Der Zthronmische Krieg. Matthias Falke

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Der Zthronmische Krieg - Matthias Falke

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den staubigen Horizont kam. Im Westen war ihm gerade noch ein dünner schwarzer Rauchfaden aufgefallen, dessen Wurzel tief in der Großen Ngév stehen musste und der sich im Morgenwind zusehends zerfaserte. Doch jetzt loderte im Osten ein neuer Morgen. Es bestand kein Zweifel, dass es ein blutiger sein würde. Denn aus dem Strahlenfächer der aufgehenden platinfarbenen Sonne brach ein Geschwader Scyther hervor, das in weit auseinandergezogener Formation im Tiefflug auf den Kibbuz zuhielt. Wie es ihrer gewöhnlichen Taktik entsprach, bildeten die Scyther ein asymmetrisches Delta, dessen einer Balken aus drei, der andere jedoch aus mindestens einem halben Dutzend Maschinen bestand. So pflegten sie in geringer Höhe auf ihr Zielgebiet zuzuhalten und es dann in rollenden Angriffen ins Visier zu nehmen.

      Der Pater konnte sehen, wie die Menschen überall den Schutz der Bunker und festen Unterstände aufsuchten. Er selbst blieb an seinem Platz, auf dem weit vorspringenden Terrassendach seines Pueblos. Die Angriffe der Zthronmic galten für gewöhnlich der Unterstadt, wo ihre Bomben im Gewirr der engen Gassen wie auch auf den weiten volkreichen Plätzen, Märkten und Foren mehr Schaden anrichten konnten als bei den vereinzelt stehenden Häusern der Oberstadt, die sich an den Hang des Hügels lehnte. Er fühlte sich einigermaßen sicher. Zugleich schämte er sich dieses Gefühls, das einen Beigeschmack von Überheblichkeit barg. Weidete er sich an der Illusion seiner Unversehrbarkeit – und am Anblick der Katastrophe wenige Steinwürfe unter seinen Füßen?

      Der Pater beschloss, es diesmal nicht bei der Rolle des Zuschauers zu belassen. Während unten die ersten Einschläge krachten, hangelte er sich an der Außenleiter seiner Pueblos nach unten und tauchte in die kühle Gasse ein, die zu dieser frühen Stunde noch im Schatten lag. Dann begann er, die verwinkelten Treppen und Wege hinunterzueilen, die zur bevölkerungsreichen Unterstadt führten. Detonationen ließen die Gebäude erbeben. Scheiben aus Elastalglas gingen zu Bruch. Explosionen, Sirenen, Schreie ertönten und vermischten sich zu einem panischen Durcheinander. Das Gellen der Verwundeten wurde von den ohnmächtigen Rufen der Mütter durchdrungen, die ihre Kinder sterben sahen. Dazwischen schollen die Kommandos der Rettungskräfte und die anklagenden Laute der unfreiwilligen Zeugen, die mit ansehen mussten, wie der Kibbuz ein weiteres Mal angegriffen wurde, ohne sich zur Wehr zu setzen.

      Je weiter er im kegelförmigen Bau der verschachtelten Siedlung nach unten kam, umso voller waren die Straßen von hin und her eilenden Menschen. Und immer noch krachten Einschläge. An der Ecke zum großen Markt kam ihm ein Mann der Schutztruppe entgegen, warf sich über ihn und zog ihn zu Boden. Während der Pater noch verwirrt um Atem rang, von der schweren Gestalt des Mannes fast erdrückt, bebte die Erde unter ihm und der Himmel verwandelte sich in flüssiges Blut. Eine Pilzwolke aus rotem Feuer blühte über ihnen auf, während der Boden wankte und der Explosionsdruck den Staub in seltsam ästhetischen Mustern um die Kanten der Gebäude tanzen ließ.

      Brennende Schwaden troffen auf sie herab. Die Luft war geschwängert vom widrigen Dunst explodierten Treibstoffs und verkohlten menschlichen Fleisches. War eines der Depots getroffen worden?

      Während sie sich mühsam erhoben und überall Leute dabei waren, die vom Himmel regnenden flüssigen Brände zu löschen, starrte der Pater den Mann an, der ihm das Leben gerettet hatte. Zwei Schritte weiter, aus dem Schutz des steinernen Gebäudes heraus, und der feurige Atem der Katastrophe würde ihn in Asche verwandelt haben.

      »Was war das?«, stammelte er und erschrak darüber, wie heiser seine Stimme klang.

      Der bullige Schutzmann, der nicht das traditionelle weiße Gewand der Amish trug, sondern eine Uniform aus Hitze abweisendem Elastil, lugte vorsichtig um die Ecke und auf den getroffenen Markt hinaus.

      »Eine Aerosolbombe«, hustete er, sich Staub und Ruß aus dem Anzug klopfend.

      Pater Bel schob ihn aus dem Weg und trat auf den Platz hinaus. Er erstarrte. Ein Bild des Grauens bot sich ihm, das die schrecklichen Szenen der vergangenen Wochen verblassen ließ. Der Sprengsatz von der Stärke einer thermischen Granate war in das Schulgebäude gefallen, das den südlichen Abschluss der großen Freifläche bildete. Mehrere Dutzend Kinder waren verbrannt. Auch auf dem Vorplatz wälzten sich zahllose Verletzte und Sterbende. Manchen hing die Haut in verkochten Fetzen vom entkleideten Leib. Andere verröchelten mit geplatzten Lungen. Wenige Schritte vor ihm starb ein zehnjähriges Mädchen. Der Explosionsdruck musste sie quer über den riesigen Platz geschleudert haben. Ihr Rücken war aufgerissen und verbrannt. Man sah die rohen Lungenflügel zwischen den zerschmetterten Schulterblättern arbeiten. Ihr Haar war abgesengt. Ihre Beine bildeten zerknickte Muster wie die Gliedmaßen einer zerbrochenen Puppe. Hier kam jede Hilfe zu spät. Dennoch dauerte es erschreckend lange, bis das letzte gequälte Leben aus dem winzigen, zerstörten Leib gewichen war.

      Die Scyther waren abgedreht. Während der Pater das sterbende Mädchen in seinen Armen barg, fragte er sich, was diese Zunahme der Gewalt bedeuten mochte. Der Angriff stellte eine neue Qualität dar. Auf den ersten Blick war klar, dass er mehr Opfer gekostet hatte als alle Terrormaßnahmen der letzten Wochen zusammen. Allein in der Schule … Er rang nach Luft, während er spürte, wie das kleine Herz in seinen Armen aufhörte zu schlagen. In dieser Stunde der Verzweiflung konnte er nur ahnen, dass der Angriff etwas mit den nächtlichen Vorgängen zu tun hatte. Stellten sie eine Antwort dar, eine Vergeltung? Worauf? Wofür?

      Der Pater schloss dem toten Mädchen die von der Qual geweiteten Augen. Eine Frau kam auf ihn zu. Auch ihr Haar war angesengt. Ihre weiße traditionelle Tracht, von Brand- und Blutflecken besudelt, hing in Fetzen.

      »Warum?«, schrie sie, in deren Augen der Schock brodelte. »Warum, Pater?«

      Auch Pu Rhea Bel wusste, dass er unter Schock stand. Er war beinahe froh darum. Sich von solchen Ereignissen nicht schockieren zu lassen, wäre eine noch größere Sünde gewesen als die Hilflosigkeit, in der er jetzt Shorena gegenübertrat.

      »Ich – weiß es nicht …«, stammelte er rau.

      Er versuchte, die verstümmelte Leiche des kleinen Mädchens auf den von Staub bedeckten Steinboden zu betten. Dann erhob er sich unter Schmerzen. Er musste am ganzen Körper grün und blau sein von den zweieinhalb Zentnern des Hünen, der ihn umgeworfen hatte. Doch was war das gegenüber den Verletzungen derer, die verbrannt und gestorben waren?

      Während er feststellte, dass er zitterte und sich kaum auf den Beinen halten konnte, sah er die Frau ben Cyrions, der seit Monaten in der Ferne war, traurig und ratlos an.

      Auch mehrere Männer kamen auf sie zu und bildeten einen Halbkreis um ihn. Die meisten erwachsenen Amish arbeiteten in den Minen. Die wenigen, die sich im Kibbuz aufgehalten hatten, hatten bei der ersten Sirene alles stehen und liegen gelassen und waren zu den Schutz- und Sanitätsstaffeln gelaufen. Doch was konnten sie ausrichten?

      »Warum lassen wir das zu?«, fragte der Hüne, der ihm das Leben gerettet hatte und der jetzt mit verbranntem Gesicht von der Löschung der letzten Brände zurückkam. Es war Ari ben Guron, der Führer der Freiwilligen, die turnusgemäß bei ihren Familien geblieben waren.

      Der Pater zuckte die Schultern. Theologische Sophismen zuckten durch seinen Geist. Im Seminar hätte er sich eine brillante Rechtfertigung zurechtlegen können. Aber hier, im wüsten Gestank Dutzender verbrannter Leichen, wurde sie zu Nichts.

      »Gott …« Er schüttelte den Kopf. Ein hysterisches Schluchzen rang sich in ihm los.

      »Warum lässt Gott es zu?!«, rief Shorena und stemmte die Fäuste in die rußverschmierten Hüften, die nackt unter ihrem zerfetzten Gewand hervorschienen.

      Der Pater wagte nicht, sie anzusehen. Er hätte sie fragen müssen, wie viele ihrer sieben Kinder in der Schule gewesen waren …

      »Wir müssen uns bewaffnen«, sagte Ari. Der ruhige Bass seiner Leibesfülle gab seinen Worten ein Gewicht, das keine

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