Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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»Das stimmt. Du, sag mal … Kalmes und ich kommen uns in dieser Kleidung nun doch etwas merkwürdig vor. Das ist mehr so die Art von Mode, die Jesus einst getragen hat – nehme ich jedenfalls an. Wir haben leider nichts anderes mitgenommen. Könntest du uns mit alten, getragenen Sachen aushelfen?«
»Aber klar, ich treibe schon etwas Passendes in eurer Größe auf! Die Klamotten gibst du mir einfach zurück, wenn ihr geht. Bis dahin könnt ihr euch eigene Kleidung für die Heimreise leisten, sofern ihr euer Taschengeld aufspart.«
Auf dem Rückweg von der Orangenplantage trafen sie auf Kalmes, die am Busparkplatz vor dem MordechaiMuseum vor einer Landkarte stand. David verabschiedete sich mit dem Hinweis, dass er noch die Ziegen füttern müsse.
»Hast du die kunterbunten Fahrzeuge gesehen? Ich glaube, die fertigen sie aus Metall. Sie stinken, hinten kommt Rauch aus einem Rohr. Ich hätte bislang geglaubt, dass die Terraner die Magnettechnik bereits beherrschen. Wie es aussieht, habe ich mich wohl geirrt. Und schau mal hier … auf dieser Tafel kann man sehen, wo man sich befindet. Also … wir stehen da, und dort vorne läuft eine große Straße vorbei. Die führt zu zwei größeren Ortschaften, die direkt am Meer liegen. Sie heißen Aschkelon und Aschdod. Dorthin könnten wir weiterziehen, sobald wir hier genügend Kenntnisse über das heutige Terra erworben haben.«
»Aber die Fahrzeuge sind alle versperrt, man kann nicht einfach einsteigen und losfahren. Ich habe es gestern ausprobiert. Scheinbar besitzt hier jeder Mensch sein eigenes, und sie stehen der Allgemeinheit nicht zur Verfügung«, gab Solaras zu bedenken.
»Ich weiß. Doch ab und zu kommt ein größeres Fahrzeug hierher, eines mit vielen Sitzplätzen. Jeden Tag mehrmals, immer zu denselben Zeiten. Vielleicht könnten wir dort mitfahren. Wir sollten David danach fragen«, schlug Kalmes vor.
*
Ende November 2016 wussten Solaras und Kalmes über so manches Detail Bescheid. Sie hatten beschlossen, sich in einen sogenannten Omnibus zu setzen und sich von diesem über die Küstenstraße Nummer 4 über Aschkelon bis zur Großstadt Tel Aviv chauffieren zu lassen. Davids Schilderungen hatten sie entnommen, dass das bäuerliche Leben im Kibbuz Jad Mordechai nicht wirklich der eigentlichen Lebensweise des einundzwanzigsten Jahrhunderts entsprach. Wer sich jedoch nahtlos in die Bevölkerung Terras integrieren wollte, der musste überall zurechtkommen.
Gerädert und voller Staunen stiegen die beiden Außerirdischen an der Zentralen Busstation LevinskyStraße aus. Kalmes war vom Anfahren und Bremsen in der total überfüllten Stadt leicht übel geworden.
»Schau dir das an! Wieso tummeln sich hier so viele Leute auf engstem Raum? Und all diese … wie heißen die Dinger noch? Autos? Es kommt ja keiner mehr vorwärts, alle Straßen sind verstopft. Sieh dir nur den Fußboden an. Fast nichts Grünes zu sehen, alles ist mit diesem hässlichen dunkelgrauen Belag zugekleistert. Überall nur Zäune, Kabel und riesige Häuser … so kann doch niemand freiwillig leben wollen! Was ist nur aus dem Jordanland von damals geworden?«
»Das frage ich mich auch! Ich ersticke hier, lass uns von diesem hässlichen Ort fortgehen. Es stinkt penetrant nach Abgasen. Wir suchen uns irgendwo eine Verkaufsstelle für Essen und gehen gen Westen, denn dort ist das Meer. Ich möchte frei durchatmen können«, entgegnete Solaras.
Sie steuerten den kleinen LevinskyPark an, durchquerten ihn und wanderten an der Derech Jaffa entlang Richtung Mittelmeer. An der EilatStraße fanden sie einen kleinen Supermarkt, in dem sie sich Brot und Wasser kauften.
»Das bisschen Geld wird nicht mehr lange reichen, höchstens noch für morgen«, sagte Kalmes betrübt. »Ich frage mich auch, wo wir wohnen sollen. Es gibt keine Hütten und keine Zelte hier. Wie es aussieht, stapeln sich die Menschen in diesen hohen Gebäuden übereinander. Aber woher sollen wir wissen, wo wir für die Nacht bleiben können?«
»Wir fragen einfach jemanden. Aber jetzt gehen wir erst einmal zum Wasser und essen etwas, danach wird dieses Terra sicher wieder in einem freundlicheren Licht erscheinen. Wir müssen da lang, dort vorne hört die Bebauung auf.«
»Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Kalmes, als sie auf der Strandpromenade angelangt waren. »Nur noch ein ganz schmaler Streifen Sand – und den Rest haben sie auch schon zugebaut. Wieso liegen hier nahezu nackte Menschen im Sand? Sind die vielleicht krank?«
Solaras seufzte. »Ich weiß es doch auch nicht. Das werden wir bald alles herausfinden. Komm, wir setzen uns hier auf diese Vorrichtung. Nach der Vesper überlegen wir in Ruhe, wie es weitergehen soll. Hätte ich geahnt, was uns hier erwartet, hätte ich mich viel ausführlicher mit David unterhalten.«
Kalmes setzte sich auf die Bank, rieb sich eine Stelle unterhalb des linken Knies. »Seit ich auf Tiberia kurz vor unserer Flucht hingefallen bin, ist hier etwas nicht in Ordnung«, stöhnte sie.
»Die Wunde hat sich zwar längst geschlossen, aber wenn ich eine Weile stehe oder laufe, schwillt der Unterschenkel an. Ich werde mir doch nichts gebrochen haben?«
»Wir müssen sehen, dass wir einen Heilkundigen finden. Das erledigen wir gleich morgen«, versprach Solaras mitleidig und zog seine Gefährtin auf die Füße. Seine hellen Augen suchten die Gegend nach nett dreinblickenden Leuten ab, die man nach einer Bleibe für die Nacht fragen konnte. Doch jeder, der an ihnen vorbei kam, schien es furchtbar eilig zu haben.
Sie folgten der Strandlinie lustlos in Richtung Süden, bis sie eine kleine Hafenanlage erreichten. Keiner von beiden verspürte das Bedürfnis, sich in die engen Häuserschluchten der Innenstadt zu begeben.
»Schau mal, da vorne ist ein Gebetshaus oder eine Synagoge! Dort müssten eigentlich Menschen anzutreffen sein, die meiner Lehre von damals folgen, also hilfsbereite Individuen. Komm, lass uns dort hineingehen!« Mit Kalmes an der Hand strebte Solaras der mit roten Backsteinen verzierten Kirche zu, deren schlanker Glockenturm weithin sichtbar war.
Sie betraten erwartungsvoll die Klosterkirche des Erzengels Michael im Stadtteil AltJaffa. Nur vereinzelt saßen im Gebet versunkene Gläubige mit gesenkten Köpfen in den Holzbänken. Die Tiberianer taten es ihnen gleich, genossen die angenehme Kühle des mit beigem und zartrosa Marmor ausgestalteten Innenraums des Kirchenschiffs. Die gewölbte Decke war mit hellblauen, gelben und rosa Pastellfarben bemalt. Darunter schwebte ein indirekt von hinten beleuchtetes, riesiges Sonnensymbol, das wohl den Heiligen Geist darstellen sollte.
Kalmes bestaunte angetan zwei mannshohe Engelfiguren, die links und rechts des mit weißen Spitzendecken belegten Altars thronten. In der Mitte stand ein verhältnismäßig kleines Holzkruzifix mit goldfarbener Jesusfigur.
»Immerhin, dein Andenken wird noch in Ehren gehalten«, flüsterte Kalmes hinter vorgehaltener Hand. »Ich verstehe nur nicht, wieso sie sich ausgerechnet den negativsten Teil deines damaligen Lebens als Symbol auserkoren haben.«
»Ich ebenso wenig. Aber, so nebenbei bemerkt: Ich habe das Versprechen gehalten, das ich einst meinen Jüngern gegeben hatte. Ich bin tatsächlich nach Terra zurückgekehrt, wie ich es prophezeite. Nur hatte ich damals selbst nicht damit gerechnet. Die Ankündigung sollte lediglich dazu dienen, die Jungs bei der Stange zu halten, damit sie meine Lehre verbreiten«, erläuterte er flüsternd.
Als sich eine ältere Dame zur Linken ächzend zum Gehen erhob, sprach Solaras sie kurz entschlossen an.
»Verzeihung,