Lust aufs Alter. Peter Scheer
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Das lange Leben wirklich alt gewordener Menschen hat mehr mit Genetik und guter Lebensführung von Geburt an sowie mit gelungenen Beziehungen zu tun (im ländlichen Raum Japans zum Beispiel sind Tagesrhythmik, Essgewohnheiten und Lebensplanung seit Jahrhunderten unverändert). Die einzige Diät, die sich als lebensverlängernd herausgestellt hat, ist: wenig essen. Ob man das macht, wie heutzutage oft gepriesen, indem man jeden zweiten Tag nichts isst oder einfach immer wenig isst, sei jedem selbst überlassen. Aber jeder, der wenig isst, hat bessere Chancen, alt zu werden, sogar über sein genetisches Alter hinaus, als der, der dick ist. Dick wird man im Alter leicht, das Ausmaß an Bewegung nimmt ab, essen gehört zu den Tätigkeiten, die problemlos zu bewältigen sind und Spaß machen, zudem fördert es die soziale Interaktion, weil man meistens nicht alleine isst, und wenn es dazu auch noch etwas Alkohol gibt, wird die Zunge leicht und das Herz unbeschwert. Warum auch nicht?
Stattdessen wird den verschiedenen Wehwehchen nachgegangen, Arztbesuche werden zu den wichtigsten Terminen und die Ratschläge der Ärzte werden ernstgenommen.
Ich rate davon ab!
Essen Sie, was Ihnen schmeckt, und nicht, was angeblich gesund ist. Machen Sie ausreichend Bewegung, es tut Ihnen gut und Sie fühlen sich danach viel besser. Lachen Sie viel und nehmen Sie immer weniger ernst. Vor allem nicht sich selbst, denn Sie sind der Schauspieler, dem der Souffleur langsam das Zeichen gibt, von der Bühne abzutreten. Das ist nicht schlimm. Sie und ich, wir hatten unsere Chance und sie wird nicht wiederkommen. Nur wenige von uns haben noch die Chance, Papst oder Präsident zu werden. Schade, aber so ist es. Das sich nun auftuende Loch mit Sorgen um die eigene Gesundheit zu füllen, ist schal und dumm. Man könnte fast sagen: Je weniger Leben noch übrig ist, desto mehr hängt man daran. Wie eine Wurst, von der man eine Scheibe abschneidet und, da man sie nicht ganz durchgeschnitten hat, ein kleines Stück Haut noch festhängt. Unbedacht reißt man es – im besten Fall – ab. Oder man zieht es in die Länge, den Rest kennen Sie.
Die österreichische Schauspielerin und Kabarettistin Topsy Küppers (* 1931), einst Gattin des wunderbaren Georg Kreisler (1922 – 2011), bekam mit zweiundachtzig Jahren Krebs und hat nun ein Buch darüber geschrieben. „Mein Ungustl: Ein widerlicher Gast“ (Langen Müller, 2015), so nennt sie ihren Tumor, den sie mithilfe der Ärzte besiegt zu haben hofft. Bei der Buchpräsentation, die in der ORF-Society-Sendung „Seitenblicke“ gezeigt wurde, freuen sich alle Befragten mit der Autorin, dass sie ihren Ungustl besiegt hat. Aber sie ist dreiundachtzig! Wer hätte noch vor zehn oder zwanzig Jahren überhaupt etwas derart wortwörtlich Einschneidendes getan, um ein in diesem Alter auftretendes Karzinom zu bekämpfen? Wer hätte dieses Karzinom für etwas anderes gehalten als die zu erwartende lebensbeendende Krankheit, die hohes Alter eben mit sich bringt?
Stattdessen wird die Behandlung und die momentane Verbesserung als Sieg gegen den Krebs gefeiert, die Autorin im Kreis ihrer hauptsächlich Gleichaltrigen als Heldin begrüßt und der Arzt als Helfer in der Stunde der Not im Fernsehen gezeigt. Sogar Nacktfotos von Küppers sind in dem Buch zu sehen, von denen sie im österreichischen Rundfunk sagt, dass sie darauf gut aussehe. Topsy Küppers war in der Tat eine sehr gut aussehende Frau, als sie mit Kreisler „Heute Abend: Lola Blau“ gab. Ich kann das bezeugen, denn ich war bei der Erstaufführung (1971) dabei. Wieso genügt das nicht? Warum so am Leben hängen, wo man es doch im Altersheim fristet? Es ist die Kreatur, die sich weiterschleppen will und – nach dem Sieg über den Krebs – an etwas anderem sterben muss.
Daher: Kümmern Sie sich ruhig um Ihre Gesundheit, wenn es Ihnen Spaß macht, aber lassen Sie sich nicht durch ein „gesundes Leben“ einschränken.
Auf dem Berg ist Sonne und Nebel im Tal, man steigt neunhundert Meter zu der Schweizeben unter dem Hochanger durch das Weitental bei Bruck an der Mur auf, der Susannensteig ist schneebedeckt, an manchen Stellen eisig, weswegen mein Freund Ingo und ich „Kramperln“, also leichte Steigeisen, tragen. Die Wirtschaft auf Schweizeben ist offen. Platz ist nur mehr im Raucherzimmer, dort sitzt ein schweigsamer Mann an einem Tisch, darunter sein Hund, darauf zwei Zigarettenpackerln. Der Raum ist lichtdurchflutet, durch das Fenster blickt man in das weite Mürztal, die Nebeldecke lässt es wie ein Meer erscheinen. Es ist Frühstückszeit. Ingo bestellt ein Krügerl Bier, ich schließe mich an.
Zwei deutlich jüngere Frauen kommen in den Raum. Die Funktionskleidung wird Schicht um Schicht ausgezogen, ein schöner Anblick. Ein interessanter Geruch breitet sich aus: Der Geruch der Plastikkleidung vermischt sich mit dem Geruch der sich am Morgen gewaschen, beduftet und beim Aufstieg geschwitzt habenden Frauen im Alter von etwa vierzig bis fünfzig Jahren. Die Kleidung hängt jetzt auf einem Bügel neben dem Ofen, wo sie weiterduftet. Die beiden setzten sich, nehmen ihr transportables Diabetesbesteck aus der Hüfttasche und messen den Blutzuckerspiegel. Da die erste Messung sie nicht befriedigt, wird nochmals gestochen und wieder gemessen, das nun erreichte Ergebnis stellt sie zufrieden. Nun wird Insulin gespritzt, beide Frauen trinken einen Tee mit Süßstoff, ohne etwas zu essen.
Während wir nach dem großen noch ein kleines Bier trinken, werden die Oberteile wieder nach und nach angezogen. Die Frauen grüßen und verlassen die Hütte. Komisch, denken wir beide, sie müssten doch etwas essen. Andererseits scheinen sie sich mit ihrem Leiden auszukennen. Dass sie sich so verhalten, wird damit zusammenhängen – und auch damit, dass sie sich zu einem disziplinierten Leben entschlossen haben und es durchhalten. Alles an diesen Frauen wirkt diszipliniert: die Art, wie sie ihre Haare zusammengebunden haben, wie sie die Kleidung aufhängen und wie sie sich im Raum verhalten, selbst ihr Schimpfen, dass sie im Raucherraum sitzen müssen, weil im großen Zimmer gegenüber eine Geburtstagsfeier stattfindet. Sie bitten den schweigsamen Mann, während ihrer Anwesenheit nicht zu rauchen. Wir rauchen auch nicht. Die Wirtin unterstützt uns in unserer Disziplin: Sie verkauft uns keinen Schweinsbraten; angeblich, weil sie keine Zeit hat. Den Boden in dem ziemlich sauber erscheinenden Raum wischt sie dann aber auf. Sie hatte, scheint es, doch Zeit, nur keine Lust. Oder sie fand, dass wir dick genug seien. Oder sonst was.
Wir gehen fröhlich zu Tal, zu Ingo, der ein „ausgewogenes“ Menü – Steak mit Brot mit einer Flasche Nebbiolo aus dem Piemont – serviert. Ich werde meinen guten Vorsätzen untreu, nicht mehr Auto zu fahren, wenn ich auch nur ein klein wenig getrunken habe, und gleite heiter zurück nach Graz.
Gehen Sie an Ihre Grenzen
„Wer saufen kann, kann auch laufen“ war einer der Sinnsprüche aus dem „Taubenbuch“. Ich finde immer mehr, dass das stimmt. Zwar sagt Ingo: „Muskeln kann man trainieren, Gelenke und Sehnen nur ruinieren!“, und der Satz wird auch nicht besser, wenn man ihn umdreht. Dabei ist aber zu bedenken, dass das Ruinieren von jenen, die es nicht probieren, meist nicht erlebt wird. Die anderen werden meist mit künstlichen Gelenken versorgt, mit denen man fast jeden Sport betreiben kann: Wandern, Klettern, Laufen, Schwimmen und vieles andere mehr. Bewegung führt zu einer besserer Hirnleistung und einem guten Lebensgefühl. Das allein sollte schon reichen, um Sport zu machen und nicht nach Ausreden zu suchen.
Viktor Frankl (1905 – 1997) hat, als er mit zirka sechzig Jahren an Höhenangst zu leiden begann, wieder, wie in seiner Jugend, zu klettern begonnen. Er bestieg den Stüdlgrat am Großglockner. Das Foto11, das ihn am Grat im Seil hängend zeigt, ging damals um die Welt. Er war als Erfinder der Logotherapie vor allem in den USA eine Berühmtheit und das Foto galt als Beweis für die Richtigkeit