Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider
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Von Anfang an war die Republik, die Philipp Scheidemann am 9. November 1918 ausgerufen hatte und deren Reichspräsident vom 11. Februar 1919 bis zu seinem Tod im Jahr 1925 Friedrich Ebert wurde, schweren Krisen ausgesetzt. Von Osten drängten Bolschewisten und Kommunisten dazu, die Macht zu ergreifen. Auf der anderen Seite wurden die Freikorps, die sich aus heimgekehrten Soldaten des Weltkriegs rekrutierten, eine Macht, die dem Staatswesen immer gefährlicher wurde. Kommunistische Aufstände in Sachsen, Thüringen, im Rheinland und im Ruhrgebiet, auch in München, wurden niedergeschlagen.
Dann brach die Inflation über Deutschland herein. In den letzten Novemberwochen von 1923 lag der Wert von einer Billion Papiermark bei dem einer Goldmark. Zugleich war Deutschland infolge des Versailler Vertrages durch einschneidende Gebiets-, Industrie- und Materialverluste geschwächt. Das totale Chaos drohte im wirtschaftlichen Bereich. Sparer verloren, was ihre Familien über Generationen erworben hatten. Großgrundbesitzer und Spekulanten konnten enorme Gewinne einheimsen. Wer nicht durchblickte, stempelte die »Weimarer Republik« zur Schuldigen. Am 13. März 1920 versuchte der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp mit ehemaligen Frontoffizieren im sogenannten Kapp-Putsch, den Sozialdemokraten die Regierungsgewalt zu entreißen. Sie aber zwangen Kapp durch einen Generalstreik zur Aufgabe. Er floh nach Schweden. Adolf Hitler beabsichtigte mit den Nationalsozialisten und General Ludendorff am 9. November 1923 in München durch den sogenannten »Marsch auf die Feldherrnhalle« den Beginn einer »Nationalen Erhebung«. Sie erstickte in Polizeikugeln. Hitler erhielt fünf Jahre Festungshaft, von denen er in Landsberg nur fünf Monate absitzen musste. Er schrieb dort sein politisches Programm »Mein Kampf«.
Während Ebert Reichspräsident blieb, wechselte die Regierung zwischen 1919 und Januar 1926 zwölf Mal. Das ständige »Wahlkarussell« vermittelte den Eindruck politischer Unsicherheit. Sozialdemokraten, Zentrum, Deutsche Volkspartei und wieder das Zentrum stellten nacheinander den Kanzler. Politische Morde erschütterten das deutsche Volk: Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht (1871–1919) und Rosa Luxemburg (1871–1919), die beiden Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), ermordet. Es folgte ein Generalstreik im Ruhrgebiet. Am 26. August 1921 wurde Vizekanzler Matthias Erzberger im Schwarzwald umgebracht. Am 24. Juni 1922 wurde Außenminister Walter von Rathenau von nationalistischen Attentätern ermordet. Auch hierauf folgte ein Generalstreik. Besonders die Politiker, welche die Verständigung mit den Siegermächten Frankreich und England suchten und so an einem bleibenden Frieden arbeiteten, wurden als »Erfüllungspolitiker« beschimpft und ihr Leben war ständig bedroht.
Am 11. Januar 1923 besetzten die Franzosen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief den »Passiven Widerstand« aus, die Gewerkschaften den Generalstreik. Als sich in Essen Arbeiter den französischen Beschlagnahmen widersetzten, erschossen französische Truppen vierzehn von ihnen. Am 11. August 1923 stellte die deutsche Regierung die Reparationsleistungen an Frankreich ein. Darauf wurde das Ruhrgebiet in eine Art Belagerungszustand versetzt.
Erst als am 13. August 1923 Dr. Gustav Stresemann Reichskanzler und Außenminister44 wurde, begannen für Deutschland bessere Jahre. Durch eine kluge Verständigungspolitik mit Frankreich – eine Zusammenarbeit mit dem französischen Außenminister Briand – gelang es ihm, Deutschland in den Kreis der anderen Völker zurückzuführen. Auf der Konferenz von Locarno im Jahr 1925 erreichte er es, dass vereinbart wurde, Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in den Völkerbund aufzunehmen. Auch die Räumung des Ruhrgebietes durch die Franzosen und die Freigabe der ersten Besatzungszonen im Rheinland wurden zugesagt. Von 1925 bis 1929 erlebte Deutschland darum auch wieder einen spürbaren wirtschaftlichen Aufstieg.
Freilich bewirkte der ständige Regierungswechsel – man wusste im Volk kaum mehr, wer gerade Kanzler war –, dass in weiten Teilen der Gesellschaft die »Weimarer Republik« als Beweis dafür gesehen wurde, dass die Demokratie in Deutschland keine gelingende Regierungsform sein könne. Auch in den evangelischen Pfarrhäusern fanden nur wenige zu diesem Versuch, eine demokratische Kultur zu schaffen, ein positives Verhältnis. Die meisten Theologen hingen an Hindenburg, der zum protestantischen Idol wurde, und hatten ein distanziertes Verhältnis zur Weimarer Demokratie. Nur dass Hindenburg nach Eberts Tod im Jahr 1925 Reichspräsident wurde, hielt sie bei dieser ungeliebten und ständig gefährdeten Republik.
Bei P. S. fällt auf, dass er trotz seiner bürgerlich-konservativen Einstellung sehr bald darauf aus war, die Arbeiter dadurch kennenzulernen, dass er ihr Leben teilte. Von einer Klassengesellschaft hielt er nichts.45 P. S. suchte die Gemeinschaft mit denen, die um ihre Existenz hart zu ringen hatten. Dahinter stand nicht nur das Bewusstsein, zu einer unlösbaren deutschen Volksgemeinschaft zu gehören, sondern noch mehr das Wissen darum, dass Jesus Christus Menschen verschiedener »Stände« und Erfahrungswelten zusammenruft und zusammenhält.
»Was meine nächste Zukunft anbetrifft, so will ich zunächst in ein Bergwerk bei Dortmund, um an Ort und Stelle bei ihrer Arbeit, die mir mein Körper auch ermöglicht, die Arbeiter kennenzulernen in ihren Vorzügen und Mängeln, um womöglich zu erkennen, in welchen Winkel ihres Herzens sich die Religion verkrochen hat und um sie hoffentlich immer mehr lieben zu lernen.« (Brief vom 10. April 1922 an die künftigen Schwiegereltern.)
Das Industriegebiet sieht Paul zum ersten Male: eine andere Welt! Ein grandioses Landschaftsbild; ihm scheint, auch den Menschen sei ein ganz bestimmter Stempel aufgedrückt. – Er wird mitten in die Auseinandersetzung Kapitalismus46-Sozialismus hineingezogen und ist zum Teil ungeheuer bedrückt davon. Sein Herz zieht ihn zur Arbeiterschaft, der Herkunft nach ist er konservativ. Paul hat in Aplerbeck einen Onkel, der kaufmännischer Direktor einer Hütte ist. Dieser führt ihn in seine gesellschaftlichen Kreise ein und verschafft ihm eine gut bezahlte Stelle.
Was hat P. S. veranlasst, den Onkel Robert Schneider zu brüskieren und die von ihm angebotene, ordentlich bezahlte Stelle als Hauer im letzten Augenblick auszuschlagen? In seinem Tagebuch beschreibt er zwei Essen mit dem Onkel und seinen Kollegen. »Ein einziger katholischer Diplomingenieur zeigt einiges Verständnis für religiöse Fragen. Die meisten sind völlig gleichgültig, beteiligen sich nicht am Thema. Nur Herr R. und der Doktor, der ein radikaler Rationalist ist. Dann kommt der folgende Abend, Herr und Frau und Frl. T. Die Gesellschaft mit Alkohol traktiert. Ein gekaufter Gesangverein singt Lieder, die Damen rauchen Zigaretten, und man erzählt sich sehr anzügliche Witze. Die Form wird gewahrt.« Diese beiden Abende in einer Gesellschaft, wegen der er nicht ins Ruhrgebiet gekommen war, haben ihn irritiert. »Ich kam her, um Arbeiter unter Arbeitern zu sein«, schreibt er am 8. Mai 1922 in sein Tagebuch. »Ich geriet durch Onkel Robert naturgemäß sofort in die Gesellschaft der Herren. Ich hörte Rote-feindliche Äußerungen47 und ich glaubte, die Unbefangenheit verloren zu haben. Ich sah den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeitern zu scharf und wurde kopfscheu …, wandte mich an Phönix in Hörde. Ich lief alle Instanzen durch, bis ich Arbeit zugesichert [bekommen] hatte.
Um einmal ganz unbefangen Arbeiter unter Arbeitern sein zu können, zog ich es vor, in einem großen Hüttenwerk in Hörde bei Dortmund, in der Hermannshütte, mir Arbeit zu suchen«, schreibt P. S. am 14. Mai 1922 an den »lieben Herrn Pfarrer«, der bald sein Schwiegervater werden wird. »Ich wohne in der Werksküche oder auch ›Ledigenheim‹, dicht bei der Arbeitsstelle und lerne dabei die verschiedensten Arbeitertypen kennen. Das äußere Leben ist hier ganz ähnlich wie in der Kaserne. … Alle Lebensbedürfnisse sind erschreckend teuer … Hauptsächlich bin ich hierher gegangen, um einmal mit Arbeitern zu leben, ihre Freuden und Leiden, ihr Gutes und Böses kennenzulernen, und ich sehe dies auch als eine Art Berufsvorbereitung an, da wir bald in der Rheinprovinz kaum noch rein ländliche Gemeinden haben werden. Sie schrieben mir einmal, dass Gott Sie bis nach Ungarn hinein Ihre eigenen Wege habe gehen lassen, und Sie sehen vielleicht auch meine Wege jetzt als solche eigenen Wege an. Ich weiß es selbst manchmal nicht so recht, ob es solche sind. Zu Hause wollte man mich mit Gewalt abhalten. Aber weil mir in glücklicher Stunde dieser ›Arbeiter‹plan gekommen war, glaubte ich dieser inneren Stimme, dass es die rechte sei.«
»Donnerstag,