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In unserer Wohnstube wurde zu Winterszeiten am Samstagabend auch der große hölzerne Waschzuber aufgestellt. Wir Jungen kamen zuerst dran und wurden von Mutter sehr gründlich „gebadet“ und geschrubbt, dann – nachdem wir ins Bett bugsiert waren – folgten Mutter und Vater. Diese wöchentliche Hauptwaschprozedur wie auch die täglichen Mahlzeiten fanden im Sommer im steingefliesten Hausflur statt. Hier stand in der Ecke auch die „Kochmaschine“, ein offener metallener Herd mit eiserner Herdplatte und Ofenrohr bis zum Schornstein, auf dem zur warmen Jahreszeit nicht nur die „Schweinskartoffeln“, sondern auch das tägliche Essen gekocht wurde.
Vom Hausflur aus führte eine freie, steile Holztreppe nach oben auf den oberen Flur, von dem man rechts in die Schlafkammer ging. Neben Betten für die Eltern wie auch für uns standen hier zwei Kleiderschränke, eine Kommode und ein „Vertiko“. Hatten wir mal ein Schwein geschlachtet, dann hingen hier an einem Gestänge auch die Leber- und Blutwürste, deren verlockender Duft uns Jungen ein weiteres Mal zu Disziplin und Entsagung zwang. Links vom Flur lag die „Rumpelkammer“, die Vater später als Kinderzimmer ausbauen ließ. Weiter hinauf führte eine holzverkleidete Treppe auf den Heuboden, auf dem tatsächlich das Heu bis in alle Winkel hinein vollgestopft, während auf dem Stangenboden über der Scheune hauptsächlich das Korn gelagert war. Von da aus musste es hinuntergereicht werden, wenn es zur Winterszeit auf der Tenne mit dem Flegel gedroschen wurde. Hinter dem Haus hatte Vater einen massiven Schuppen gebaut, in dem neben einem festen Schweinestall getrocknetes Brennholz gestapelt und Kohle und Sonstiges gelagert war.
Die zwei gemästeten Schweine hat Vater vorzugsweise verkauft, um mit dem Ertrag weitere Ab- oder Zinszahlungen für das 1923 gekaufte Haus zu tätigen. 1944 im Dezember hat Vater die letzte Rate von 200 Mark zurückgezahlt; zwei Monate später, im Februar 45, ist unser Haus bei den Kämpfen zwischen den hereinbrechenden sowjetischen Truppen und den verteidigenden Einheiten der Wehrmacht zerstört worden! Wie man erzählte, soll ein T 34 rückwärts, das Scheunentor eindrückend, in das Haus hineingefahren sein, worauf der Scheunenbau über dem Panzer zusammengestürzt sei. (Als ich im Jahre 1967 mit meinem Vater gemeinsam wieder in unserem Dorf vor den überwachsenen Grundmauern unseres alten Hauses stand, hat er geweint. Er sah sich vor den Trümmern seines Lebenswerkes!)
Vor dem Haus, unter den Wohnstubenfenstern, war ein schmaler eingezäunter Blumengarten. Im Sommer wuchsen hier, auffällig und von unsrem Ehrgeiz pfleglich angetrieben, unsere Sonnenblumen hoch hinauf bis zu den Fenstern der Schlafkammer. Zwischen diesem Vorgarten und der Haustür stand unsere „Hausbank“, ein wichtiger und behaglicher Ruheplatz an warmen Sommerabenden. Unter dem Geäst unserer großen Kastanie hindurch hatten wir einen schönen Blick über Wiesen und Felder bis zu „Vogels Pusch“. Wenn wir von hier aus laut rufend das Echo ausprobierten „Wie spät ist es in Magdeburg“, schallte es drüben von Langes Giebel zurück: „Achte durch!“ Oder: „Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?“, dann: „E-sel!“
Auf der Rückseite unseres Hauses konnten wir Jungen über das zu unserem Kellerberg herabhängende Dach hinaufklettern bis zum First. Nur einen knappen Meter, über die breite Holzdachrinne hinweg, brauchten wir hochzusteigen, um auf das nicht sehr steile Hinterdach zu gelangen. Hinter dem Haus, zum Berg hinauf, zog sich ein etwa 30 m breiter und 60 m langer Obstgarten, hinter dem sich das kleine „Gärtel“ für den Gemüseanbau anschloss. Neben zwei Birnbäumen hatten wir diverse Apfelsorten, zwei unbedeutende Pflaumenbäume und einen hohen Süßkirschbaum, den wir Jungen in der Reifezeit mit der Kirschenklapper gegen diebische Stare zu bewachen hatten. Vater verstand auch mannsähnliche, abschreckende Vogelscheuchen herzurichten und oben in der Spitze des Baumes zu befestigen. Der größte Teil „unseres Berges“, des etwa 30 m breiten Ackerstreifens bis über die Höhe hinauf, war bestellt mit Roggen, Kartoffeln und Rüben. Aber auf dem trockenen Sandboden waren Wuchs und Ertrag spärlich. Natürlich mussten wir beim Ernten helfen.
Garten und Berg gehörten mit zu unseren Spielbereichen. Hier bauten wir uns Lagerplätze oder „Höhlen“, manchmal aus alten Decken und Brettern unbestimmbare „Buden“, und ganz oben auf dem Feldrain richteten wir uns Beobachtungsstellen ein, und im Herbst ließen wir von hier aus unsere selbstgebauten Drachen steigen. Im Sommer, beim Spiel im Garten, mussten wir uns öfter aggressiver Bienen erwehren, die vom Bienenstand unseres Nachbarn Gerhard auf einer ihrer Fluglinien durch unser Grundstück flogen. In unserer unberechenbaren Beweglichkeit gerieten wir unwillkürlich in ihre Flugbahn, wurden dadurch prall angeflogen und als vermeintliche Gegner sogleich gestochen. Auch an unserer „Plumpe“ vor dem Haus, an der wir erhitzten Jungen unseren Durst löschten, stießen wir mit den nach Wasser lechzenden Bienen zusammen. Mit der Zeit gewöhnten wir uns an Schmerzen und Schwellungen und suchten Wege nach friedlicher Abwehr der Plagegeister. Zu allem blieben wir versöhnlich, weil die imkernden Nachbarsleute uns ihr Mitgefühl erwiesen, gute Ratschläge erteilten und uns versicherten, Bienenstiche seien gesund! Vor allem aber wurde immer mal wieder ein Glas süßen Honigs zu uns herübergereicht, oder man lud uns Jungen ein, beim Honigschleudern „mitzuhelfen“, was nichts anderes bedeutete, als dass wir naschen durften.
Und da bin ich bei unseren Nachbarn angelangt, die verdienen, dass ich Löbliches sage: Der „Bäcker-Gerhard“ mit seiner Frau Klara und die Kinder Käthe und Hans – sie wohnten in der Nr. 80, im Haus rechts neben uns, das etwas größer und geräumiger war. Deshalb meinten wir, die Schulzes neben uns seien nicht so arm wie wir. Man muss jedoch einräumen, dass der „Bäcker-Gerhard“ (er war ein Sohn des Dorfbäckers) ein tüchtiger Maurer-Polier war und deshalb sein Haus auch besser in Schuss halten und auch selbst ausbauen konnte. Aber ich hatte trotzdem immer das Gefühl: Die sind „reicher“ als wir: Eine Zeit lang stand sogar ein Flügel (ein richtiges Piano) in der Wohnstube! Dann hatten sie eine Zitter im Haus, auf der auch ich manchmal nach einem eingelegten Notenblatt spielen durfte. Im Stall hatte man auch zwei Kühe stehen, also eine mehr als wir. Und die bei uns allen im Dorf üblichen Bratkartoffeln zum Abendbrot glänzten vor Fett viel mehr als bei meiner Mutter! Und die Schulzes hatten Verwandte in Berlin! Standen also mit Stadtleuten in familiärer Verbindung! Und so weiter. Irgendwie – so meinte ich als Kind – stünden sie über uns oder sagen wir höher als wir. In vielem erklärbar, weil die Nachbarskinder Hans wie Käthe 4 – 5 Jahre älter waren als wir und wir auch mit Respekt zu ihnen aufsahen. Zumal sie uns so manches voraushatten und wir von ihnen dies und jenes lernten. Der 14-jährige Hans zeigte uns z. B., wie man aus Sperrholztafeln kleine Doppeldecker-Flieger herstellen konnte. Mir brachte er dann auch das Schachspiel bei. Wir lernten von ihm, wie man Hockey und Fußball spielt – auf der Straße versteht sich. Hans ließ uns in seine Versandhauskataloge von „Stuckenbrock“, „Klepper“ und „Sport-Schuster aus München“ einsehen, so dass wir wahrnehmen konnten, welche wunderbaren Sachen (Zelte, Skier, Skistiefel, Faltbote, Fußballschuhe oder Fahrräder) in der großen Welt draußen zu haben sind, für Leute, die über das nötige Geld verfügten. Und als er ein Akkordeon besaß und darauf spielte, da wußte ich, was mir noch fehlte Auch dass Hans nach der Schulzeit in Löwenberg in der Bufe-Mühle im Büro als „Schreiber“ lernte und schließlich auch eine Freundin aus der Stadt uns zu Gesicht brachte, hat uns imponiert. Und wie er dann als „Flieger“ zur „Luftwaffe“ „ging“, das war natürlich für mich ganz besonders beispielgebend!
Käthe war als Mädchen für uns zwei Jungen, da wir keine Schwester hatten, wie eine ältere schwesterliche Freundin. Wir mochten sie, weil sie freundlich zu uns war, sich natürlich gab und sich gelegentlich um uns kümmerte.
So als unbedarfter Heranwachsender redet man ja manchmal von den „blöden Weibern“, regt sich auf über deren „Schöngetue“. Bei Käthe wären wir nie in derartige Reden verfallen. Später hat uns natürlich interessiert, mit „wem sie geht“. „Käthe ist wie ihre Mutter“, das hörte man sagen. Und es stimmt genau. So überaus gütig, so herzensgut, so voller stiller Nachsicht und natürlicher Freundlichkeit – so habe ich unsere liebe Nachbarin, Frau Schulz, in Erinnerung. Gegen uns Jungen fiel nie ein böses Wort oder eine schroffe Zurechtweisung. Manchmal steckte sie uns was zu. Ein andermal lud sie uns ein, von ihren so wohlschmeckenden Bratkartoffeln zu essen, was