Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil
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Und dann schlug er ein.
Und so hatte es sich in Wirklichkeit zugetragen.
V.
Und nun saß er also hier, in dieser heruntergekommenen Spelunke nahe der Autobahn, und überlegte, ab welchem Punkt ihm eigentlich die Zügel entglitten waren. Das Hebraicum, oh Mann, das war dann wohl doch ein bisschen zu viel des Guten. Er trank sein Bier aus und bestellte gleich noch eins.
„Ach und Süße“, rief er der Bedienung hinterher „einen Schnaps kannst Du auch gleich dazustellen!“
Die Bedienung hatte ein hübsches Gesicht und eine ganz ansehnliche Figur, insgesamt etwas üppig und schon ein wenig verlebt, aber so mochte Pfeffer sie in der Regel. Die wussten, was sie wollten. Normalerweise hätte er sie neben Bier und Schnaps auch gleich um ihre Telefonnummer gebeten, aber heute war ihm nicht danach. Also dann doch nur das Herrengedeck. Die Bedienung nickte beiläufig und begann zu zapfen.
Vielleicht war das ja auch das Problem. Der Alkohol. Er hatte immer schon viel getrunken, aber unter dem Druck der vergangenen Monate und Jahre war es immer mehr geworden, immer schlimmer. Manchmal war er in einer Kneipe aufgewacht und hatte weder gewusst, wo er sich befand, noch wie er dort hingekommen war. Oder eben wie damals im Hotel nach seiner Sause in der Roten Katze. Und, ach ja, die Frauen ... Oh Mann, er konnte ihnen einfach nicht wiederstehen. Wenn er eine sah, die ihm gefiel, dann musste er sie einfach haben. Koste es, was es wolle. Aber selbst ihm Puff musste er lügen und Geschichten erfinden, damit er sich halbwegs attraktiv fühlen konnte. Und damit er die guten Nutten abbekam. Traurig. Eigentlich. Aber so war es nun mal. Obwohl er erst 46 war, bildeten seine Haare nur noch einen breiten Kranz um seinen Kopf. Da half auch alles Über- und Rüberkämmen nichts, so sehr er sich auch jeden Morgen bemühte. Alle Versuche hierbei schlugen fehl. Ebenso wie die, weniger zu trinken. Und dem Trinken hatte er wohl auch seinen ordentlichen Bauchansatz zu verdanken. Und dann noch die blöde Brille ... Beinahe verlor er sich im Selbstmitleid und vermutlich log er deshalb eben manchmal so sehr, dass sich die Balken bogen. Na ja, und wo wir schon dabei sind, wollen wir auch ehrlich bleiben: die meisten Frauen, die er abschleppte, wollten es auch nicht anders. Es waren zumeist ältere Damen, gelangweilt, verblüht, letztlich anspruchslos. Da kam ihnen ein Rick Pfeffer mit seinen Räuberpistolen gerade recht. Eine kleine Aufregung zur Abwechslung vom öden Alltag, eine kurze Affäre, das war es dann. Die letzte Cola in der Wüste eben.
Das mit der Spielerei allerdings bereitete ihm langsam ernsthafte Sorgen. Ja, er spielte wirklich ein bisschen zu gern. Nie um richtig große Summen, aber doch genug, um schon mal den Autoschlüssel an der Kasse abzugeben, wenn das Portemonnaie wieder zu schnell leer war. Na Schätzchen. Papa braucht noch was. Ja, ja, Belehrungen kannste Dir sparen. Jetzt gib schon die Jetons rüber. Hier der Schlüssel. Sollte wohl reichen!
Und das bei seinem Auto! Er hatte sich vor zwei Jahren einen Mercedes gekauft. Neu natürlich, das musste schon sein. Damit hatte er sich einen echten Traum erfüllt. Wer einen Mercedes fuhr, der war schließlich jemand! Als er den Wagen dann aber abholte, fiel ihm plötzlich auf, wie viele von diesen Dingern eigentlich herumfuhren, und so ließ er seinen eigenen kurzerhand in Gold lackieren! Gold! Ohgottohgott. Es tat ihm also jedes Mal besonders weh, wenn er den Schlüssel für sein geliebtes Goldstück im Casino abgeben musste. Oh Mann, das Casino war wirklich sein persönlicher Vorhof zur Hölle, kamen dort doch jedes Mal alle seine Probleme auf einen Schlag zusammen: Spielen, Frauen, Alkohol.
„Ist hier noch frei?“
Die Frage riss ihn jäh aus seinen Gedanken. Er blickte vom Tisch auf und sah vor sich einen Mann, unauffällig, mittleres Alter, mittlere Statur, brauner Mantel. Pfeffer starrte den Unbekannten an. Der Laden war doch vollkommen leer. Warum wollte der Typ sich ausgerechnet hier hinsetzten? Zu ihm! An seinen Tisch! Gesellschaft konnte er in diesem Moment nun wirklich nicht gebrauchen.
Aber er hatte noch weniger Lust auf Diskussionen, und sein Bier war inklusive Schnaps auch gerade angekommen. Deswegen zog er beides etwas dichter zu sich heran und nickte stumm. Dann wendete er sich seiner Getränke-Orgel zu. Er kippte den Schnaps in einem runter, so wie es sich gehörte. Der Fremde hatte inzwischen Mantel und Hut abgelegt und selbst ein Bier bestellt. Pfeffer hatte sich schon darauf eingestellt, ihn vollständig zu ignorieren. Bloß jetzt kein Gespräch. Wie geht’s denn so? Hier aus der Gegend? Blabla. Oh Gott, hoffentlich war das nicht einer von diesen Schwulen! War er nicht. Aber er sprach ihn trotzdem an.
„Sagen Sie, Sie sind doch Richard Pfeffer oder? Der Kommunistenfresser vom Weserkreis! Na, Sie haben es aber mit den Genossen, was?“
Pfeffer nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier. „Und Sie sind wohl vom KGB und wollen mich verhaften, nehme ich an?“, sagte er mürrisch und tat einen weiteren großen Schluck.
„Nein, nein, das eher nicht, kein KGB“, sagte sein Gegenüber in einer Mischung aus Strenge und Heiterkeit.
„Ich bin vom Bundesnachrichtendienst.“
Kapitel Zwei
KARRIERE
I.
Auf Blitz folgt Donner. Und es donnert viel. Kostprobe? Also bitte, Zahnstocher rein und her damit. Die Russen versuchen aus Afghanistan eine sowjetische Enklave zu machen. Ach ja, hatten wir schon. Was war sonst noch? Blätter blätter. Oha. So einiges. Säuberungsaktionen in Kambodscha durch Vietnam (sollten die es nicht besser wissen? Tss Tss Tss ...), blutige Aufstände in Südkorea (ja, richtig: der gute Teil), Bürgerkrieg im Jemen und außerdem wird zwischen Israel und den palästinensischen Provinzen im Westjordanland ... nun ja, die alte Geschichte eben. Gähn. Das war’s schon? Ach na ja, wissen Sie, das ist jetzt auch nicht soooo aufregend. Also mehr. Kein Problem. Putsch im Tschad, in Gambia, Liberia, Ghana, Uganda, Nigeria, Burundi und in der Zentralafrikanischen Republik. In Kamerun wird es zumindest versucht, in Mauretanien dagegen durchgeführt, aber anschließend durch Gegenputsch wieder rückgängig gemacht. Rinn inne Kartoffeln, raus ausse Kartoffeln. So wird das natürlich nix mit’m Wirtschaftswunder. Egal. Hier heißt der wahre Feind: Kolonialismus! Und der liegt nun endlich niedergestreckt auf der Bastmatte und verdorrt in der Sonne. Auch eine Ex-Kolonie: El Salvador. Auch dort: meine Schaufel, Deine Schaufel. Großoffensive der Guerilla gegen die Regierung. In Bolivien hingegen wird artig gewählt. Weil einem aber die guten Antworten immer zu spät einfallen, ist das mit dem Wahlergebnis dann zwar schön und gut, wird aber trotzdem hinterher mit der Knute geregelt. Und auch hier wieder: Knüppel aus dem Sack. Das ewig wildschlagende Herz.
All das schafft es aber in den Nachrichten auch gerade so eben noch vor den Sportteil. Viel schlimmer sind da schon die Umtriebe von Maurice Bishop, Premierminister von Grenada und außerdem Marxist. Ohgottohgott, direkt vor der Haustür der freien Welt. Das geht nun wirklich nicht. Was macht der? Sowjetunion? Kuba? Bilateral? Das geht zu weit. Mr. President? Mr. President, könnten Sie kurz? Ja, ja, gleich gleich. Muss hier noch was in Auftrag geben. Also mal sehen, Neutronenbombe? Check! Star-Wars-Programm? Check! Größter Flugzeugträger aller Zeiten? Check! Kurz den Bleistift weg, was war jetzt gleich? Bishop? Ja, mach mal. Besetzen und gut. Aruba, Jamaica, ooooh I wanna take ya! So einfach ist das. Bishop wird exekutiert und der Cowboy schwingt weiter die Winchester-Flinte im Western. Oder war das vorher? Man kann da schon durcheinander kommen. War’s das denn nun? Grenada? Check!
Klappt in Nicaragua leider nicht, aber immerhin gelingt es, dort wenigstens einen ordentlichen Bürgerkrieg anzuzetteln. Da wird auch noch Honduras mit hineingezogen. Querfinanziert, gesponsert,