Dantes Inferno III. Akron Frey

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Dantes Inferno III - Akron Frey

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erfahren. Das ist die innere Botschaft dieses Leidens: Erst mit der Suche nach Schuld beginnt die Tragödie. Das ist der Moment, da der Fels oben an der Spitze wieder ins Tal hinunterrollt. Diese Erkenntnis, o Wanderer, mag dir am Ende deines Weges entgegenleuchten.“

      Er wandte sich wieder ab und ich begriff, dass jede Stufe dieses Turmes einer Art Metamorphose entsprechen musste, die eine bereits abgearbeitete Ebene transzendierte, was wiederum dem Loslassen einer Sichtweise gleichkam, in der wir uns selbst gefangen haben. Beharrlich halten wir am Sicherheit versprechenden Rahmen einer gesellschaftlichen Ordnung fest, deren Werte wir erst dann in Frage zu stellen bereit sind, wenn sie unser Bild von Freiheit bedroht. Die Konsequenz liegt darin, beim Wegfall dieser Zwänge die Verantwortung für die eigenen Begrenzungen künftig selbst zu übernehmen. Dies wiederum ist aber einzig jenen vorbehalten, die bereits verinnerlicht haben, dass der Mechanismus der menschlichen Psyche immer nur jene Realität erschaffen kann, deren Wahrheitsgehalt der eigenen begrenzenden Perspektive entspricht. Wirkliche Sicherheit kann niemals in den ewigen Verwandlungen der sichtbaren Welt gefunden werden, sondern lediglich im Ablauf ihrer zyklischen Gesetzmäßigkeiten, in deren zeitlichen Veränderungen gerade die Unveränderlichkeit des Ewigen pulsierte.

      Schritt um Schritt wich der karge Boden unter meinen bereits aufgeplatzten Füßen dahin. Obwohl ich begriff, dass der Pfad dieses Bauwerks vom Knochenstaub längst verblichener Suchender gepflastert war, die ihn schon zu Abertausenden vor mir gegangen waren, rief gerade diese Erkenntnis eine solche Leichtigkeit in mir hervor, dass ich mir einen Ruck gab, um auch den letzten Rest meines Weges fortzusetzen. Zu meinem großen Erstaunen schien sich das Gewicht meiner Last, das sich bisher jedes Mal verdoppelt hatte, halbiert zu haben. Da der Turm nach oben hin zusehends schmäler wurde, verringerte sich dementsprechend die Länge, leider aber auch die Breite des Weges zu meinen Füßen. Dieser schien genau den benötigten Umständen zu entsprechen, denn für mich und die wenigen Sünder, denen ich hier noch begegnete, war immer noch genügend Platz vorhanden. Gleichzeitig aber wurde die Luft etwas dünner, was dafür aber mein inneres Sehen wieder erweiterte.

      Doch so zuversichtlich meine erneute Etappe auch begonnen hatte, so sehr überfiel mich bald auch die Angst vor dieser erweiterten Perspektive, die mich wegzuschwemmen drohte. Die Zertrümmerung meines bisherigen Weltbildes wurde durch das Eintreten in eine neue Daseinsdimension der allumfassenden Matrix abgelöst, die mich zunächst in ein völliges Chaos stürzen ließ. In Sekundenbruchteilen spulte sich vor mir die gesamte Schöpfung ab, in der sich das immerwährende kosmische Schauspiel von Geburt und Tod vollzog. Ich sah unzählige Körper von zappelnden Säuglingen, die sich blutend aus ihrem mütterlichen Uterus herauswanden, um darauf in Gedankenschnelle wieder zu gebeugten Greisen zu werden, die sogleich wieder zu Staub zerfielen. Aus diesem Staub, einer schleimigen Ursuppe gleich, begann der gleiche Vorgang sich sofort aufs Neue zu wiederholen, bis sich diese Suppe schließlich in gleißendem Licht auflöste. Ich wohnte der Geburt von Planeten, Sonnen und ganzen Universen bei, die sich auf eine gewaltige Größe ausdehnten, um nach Äonen wieder in sich zusammenzufallen. Das ständige Ein- und Ausatmen meiner Lunge, der Wechsel von Tag und Nacht, die ständig sich wiederholenden Jahreszeiten – alles pflanzte sich fort, bis dieser rhythmische Pulsschlag in den Urtiefen meiner innersten Zellkerne vibrierte. Ich sah in die Urgründe aller physischen Krankheiten und Übel, während mein sich am Leben festklammerndes Ego seine Angst vor dem Ende in die Ewigkeit hinausschrie. Und im Moment dieser ungeheuren Offenbarung, als ich schon schwankte und ins Leere zu taumeln drohte, durchbrach ich die Wolkendecke und erblickte über mir das letzte Plateau des turmähnlichen Bauwerkes. Und auf der flachen Spitze gewahrte ich blinzelnd die Silhouette meines Seelenführers, die vom dunklen Licht einer leuchtenden Korona überstrahlt wurde. Es war wie ein leuchtender Wirbel in einem regenbogenfarbigen Licht, ausgehend von der schwarzen Sonne, die am Firmament im Zenit des Turmes pulsierte.

      Endlich! Es war geschafft! Mit letzter Kraft erklomm ich die restlichen Meter und ließ mir den Korb der Mühsal erschöpft von den Schultern gleiten. Akron stand wie ein Gott auf der zwei Welten miteinander verbindenden Bewusstseinsbrücke und lächelte mir entgegen.

      „Gratuliere! Ich wusste, dass du es schaffen würdest …“

      „Wieso? Bestand überhaupt die Gefahr eines Versagens?“ fragte ich noch völlig außer Atem, während ich stöhnend meine schmerzhaften Glieder streckte.

      „Nun – viele kehren auf dieser letzten Station wieder um, da die vermeintliche Größe der zu erfassenden Erkenntnis sie gänzlich niederdrückt. Es ist halt ein alchemistischer Prozess.“ Er deutete auf meinen Korb: „Schau mal hinein, was sich während deines Aufstiegs verändert hat.“

      Langsam folgte mein glasiger Blick seinem Zeigefinger, um den von mir unter Qualen nach oben transportierten Stein erneut in Augenschein zu nehmen, und siehe da, statt des staubigen, kinderkopfgroßen Felsbrockens lag eine Handvoll lupenreiner Kristalle und Diamanten darin. Irgendwie schien es mir, als wären es die Augen des Engels, Erinnerungen aus einer anderen Welt, die mich anstrahlten.

      „Wie ist das möglich?“ stotterte ich. Akron lächelte abermals und machte eine ausholende Armbewegung über das kleine Plateau, das vom unwirklichen Licht der schwarzen Sonne durchflutet wurde.

      „Wer bis hier oben hin gelangt ist, dessen untrügliche Sicht ist so rein und klar geworden wie die Reinheit einer kühlen Bergquelle. Es fehlt nur noch die Seele.“

      „Seele?“ Erst da fiel mir auf, dass die ganze Spitze des Turmes aus kristallenem Eis gebildet war, in dem ein scharlachroter Funke wie die Sehnsucht eines kleinen Herzens glühte.

      „Zerbrich dir nicht den Kopf “, sagte er, als könnte er meine Gedanken lesen. „Wer versucht, das herauszufinden, reduziert die Seele auf etwas Triviales. Sie ist ein Geheimnis – die Lösung ist der Weg.“ Dann rümpfte er die Nase und wies auf mein Büßergewand: „Du kannst diesen verschwitzten Lappen getrost wieder ausziehen.“

      Ich folgte seiner Anweisung und streifte mir den durchweichten Fetzen über den Kopf. Ich überlegte, wie viele Büßer diesen Pfad wohl schon vergeblich bestiegen haben mochten, der sich jedem Suchenden in einer anderen Länge präsentierte. Nicht jeder konnte das durchlittene Leid mit der Einsicht verbinden, dass man sich seine eigenen Ziele stets immer noch ein Stück weiter vor die Nase setzte, um in dieser Hölle am letzten Hindernis doch noch scheitern zu können. Denn sobald es galt, ein durchlittenes Muster loszulassen, um zu neuen Ufern ins Unbekannte vorzustoßen, stellt man sich lieber ein weiteres Stockwerk auf das schon bestehende Weltgerüst drauf, dessen Fundament, ganz gleich wie instabil und verrottet es auch sein mochte, zumindest eine gewisse Scheinsicherheit versprach. So wuchs der ganz persönliche Turm eines jeden Einzelnen solange weiter empor, bis sich sein Ausmaß irgendwann nicht mehr überblicken ließ und sein undurchdringliches Gemäuer nur noch durch ein Unglück oder einen schweren Schicksalsschlag zum Einsturz gebracht werden konnte. Unweigerlich kam mir die Tarot-Karte Turm in den Sinn, die diesen Vorgang auf eindrückliche Weise beschrieb.

      Mein Blick fiel auf die Silhouette meines Seelenführers. Er stand irgendwie entrückt da – unbeweglich, verklärt. Der Ring an seinem Finger schien ein Lichtsignal in den Kosmos auszustrahlen und seine Augen glühten wie zwei Laserstrahlen, die mit einer höheren Welt in Kontakt waren. Ich wollte ihn nicht stören, und so begann ich gedanklich noch einmal die verschiedenen Stationen meiner Turmbesteigung zu reflektieren. Obwohl ich mehr als froh darüber war, dieses hohe Bauwerk endlich bezwungen zu haben, schien in meiner Aufrechnung noch ein Stockwerk zu fehlen: „Verzeih meine Frage, Akron, aber sprach der Wächter nicht von einem siebenstufigen Weg, den es hier zu erklimmen gilt?“

      Wächter: Mit etwas Übung wirst du entdecken, dass du mehr bist als nur der Verstand, der das alles von außen beobachtet.

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