fortgesetzter Unzulänglichkeit und Ungewissheit, die alles Mühen der menschlichen Erkenntnis bedrängen, wenn es nicht eine Möglichkeit gibt, dass die Erkenntnis durch alle Schleier zur Erfahrung der Wirklichkeit selbst durchbrechen kann, oder wenn es nicht einen universalen Logos, ein göttliches Mental oder ein Supramental gibt, das sich selbst und alle Dinge kennt, und unser Bewusstsein dieses widerspiegeln oder damit in Berührung kommen kann.
Nirgends ist dieses Unvermögen unangenehmer als bei jenen Grundfragen zum Wesen der Welt und unseres eigenen Daseins, die doch die denkende Menschheit leidenschaftlich interessieren, denn dies ist letztlich von größter Bedeutung für uns, da ja alles, mit Ausnahme des grob unmittelbar Praktischen, von der Lösung dieser Probleme abhängt. Und bis diese große Frage entschieden ist, ist auch dies nur ein Vorwärtsstolpern auf einer Reise, deren Ziel oder Zweck, Bedeutung oder Notwendigkeit wir nicht kennen. Die Religionen treten für die Lösung dieser gewaltigen Probleme mit inspirierter oder offenbarter Gewissheit ein; aber ihre enormen Unterschiede zeigen, dass auch sie Ideen auswählen, dass es auch bei ihnen verschiedene Aspekte der Wahrheit gibt – der Skeptiker würde sagen, Schaustellungen von Imagination und Falschheit – und eine auf begrenzter spiritueller Erfahrung beruhende Form. Auch bei ihnen herrscht ein Element der Glaubensentscheidung und Glaubenswilligkeit und ein höherer pragmatischer Zweck und Nutzen, handle es sich nun darum, dass sich die Seele dem Leid oder der Unwirklichkeit des Daseins entzieht, oder um himmlische Seligkeit oder eine ethisch-religiöse Sanktionierung und Führung. Die philosophischen Systeme sind ganz offensichtlich nichts anderes als mögliche ausgewählte Reflexionsformen großer Ideen. Dies sind weit eher Möglichkeiten der Vernunft als gesicherte Gewissheiten oder, wenn auf spiritueller Erfahrung beruhend, doch Auswahlformen, eine Art groß angelegter Zugang zu einem Tor, das in das unwissbare Göttliche oder unausdrückbare Unendliche führt. Der moderne naturwissenschaftliche Geist trat für unsere Befreiung von allen nur intellektuellen Konstruktionen ein und wollte uns mit der Wahrheit und nur mit gesicherter Wahrheit konfrontieren; er nahm das Recht für sich in Anspruch, den Menschen von der wahnhaften Behinderung durch die Religion und von der nutzlosen Verschwommenheit der Metaphysik befreien zu können. Doch nun wandten sich Religion und Philosophie gegen