Der Zthronmische Krieg. Matthias Falke
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»Wir dürfen uns nicht abschlachten lassen wie Vieh!«, riefen sie. »Ohne etwas zu unternehmen. Ohne uns zur Wehr zu setzen!«
»Wir sollten den Rat einberufen«, schlug Shorena vor. »Ich werde Cyrill schreiben, dass wir ihn hier vor Ort brauchen.« Sie funkelte den Pater zornig an. »Was kümmern uns diese Verhandlungen Gott weiß wo? Sie machen unsere Kinder nicht wieder lebendig!«
Dann bohrte sie den entschlossenen Blick ihrer schwarzen Augen, deren Lachen einst so unwiderstehlich schön gewesen war, in den Pater, bis er begriff. Er trat zur Seite und gab den Leichnam ihrer Tochter frei. Ohne erkennbare Regung bückte sie sich zu dem schwärenden Bündel, lud es auf ihre nackten Arme und ging damit davon.
Norton I
Die Anfrage kam am nächsten Morgen. Sie überraschte mich nicht; ich hatte damit gerechnet. Allenfalls der Zeitpunkt hätte einen irritieren können. Hatten wir nichts anderes zu tun?
Das Dossier war um fünf Uhr morgens auf den Teil des StabsLogs überschrieben worden, der dem Zugriff des Kommandanten vorbehalten blieb. Ich wusste daher auch, von wem er stammte.
Die Mauretanier galten als Frühaufsteher. Ihre Arbeitsessen konnten sich den ganzen Vormittag hinziehen. Aber sie legten Wert darauf, das erste Tagewerk schon vorher zu erledigen.
Die Codierung zeigte an, dass die Anfrage persönlich auf meinen gesicherten Bereich des StabsLogs gestellt worden war und nicht etwa mittels einer programmierten Terminierung. Es musste also ein chronischer Nachtarbeiter wie zum Beispiel Direktor Reynolds gewesen sein – oder eben einer der unsympathischen Angehörigen des Mauretanierordens. Ich gab im Stillen einen Tipp ab und öffnete dann das Dokument.
Auch diese Wette hätte ich gewonnen!
Die Anfrage stammte von Dr. Flitebuca, dem weißhaarigen Rat und Stellvertreter Xanda Salanas. Während Salana als Hoher Repräsentant den protokollarischen Pflichten nachkam, Empfänge eröffnete und Sonntagsreden hielt, wirkte Moran Flitebuca im Verborgenen. Er kümmerte sich um die Ausarbeitung der Schriftstücke und Verträge, deren Verabschiedung Salana dann mit viel Champagner und noch mehr Händedrücken feierte. Flitebuca war der Herr des Kleingedruckten. Ein Aktenfresser, Paragrafenreiter, Strippenzieher. Ein Mauretanier eben. Denn dieser Orden hatte es sich zum Ziel gesetzt, einerseits die Schaltstellen der Macht zu besetzen, andererseits aber unter der Oberfläche zu wirken. Es hieß, dass er nur wenige Hundert Mitglieder habe und dass ihre Zahl seit mehreren Jahrhunderten konstant sei. Sterbe ein Mitglied, werde ein neues aufgenommen. Diese wenigen Hundert Männer hielten die Fäden von Politik, Industrie und Militär in der Hand und kontrollierten so – ohne sich um Dinge wie demokratische Legitimierung zu kümmern – die Geschicke der Union seit ihrer Gründung und ihrem Aufbruch ins Zeitalter der interstellaren Exploration.
Es wurde gemunkelt, Jorn Rankveil gehöre dem Orden ebenfalls an. Zumindest würde mich das nicht wundern. Er war der Typ dafür. Und vermutlich war auch Commodore Wiszewsky ein Mauretanier gewesen. Die selbstverständliche Art, wie er das Amt des Kommandanten der MARQUIS DE LAPLACE angetreten hatte, und die gleichzeitig seltsam unspektakuläre Art, wie er es jahrzehntelang geführt hatte, deuteten darauf hin. Bewiesen würde es nie werden. Es schickte sich auch nicht, danach zu fragen. Er würde auch dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen, und wahrscheinlich schon recht bald. Denn sein Gesundheitszustand hatte sich in den letzten Tagen rapide verschlechtert. Der Bordarzt der MARQUIS DE LAPLACE sah mehrmals täglich nach ihm. Und natürlich wich die Komarowa nicht von seiner Seite. Wann hätte sie das je getan?
Das alles erfuhr ich, als ich mich an diesem Morgen in die Kommandantenebene der Schiffsprotokolle einloggte.
Aber das Auffälligste war die Anfrage Dr. Moran Flitebucas. Ihm war aufgefallen, dass sämtliche Flugbewegungen rund um Torus und Parkraum, aber etwa auch im Bereich der Baustellen der MARQUIS DE LAPLACEs II und III, vom telepathischen Kontinuum der Tloxi gesteuert und überwacht wurden. Für einen Zivilisten und Sesselfurzer wie ihn war das eine enorme Leistung. Wahrscheinlich erwartete er im Stillen, dass man ihm Anerkennung zollte.
Tatsächlich war es – seit wir Sina zerschlagen hatten und die Tloxi der Union beigetreten waren –so, dass sämtliche Aktivitäten unserer Schiffe – von Shuttleflügen bis hin zu den intergalaktischen Operationen unserer Lambda-Ionensonden und von Frachtdrohnen bis zu den Missionen unserer schweren Kreuzer –, vom Tloxi-Kontinuum erfasst, koordiniert, gesteuert, überwacht und auch gespeichert wurden.
Dr. Flitebuca hatte nun zu rechnen begonnen und herausgefunden, dass wir unsere eigene Flugsicherung doch eigentlich einsparen könnten. Große Schiffe wie die MARQUIS DE LAPLACE unterhielten bislang einen eigenen Tower, untergebracht im 127. Stockwerk über dem Großen Drohnendeck, der alle Flugbewegungen von EVAs bis zu den Missionen der ENTHYMESIS-Explorer steuerte und überwachte. Und das galt auch für unseren Wartungsraum im Neptunorbit, für unsere Basen vom Asteroidengürtel bis zu den Kolonien im Eschata-Nebel und für Raumstationen wie die Ikosaeder, die wir von den Sinesern übernommen hatten.
Allein auf der MARQUIS DE LAPLACE waren mehrere Dutzend Planstellen dafür vorgesehen. Im Einflussbereich der Union summierten sie sich auf einige Tausend. Flitebuca vertrat die Auffassung, man könne sie sich sparen. Natürlich enthielt das Dokument umfangreiche Anlagen. Aufstellungen und Rechenbeispiele, in denen der Hohe Rat dokumentierte, wie sich – über einen entsprechenden Zeitraum gesehen – Milliarden Dollar freibekommen ließen, die man für andere Aufgabenfelder einsetzen könne, etwa für den Aufbau einer galaktischen Verwaltung.
Xanda Salana und Jorn Rankveil hatten sich dem Vorschlag bereits angeschlossen. Flitebuca hatte ihr Statement ebenfalls angehängt, in dem sie die Maßnahme nicht nur als Effizienzsteigerung priesen, sondern auch als Akt der Vertrauensbildung. Da wir mit den Tloxi ohnehin eng zusammenarbeiteten, könnten diese die Aufrechterhaltung einer Parallelstruktur als Dokument unseres Misstrauens interpretieren. Dem würden wir begegnen, wenn wir die Parallelen beseitigten.
Als Kommandant der MARQUIS DE LAPLACE – immerhin des größten Schiffes, über das die Union verfügte – und ranghöchster diensttuender Offizier eben dieser Union bekam ich die Anfrage zur Kenntnisnahme. Mein Urteil war erwünscht. Entscheiden würde jedoch ein politisches Gremium. Ein unmittelbares Mitspracherecht hatte ich dabei nicht.
Es war klar, dass das Harakiri war. Eigentlich musste es jedem denkenden Menschen einleuchten. Aber wann hätten Politiker je zu den denkenden Menschen gezählt? Wir begaben uns nicht nur in eine noch tiefere technologische Abhängigkeit von den Tloxi. Wir verloren auch jeden Handlungsspielraum für den Fall, dass sie einmal nicht mehr so wollten wie wir. Das Sinesische Imperium war zusammengebrochen, als die Tloxi gemeutert hatten. Ich wollte ja nicht ständig den Teufel an die Wand malen, aber es wäre mir lieb gewesen, die Union hätte die Einsatzbereitschaft ihrer Flotte auch dann bewahrt, wenn die undurchschaubaren kleinen Wesen es sich wieder einmal anders überlegten.
Ich setzte ein entsprechendes Memorandum auf. Die Union … – Aber wir alle waren jetzt die Union, sogar Sineser, Zthronmic und Amish gehörten dazu. Man musste sagen: die alte Union, der Teil der raumfahrenden Menschheit, der vor mehreren Jahrhunderten terrestrischer Zeit beschlossen hatte, die interstellare Herausforderung anzunehmen. Das war ein bisschen umständlich, zumal für ein Schriftstück, das anderthalb bis zwei Leseminuten auf keinen Fall überschreiten durfte. Ich nahm Zuflucht zu einem Trick. Statt »Der Teil der raumfahrenden und so weiter« schrieb ich: »Wir«. Sollte jeder für sich selbst entscheiden, ob er zu diesem Wir gehörte oder nicht.
»Wir können es uns«, schrieb ich, »nicht leisten, organisatorisch und technologisch in noch weiter gehendem Maße von den Tloxi abhängig zu werden, als wir das ohnehin schon sind. Darin ist kein Misstrauen ausgedrückt, sondern lediglich der Ansporn formuliert,