Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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»Es gibt doch genügend Hotels in dieser Stadt«, wunderte sie sich. »Sehen Sie einfach im Internet nach.«
Solaras fühlte sich überfordert. Das Wort Internet sagte ihm
überhaupt nichts. »Hotels … kosten die Zimmer dort Geld?«
»Aber selbstverständlich, und nicht zu knapp«, lachte die Frau. »Ach so, Sie meinten wohl eher eine Unterkunft für Obdachlose!« Sie taxierte das Paar von oben bis unten. Tatsächlich, es war ärmlich gekleidet. Verschlissene Jeans, ausgewaschene TShirts, schmutziges Schuhwerk …
»Normalerweise lagern sie bei der ArlozorovStation. Dort bauen sich einige der länger Verweilenden kleine Hütten oder Zelte, was von der Stadtverwaltung langmütig geduldet wird. Aber ich muss Ihnen dringend abraten, sich dorthin zu begeben. Viele Drogensüchtige hängen da herum, und diese Typen schrecken vor gar nichts zurück. Andere schlafen in Parks oder am Strand. Ich wüsste nicht, dass die Stadt eigens Unterkünfte für Obdachlose anbietet. Eine Schande ist das!«
»Und was ist mit diesen Wohntürmen? Wie kommt man da hinein?«, wollte Kalmes wissen.
»Sie meinen, in Mietwohnungen?«, fragte die Dame skeptisch. Wie konnte es sein, dass jemand angeblich keine Ahnung davon hatte, wie man eine Wohnung mietete … nein, mit den beiden hier konnte etwas nicht stimmen. Vielleicht wollten sie nur beliebige Opfer in ein Gespräch verwickeln, um sie danach auszurauben oder ähnliches.
»Tut mir leid, ich habe keine Zeit mehr, muss gehen«, stieß sie hervor und entschwand eiligen Schrittes.
Völlig entgeistert blieben der Religionsstifter und seine Begleiterin in der Kirche zurück. »Habe ich etwas Falsches gefragt?«, murmelte Kalmes kopfschüttelnd.
»Wenn ich das nur wüsste! Und was machen wir nun? Abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, wo man diese ArlozorovStation findet, klang die Beschreibung nicht gerade vertrauenerweckend. Ich schlage also vor, dass wir heute am Strand nächtigen. Wir müssen unbedingt noch eine Reihe von Erkundigungen einholen, wie es aussieht. Aber die Sonne steht schon tief über dem Horizont, für heute scheint es bereits zu spät zu sein.«
Entmutigt trotteten die frischgebackenen Penner, vorbei an bröckelndem Beton, weißen Segelbooten, einzelnen getrimmten Palmen, grünen Leihfahrrädern und dicken Kabelsträngen, die an Hausfassaden entlang liefen, wieder in Richtung Kaimauer. Immerhin, die Strandpromenade konnte sich einigermaßen sehen lassen. Sie wählten ein windgeschütztes Plätzchen vor einer vier Meter hohen BruchsteinStützmauer, wo Kalmes erschöpft ihren Kopf in Solaras‘ Schoß legte. Tief hängende, grauweiße Wolken dräuten über dem Wasser. Wie sollten sie in dieser wahnsinnig gewordenen Welt überleben?
Terra/Mars, 13. August 2023 nach Christus, Sonntag
Thomas Maier hatte diesem Tag lange entgegen gefiebert. Seit ein unbemannter Marsrover im April 2020 in der CydoniaRegion ein unter dünnen Sandschichten verbor genes Bauwerk entdeckt hatte, das durch sein gigantisches Portal radioaktive Strahlung absonderte, hatte er die unscharfen Aufnahmen wieder und wieder betrachtet. Ganz in der Nähe lag schließlich jene Formation, die einst als Marsgesicht weltberühmt geworden war.
Sicherlich … es hatte sich beim Überfliegen im Rahmen der VikingMission herausgestellt, dass es sich höchstwahrscheinlich nur um einen auf merkwürdige Weise verwitterten Felsblock handelte, nicht etwa um ein steinernes Vermächtnis an die Nachwelt. Aber jetzt, nachdem man auf dem Mars die Spuren einer vergangenen Zivilisation entdeckt hatte, konnte man sich da wirklich noch so sicher sein?
Heute war es endlich so weit. LaSalle, Molina und zwei weitere Astronauten waren mit dem Marsfly, also Marsmücke genannten Gerät zu besagter Region geflogen. Das Ding erinnerte mit seinen ausfahrbaren Teleskopbeinen und dem länglichen Korpus tatsächlich ein wenig an ein Insekt, zumal die Oberfläche aus einer dunklen, matt glänzenden Titanlegierung bestand. Sie ähnelte einem Chitinpanzer. Schnell und wendig wie das Marsfly war, konnte man damit erheblich größere Entfernungen zurücklegen als mit dem Rover. Das Fluggerät fasste vier Personen und konnte zusätzlich einen Rover samt Zubehör transportieren.
Nun steuerte Pierre LaSalle mit seinen Kollegen an Tag vierzehn der AuroraMission die Marsgesicht getaufte Formation an. Sie näherten sich der fraglichen Erhebung behutsam von der dem Strahlungsleck abgewandten Seite. Maier wurde auf seinem Drehstuhl schon ganz hibbelig, und wie ihm ging es so einigen ESAAstronomen im Kontrollzentrum.
Sheila Taylor steuerte auf ihren Lebensgefährten zu, trug eine Papiertüte mit Fruchtplundertaschen vor sich her. »Deine verdiente Nervennahrung«, grinste sie.
»Hast nichts Wichtiges verpasst, sie steigen bislang noch nicht einmal aus«, sagte Maier elektrisiert. Er nahm kaum die rot geränderten Augen vom Bildschirm, griff aber trotzdem sofort nach der Tüte. Er wollte ja nicht riskieren, wieder wegen Unterzuckerung bewusstlos auf Campbells Ledercouch zu landen. Zweieinhalb Gebäckstücke mussten in Rekordzeit daran glauben, dann leckte er sich schmatzend die klebrigen Finger ab. Niemals hätte er freiwillig seinen Arbeitsplatz verlassen, um sich drüben im Toilettentrakt die Hände zu waschen. Sheila wusste das; sie reichte ihm fürsorglich eine Serviette, die sie extra in der Kantine mitgenommen hatte.
In einigen Millionen Kilometern Entfernung fuhr der Rover aufreizend langsam an den steilen Felswänden der Formation entlang. Die Astronauten suchten nach Anomalien, nach willkürlichen Strukturen, die Rückschlüsse auf ein verwittertes AlienBauwerk zuließen – falls es die überhaupt gab.
Maiers flinke Finger klapperten hektisch über die Tastatur seines Computers. Er zoomte in das Bild hinein, um ebenfalls einen Blick auf den Felsen zu erhaschen. Vergeblich – es wurde viel zu grobkörnig. Seufzend stellte er die vorige Einstellung wieder her.
Etwa eine Stunde später hatte die Marscrew die erste Seite der Erhebung abgesucht, jedoch nichts Auffälliges gefunden.
»Erbitten Anweisung, ob wir dieses Ding weiterhin umrunden sollen. Wenn ihr mich fragt, ist das tatsächlich nur ein verkrusteter Sandhügel, den Wind und Strahlung geschaffen haben. LaSalle, Ende«, schnarrte die Stimme des Missionsleiters aus der Soundanlage.
»Er soll weitersuchen«, kommandierte aus dem Hintergrund Jan-Hendrik Wendler. Alles andere hätte Maier allerdings auch kaum akzeptiert, was er sehr genau wusste. Maier nickte freudig, erteilte die Anweisung an LaSalle. Sheila, die momentan selbst gar keinen Dienst hatte, entfernte sich kopfschüttelnd. Ihr war die mutmaßlich sinnlose Aktion zu öde.
Eine Viertelstunde später setzte der Rover seine Fahrt fort. Maier glaubte an einen Ausfall des Vehikels, als es gleich darauf wieder stoppte. Nun stieg LaSalle aus. In seiner behandschuhten Rechten hielt er einen Pinsel, wie ihn die Archäologen auf der Erde zu benutzen pflegen. Er trat auf Armlänge an ein dunkler wirkendes Areal der Felswand heran und begann, eine Stelle mit dem Werkzeug zu bearbeiten. Rauf, runter, rauf, runter, hin und her … Maier hasste es, wenn der Kerl, wie jetzt, keinen Kommentar dazu abgab!
»Ich habe eine schnurgerade Rille gefunden! Ich lege sie frei. Mal sehen, wie weit sie sich verfolgen lässt. LaSalle, Ende«, ließ er endlich verlauten.
»Das habe ich gewusst!«, hauchte der bärtige Astronom tonlos