Lust aufs Alter. Peter Scheer

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Lust aufs Alter - Peter Scheer

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Sie sind plötzlich frei. Nichts bedrängt oder hetzt Sie mehr, Sie müssen nichts tun. Denn die Wahrheit ist: Sie werden nicht gebraucht! Und wenn doch, dann nur wie die Bauern am Markt, die den Jungen bei der Erwerbsarbeit helfen. Wenn sie aber nachlassen, geschieht etwas, was viele nicht wahrhaben wollen: Es geht auch ohne sie. Denn plötzlich hat vielleicht die Schwiegertochter Zeit oder der Enkel, und die machen es eben anders, aber genauso gut, und wenn Sie Glück haben, dürfen Sie manchmal noch ein wenig mithelfen.

      Daher zerstreiten Sie sich nicht. Vermeiden Sie es, recht haben zu wollen und Anweisungen zu geben. Sie sind unwichtig, man lässt Sie bestenfalls leben, man sagt Ihnen, dass das, was Sie wissen, obsolet geworden ist – und auch wenn Sie vielleicht mit den neuen Medien und den neuen Erkenntnissen der Wissenschaft Schritt halten, wozu? Was wollen Sie damit bezwecken? Sich wichtig machen? Wichtig sein?

      Ich bin Mitglied in einem Herrenclub. Eine wunderbare Sache. Wir reden uns ein, den Armen zu helfen und die Welt zu verbessern. So weit, so gut. Wir reden uns auch ein, dass der, der mehr Fähigkeiten hat, einen größeren Beitrag für die Gemeinschaft leisten soll und dass höhere Posten eine höhere Verantwortung bedingen und nicht der Ehre wegen da sind. Und dann die traurige Realität: Die alten Männer beschimpfen sich, unterstellen einander das Schlimmste: Diebstahl, Raub, auch Nepotismus6. All das widerspricht dem Regelkanon des Herrenclubs. Es ist wie in einem Senat, der nicht von seiner Macht lassen kann. Selbst in so wunderbaren Zukunftsfilmen wie „Star Wars“ oder „Matrix“ findet sich ein Senat. Das sind immer alte Menschen, die das Sagen haben. Und das, obwohl die Schwächen des Alters nur allzu sichtbar sind. Man wird ängstlicher, obwohl man nichts mehr zu verlieren hat. Man wird dümmer, weil man vieles vergisst. Man wird zögerlicher, weil man alles besser und genauer zu überlegen meint, und doch nur langsamer denkt. Man beginnt sich selbst zu glauben, weil man sich weniger überprüft. Man wird starrer, vor allem, weil im Gehirn die Neuronen langsam abgebaut (und kaum ersetzt) werden und sich stattdessen im besten Fall weiße Substanz an diesen Stellen ausbreitet, wenn nicht Amyloid wie bei Alzheimer oder Kalk wie bei der vaskulären Demenz. Man fürchtet die Jungen, und zwar zu Recht: Sie werden diese Welt übernehmen und die Alten hinwegfegen, auf den Kehrrichthaufen der Geschichte werfen und ihnen ankreiden, dass sie viele Probleme der Welt, wie Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Kriege, Elend, Hunger und Not, nicht ausreichend bekämpft haben. Sie fürchten die Jungen so wie der Leitwolf den jungen Wolf fürchtet, da dieser – schon im Interesse des Genoms und der Auswahl des Besten – ihn verdrängen und ungerührt zulassen wird, dass sein Vater oder Onkel allein verhungert. Seien wir froh, dass Kultur und Anstand die Alten überleben lassen. Wenn wir klug sind, dann leben wir in der Stadt und nicht im Ausgedinge oder im Kellerstöckl, wie es in der Steiermark heißt, leben im eigenen Haus und nicht im Altersheim. Nur wenn wir nicht weitergeben wollen, wenn wir den Hof nicht überschreiben, die Jungen nicht ins Grundbuch lassen, dann werden wir zu Recht rausgedrängt, weil wir nicht loslassen können, unterdrückerisch sind oder einfach besserwisserisch. Also seien Sie fröhlich und heiter und geben Sie keine Ratschläge!

      Während ich das an einem noch kalten Vorfrühlingstag schreibe, muss ich zweimal zurückscrollen, um mich der Kapiteleinteilung zu vergewissern. Dies, obwohl ich joggen war und hin und zurück mit dem Fahrrad zum Treffpunkt mit dem Partner gefahren bin. So ist das mit der Verfasstheit eines Pensionisten. Sie wird schlechter.

      Inzwischen schreiten die Jungen voran. Sie wissen mehr, und was sie nicht wissen, schauen sie nach. Sicher, auch sie haben Schwächen. Ihr Computer stürzt gern aufgrund von Überlastung ab und das, was sie in Wikipedia finden, stimmt nicht immer und sie können den Wahrheitsgehalt von Meldungen oft nicht richtig einschätzen. Aber diese kleinen Fehler lassen sich ausbügeln.

      Die Fehler der Alten hingegen sind schwerwiegender. Sie erinnern sich gern an „ihre“ Zeit, sie kennen das Heute wenig oder schlecht, sie wollen von sich reden und zuletzt: sie wissen es besser.

      Vor nichts muss man sich so hüten wie vor Besserwisserei. Nicht nur dass sie unsympathisch macht, nein, meistens hat man auch noch unrecht.

      Der österreichische Architekt Harry Glück (* 1925) wurde zu seiner Zeit wegen seiner Gemeindebauten heftig angefeindet. Friedensreich Hundertwasser (1928 – 2000) warf ihm vor, er mache nur das, was die Stadt Wien und die Betonierer von ihm verlangten. Dann schuf er den Wohnpark Alt-Erlaa mit Schwimmbecken am Dach und Blumentrögen auf den Terrassen. Er sprach von seiner Philosophie, davon, dass der Mensch Wasser und Pflanzen brauche, um leben zu können – und heute ist er ein Genie, das zu seiner Zeit eben verkannt war. Was haben die Menschen geschimpft! Der Wind verfinge sich in den Bauten, sie würden wegen ihrer Höhe schwanken, das Schwimmbad am Dach sei nicht zu benutzen, weil im Sturm zu kalt, und überdies seien die Wohnungen zu teuer und zu entlegen, der Verkehr würde durch sie um ein Vielfaches zunehmen und daher seien diese Bauten mehr Belastung als Freude. All diese Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Dasselbe geschah bei der Schleifung der Wiener Stadtmauer und der Errichtung der Ringstraßenpalais. Manche lehnten das damals ab. Vielleicht muss das so sein. Das Neue überrascht, ist unvertraut und wird daher zurückgewiesen.

      Auch in der Politik weiß fast jeder, wie es besser zu machen wäre. Einmal gab es in Österreich eine Koalition aus ÖVP und FPÖ. Wesentliche Weichen wurden gestellt, das Pensionsrecht verändert, so dass es möglich scheint, dass die Pensionen noch ein paar Jahre bezahlt werden können. Ein „Solidarbeitrag“ wurde bei den höheren Pensionen eingeführt, also eine Kürzung, der man diesen schönen Namen gegeben hat. Sicher komisch. Da zahlt der Staat seinen Beamten eine gute Pension, weil diese im Erwerbsleben ein geringeres Einkommen hatten als zum Beispiel Freiberufler, allerdings auch nicht deren Risiko. Es wird eine Lebensarbeitssumme errechnet und ausgezahlt. Natürlich haben alle anderen längst vergessen, dass sie jahrelang ein höheres Einkommen hatten als die Beamten, und wenn sie sich doch erinnern, rechnen sie es ihren Fähigkeiten und der Faulheit der Beamten zu. Somit gönnt keiner den Beamten ihre Pension. Der Souverän, das Volk, reduziert sie also, und damit das ohne Streik und ohne allzu viel Lärm einhergeht, nennt man es „Solidarbeitrag“ und schon ist die Pille mit einem Zuckerguss überzogen und wird geschluckt. Was kann man da besser machen? Nichts. Denn die Pensionen sind nicht finanzierbar. Entweder müssen die Menschen mehr zahlen oder früher sterben oder mehr Kinder haben. Zu viele Alte, zu wenige Junge und mäßige Wirtschaftsdaten erforderten diese Reformen.

      Wie leicht kränkt man sich dann über eine solche Vorgehensweise. Denn wer will schon auf etwas verzichten, indem er zum Beispiel dazu beiträgt, dass auch in Zukunft, dann, wenn er längst nicht mehr lebt, die Pensionen finanzierbar bleiben?

      Noch leichter lässt es sich über Kränkungen durch die Kinder und Enkel verzweifeln, die auf die Meinung der Alten keinen Wert legen. Das sollte Sie aber keineswegs kränken, denn es macht nichts. Was heißt schon „Wert legen“? Dass man Sie ernst nimmt. Warum wollen Sie unbedingt ernst genommen werden? Das will doch nur jemand, der sich selbst ernst nimmt, und das sollen Sie nicht tun. Es macht nur traurig.

      Sie könnten auf den Gedanken kommen, dass Sie es wirklich besser wissen. Das wäre schade. Wie kommen Sie darauf? Und selbst wenn es so sein sollte: Erinnern Sie sich, jede Generation muss ihre eigenen Erfahrungen machen. Was denken Sie, wie viele junge Menschen dieses Buch lesen werden? Wie viele werden meinen Erfahrungsschatz in Anspruch nehmen wollen? Sie sind an einer Hand abzuzählen. Ich finde das nicht gut, weil ich natürlich hoffe, dass alle Menschen mein Buch kaufen und lesen. Meine Träume weisen mir diesen Weg. Aber natürlich wird es nicht so sein. Noch kann ich meine Träume von der Wirklichkeit unterscheiden. Mein Buch wird vielleicht von älteren Menschen gelesen, sie werden manches gut, manches schlecht finden. Auf jeden Fall aber werden meine Leser wissen, wie es besser zu machen gewesen wäre. Ich habe es da leicht. Ich vergleiche mich neuerdings mit jenen, die nichts tun. Diese Gruppe ist gar nicht so klein. Es gibt einfach Menschen, die gern ein Buch geschrieben hätten, die gern in der Früh aufgestanden wären, gern auf den Berg gegangen wären, gern mehr reisen würden. Nur, sie machen es nicht. Der Hund braucht sie, die Enkel oder andere Umstände halten sie an dem Ort, an dem sie angeblich nicht sein wollen. Und so verhält es sich mit allem, was man machen will. Die Umstände lassen

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