Der Zthronmische Krieg. Matthias Falke
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Читать онлайн книгу Der Zthronmische Krieg - Matthias Falke страница 5
Er senkte einen tiefen Blick in Laertes.
»Alles Appeasement der Geschichte hat nicht einen Krieg verhindert – nur die, die kamen, noch schlimmer gemacht.«
»Dann bekommt Jenny ihren Frachter«, stellte Laertes fest.
»Sie bekommt ihn«, nickte Dr. Rogers. »Und vielleicht fallen uns ja noch ein paar Überraschungen ein.«
Die Gläser waren geleert. Die übrigen Gäste der SkyLounge waren längst gegangen. Nach Bordzeit der MARQUIS DE LAPLACE war Mitternacht vorüber. Die Ordonnanz hatte sich schon einige Male laut und vernehmlich geräuspert, geräuschvoll die Gläser weggeräumt und sich an ihrer Theke zu schaffen gemacht. Ihre via KomLog eingefädelte Verabredung wartete vermutlich schon, zwei oder drei Etagen tiefer im dreidimensionalen stählernen Labyrinth des riesigen Schiffes. Dennoch wagte sie natürlich nicht, die beiden Alten direkt zum Gehen zu drängen. Mit der Schwere von Männern, die zu müde sind, um aufzustehen und nach Hause zu gehen, hockten der pensionierte General und der selbst ernannte Chefideologe da und starrten vor sich hin.
»Wiszewsky liegt im Sterben«, sagte Laertes nach einer Weile.
In Rogers’ gerötetem Gesicht war keine Regung zu erkennen.
»Hab’s gehört«, brummte er.
»Die Komarowa ist bei ihm«, fügte Laertes noch an. Dann musste er schmunzeln, denn das war sie ja all die Jahrzehnte permanent gewesen. Von den Anfängen der interstellaren Exploration bis zur Schlacht um Sina war sie buchstäblich nicht von der Seite des Commodore gewichen. Jetzt begleitete sie ihn auf seinem letzten Gang.
Auch Rogers hatte unwillkürlich grinsen müssen, als er sich das ungleiche Paar vor Augen führte. Der stets zerstreut wirkende Wiszewsky, der die MARQUIS DE LAPLACE mehrere Dezennien lang wie ein Duodezfürst regiert hatte – und die püppchenhafte Weißrussin, die während der ganzen Zeit wie nur je eine Mätresse an ihm geklebt hatte.
»Die Goldene Generation stirbt aus«, sagte der Veteran der beiden größten Schlachten, die die raumfahrende Menschheit je geschlagen hatte.
»Wir sind die Letzten«, nickte Laertes.
Nach einer Weile erhoben sie sich schwankend und taumelten, einander unterfassend, zum Elevatorschacht. Das Kraftfeld baute sich selbsttätig auf, als sie die unsichtbare Sperre der KI durchschritten. Dann glitten sie einige Hundert Stockwerke senkrecht hinunter zu den Wohntrakten und Offiziersunterkünften der MARQUIS DE LAPLACE.
Pater Bel I
Pater Pu Rhea Bel hatte die Nacht vom 4. auf den 5. Shalem der Periode 10-294 in Gebetshaltung vor seinem Meditationskaktus verbracht. Zwar war er am Abend zur gewöhnlichen Stunde zu Bett gegangen, aber kurz nach Mitternacht hatten ihn ferne Erschütterungen und Detonationen geweckt. Er hatte sich den Morgenmantel übergeworfen und war auf das Vordach seines Pueblos gestürzt, dessen weiß gekalkte polyedrische Flächen in der klaren sternenhellen Nacht bläulich geleuchtet hatten. Im Frost der Stunde leicht zitternd, hatte er zum Himmel aufgesehen, der von mächtigen Explosionen durchzuckt wurde. Eine Art Wetterleuchten pulste und blitzte naturwidrig am wolkenlosen Firmament. Aus den Feuerbällen lösten sich rußig rote Meteoriten, die langsam in parabelförmigen Bahnen nach Westen zogen und dort, tief in der Großen Ngév und weit jenseits des Horizontes, zerschellten. Von dort kam auch das ferne Rumpeln und Grollen, das ihn aus dem Schlaf geweckt hatte. Es vereinte das Unheimliche eines Erdbebens oder Vulkanausbruchs mit dem regelmäßig mahlenden Takt eines großen Walzwerkes. Die Meteore oder Asteroiden schlugen mehrere Tagesmärsche weit hinter den Westbergen in die Ebene, daran konnte kein Zweifel sein. Doch was flackerte und brannte da am Himmel? Pater Bel musste widerstreitende Assoziationen zurückdrängen. War es ein Stern von Betlehem – oder ein flammendes Zeichen der Apokalypse? Beide Erinnerungen waren blasphemisch; er musste sie in sich zum Schweigen bringen. Denn das Zeichen von Betlehem war nur einmal erschienen, es hatte nur einmal erscheinen können; auf eine Wiederkehr zu hoffen, war Gotteslästerung. Und kein kosmisches oder historisches Ereignis konnte den Jüngsten Tag evozieren, wenn der Herr und Heiland die Himmel aufrollen und Gericht halten würde.
Nach einer Weile kamen die lautlosen Explosionen in der hohen Atmosphäre zum Erliegen. Und auch das ferne Donnern aus den lebensfernen Weiten der Ngév verstummte beinahe; es ebbte zu einem fast unhörbaren Grummeln ab, wie wenn ein Gewitter vorbeigezogen war und sich jenseits der Gebirge austobte. Die Brände, die über den Einschlagkratern lohten, schienen anzuhalten. Der westliche Horizont war von einem tiefroten, wabernden Schein überwölbt, einer Art schmutzigen Zodiakallichtes. Niemand wusste, was sich dort in dieser Stunde zutrug, wie viel Blut in diese Feuersbrunst vermischt war.
Der Pater hätte es sich nicht durchgehen lassen, sich nach diesem Schauspiel wieder zu Bett zu begeben. Er kehrte in seine Wohnung zurück und schloss die Tür aus wärmedämmendem Elastil, die die Verbindung zum terrassenförmigen Vordach bildete. Aber er verweigerte sich für den Rest dieser Nacht den Schlaf. Vermutlich hatte es Tote gegeben. Menschliche oder andere Seelen irrten im Raum zwischen den Welten umher. Er musste für sie beten.
Er ließ sich auf dem hölzernen Bänkchen vor seinem Meditationskaktus nieder und versenkte sich in Trance. Dabei liefen die Gedanken auf unterschiedlichen Ebenen weiter. Wie die Satelliten einer Welt, die diese auf den verschiedensten Bahnen umkreisen und einander niemals berühren, kreisten seine Überlegungen um das nächtliche Phänomen, das seinerseits die unterschiedlichsten Deutungen und Interpretationen erlaubte. Er glaubte ausschließen zu können, dass es ein natürliches Ereignis gewesen war. Ein Asteroid, der an den hohen Atmosphäreschichten zerschellt wäre, hätte niemals ein solches lang anhaltendes Feuerwerk geboten. Und Kometentrümmer oder Meteore, die auf die Wüste eingehagelt wären, hätten nicht zu solchen Bränden geführt. Was sollte brennen, in der Stein- und Geröllwüste der Großen Ngév? Es mussten enorme Treibstoff- oder Munitionsmengen im Spiel sein. Eines oder mehrere Schiffe mussten aus einem Orbit abgestürzt sein. Vermutlich war dem ein Gefecht vorausgegangen. Ihm war von einer politischen Krise oder einer sonstigen Bedrohungslage nichts bekannt. Aber die Situation auf dem geteilten Planeten war in den letzten Tagen und Wochen immer noch prekärer geworden. Auch ein Kampf im Raum über der Lufthülle konnte da nicht ausgeschlossen werden.
Er wusste nichts. Und er verbat sich alle Spekulation. Er ahnte nur eines: Im großen schwarzen Buch der Geschichte wurde wieder einmal ein neues Kapitel aufgeschlagen. Er fürchtete, es werde auf dieser Welt spielen, auf dem so überaus reichen und kargen, umkämpften und verlassenen, schönen und erbarmungslosen, gesegneten und verfluchten Zthronmia.
Pater Pu Rhea Bel betete zu Gott, dass der Konflikt glimpflich ablaufen und dass sein Hunger nach menschlichen und anderen Seelen nicht unersättlich sein würde. Er erteilte allen, die in der Nacht womöglich den Tod gefunden hatten, die Absolution. Dann verharrte er in durchlässiger Trance bis zum Morgen.
Nachdem er das Morgengebet gesprochen und die rituelle Verneigung vor seinem Kaktus absolviert hatte, widmete er sich im ersten Frühlicht seinen Übungen. Man sollte dem Körper nicht zu viel an Aufmerksamkeit widmen; aber ihn zu vernachlässigen, war dennoch Sünde. Schließlich war er das Gefäß des Geistes. Nachdem er sich gewaschen und angekleidet hatte, nahm der Pater sein knappes Frühstück aus getrocknetem Fladenbrot und dünnem Synthetkaffee zu sich. Eines seiner wenigen Zugeständnisse an die Zeit künstlicher Genussmittel. Er hatte sich eben die weiße Toga aus handgewebtem Tuch umgeworfen, um sich zu seiner Gemeinde zu begeben, als die Sirenen ertönten. Das war zwar in den letzten Wochen zu einer beinahe täglich wiederkehrenden Prüfung geworden, dennoch durfte es – auch in der inneren Haltung, die man dazu einnahm – niemals Routine werden.