Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil

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Geiselnahme im Iran. Puh, das wird langsam lästig. Prompt wird eine geheime Operation mit den besten Kräften gestartet. Ergebnis: ohne eine feindliche Muskete erblickt zu haben, waren drei Hubschrauber kaputt, zwei explodiert, dazu ein ebenfalls explodierter Tankwagen und ein ausgebranntes Großraumtransportflugzeug Marke Hercules. Ein Hubschrauber musste dann zurückgelassen werden und – na ja, das kann passieren – da waren dann auch noch geheime CIA-Dokumente drin. Ganz schön viel Getöse für eine geheime Operation. Ein klassischer Rohrkrepierer, aber was soll’s. Schulle, kann schließlich jedem mal passieren.

      England war in Falkland viel erfolgreicher. Nutzte aber auch nichts, da John Lennon erschossen wurde. Da hätte man wohl lieber auf diese Bananeninsel verzichtet. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Trotzdem geriet Margaret Thatcher zur Eisernen Lady. Wer weiß eigentlich, dass sie vorher als Chemikerin das Softeis erfunden hat? Eher eine dunkle Episode Ihrer Karriere, denn soft wollte sie nun gar nicht sein. 15 Jahre Thatcher, 16 Jahre Kohl und da heißt es, Demokratie lebt vom Wechsel. Auch hier wieder: von den Roten lernen heißt Siegen lernen. Da wurde nämlich mehr so langfristig durchgetauscht, wenn auch mit den Füßen zuerst. Wer hat noch nicht, wer will nochmal. Der Posten des Generalsekretärs der KPdSU galt bis dahin eher nicht als eine schnell vorbeiziehende Karrierestation. Auf Breschnew folgte Andrpow folgte Tschernenko folgte Gorbatschow, wobei von einem kommenden Wind of Change bis dahin nicht einmal ein seichter Luftzug zu spüren war. So wundert es denn auch nicht, dass ein einfacher polnischer Werftarbeiter grobschlächtigen Typs eines Morgens aufstand, sich den buschigen Schnurrbart kämmte und beschloss, dass er die Schnauze voll hatte. Es folgten Solidarnosc, die Bürgerbewegungen in der DDR, in Ungarn, der CSSR und so weiter, und irgendwann fielen auch in der Sowjetunion zum ersten Mal die Worte Glasnost und Perestroika. Ähm, könnten Sie das bitte wiederholen, Genosse? Dies jedoch sollte keineswegs heißen, dass der Ostblock dabei war, die sprichwörtlichen Segel zu streichen. Nein, das nicht. Aber es brodelte in den Grenzen der Comecon, des Warschauer Paktes, wobei die Agenten der Geheimdienste in Ost und West nun alle Hände voll zu tun hatten. Und einem solchen Spieler im großen Match der bipolaren Welt saß unser frisch demissionierter Rick Pfeffer nun an jenem Abend gegenüber und überlegte angestrengt, wie er reagieren sollte.

       II.

      Er blickte sich noch einmal um. Die kleine Kapelle war bis auf den letzten Platz besetzt, an den Wänden hingen Messingkandelaber deren Kerzen die kunstvoll gearbeiteten Facettenfenster kaleidoskopisch beschienen. Wer all diese Männer und Frauen wohl waren, fragte er sich und streifte einige Gesichter in vorüberziehender Bedeutungslosigkeit. Frauen mit spitzenbedecktem Gesicht, ab und an ein Taschentuch unter den schwarzen Schleier führend, Männer allen Alters, deren teils zu eng sitzende dunkle Anzüge wohl immer nur zu traurigen Anlässen aus dem Schrank hervorgeholt worden waren. Blick nach unten, Kopfschütteln, Schluchz. Einige ließen, so wie auch er selbst, ihre Blicke schweifen und blieben immer wieder an dem Sarg hängen, schön aufgebahrt vor dem Altar. Dann wieder Blick nach unten, wieder Kopfschütteln. Nee nee, nu auch er. Vor und neben dem Sarg ein Blumenmeer von Gestecken, dem Anlass entsprechend geschmackvoll arrangiert. Grabgemüse. Darf man das sagen?

      Er selbst nun trug einen schwarzen Anzug mit ebenso schwarzer Krawatte. Tagesuniform. Doch ach, herrje, was war denn das? Erst jetzt bemerkte er den kleinen Kaffeefleck am linken Revers. Verflixt und zugenäht, entfuhr es ihm in Gedanken während er darüber rätselte und sich gleichsam zu ärgern begann, wie er dieses kleine Odium hatte übersehen können.

      Der Pfarrer, ein untersetzter, gutmütig blickender Mann fortgeschrittenen Alters, hatte gerade noch gesprochen, dabei immer wieder über seinen graumelierten Vollbart gestrichen, und anschließend hatte sie alle gemeinsam „So nimm denn meine Hände“, gesungen. Nun war sein Name genannt worden, und Richard genannt Rick Pfeffer stand auf, straffte sein Jackett und ging gemessenen Schrittes an das Katheder, welches dem fein gearbeiteten Eichensarg zur Seite gestellt worden war. Er legt sein Skript darauf, spürte die auf ihn gerichteten Blicke und Erwartungen, sah auf und begann zu sprechen:

      „Ich kannte Joseph Rebschläger nicht!“

      Er ließ seine Worte einige Sekunden lang wirken und setzte dabei einen gestochenen Blick auf, den er zwischen den Trauernden in der Kapelle sprungwechseln ließ. Er wartete noch kurz, bevor er fortfuhr.

      „Ja, ich kannte Joseph Rebschläger nicht, und doch weiß ich mittlerweile so viel über ihn.“ Er blickte kurz aber theatralisch den Sarg an und lächelte flüchtig nickend, so als wolle er den Verstorbenen nun zum ersten und letzten Mal grüßen.

      „Denn sehen wir uns einander an! So viele Menschen sind heute hier versammelt, um sich von ihm zu verabschieden. Um ihm Lebewohl! zu sagen. Freunde, Bekannte, Verwandte und natürlich seine liebe Familie, der mein ganzes Mitgefühl und mein aufrichtiges Beileid gilt.“ Er sah zu der weinenden Witwe hinüber und machte eine betroffene Geste. „So viele Augen, deren Tränen sich heute wohl nicht zählen lassen. Und so viele Erinnerungen, die das Leben von Joseph Rebschläger bei allen hier hinterlassen hat, dass es nicht genügend Tinte auf dieser Welt gibt, um sie alle aufzuschreiben.“ Nicken bei einigen Männern. Eine Frau schluchzte und Rick Pfeffer verbuchte dies als einen ersten Erfolg. Vielleicht fing sie ja gleich an zu heulen. Das wäre der Ritterschlag. Hatte seine Stimme zuvor noch ein leichtes Vibrato gehabt, wurde er nun zusehends sicherer. Er beschloss, jetzt in die erste Plural zu wechseln.

      „Ein Schmetterling kann einen Orkan auslösen, heißt es, und ebenso hat das Leben von Joseph Rebschläger bei uns allen etwas hinterlassen, ist dadurch größer geworden und bedeutungsvoller als es ohnehin immer gewesen ist. Wir alle aber, waren ein Teil seines Lebens, und wir alle wissen, dass er ein Teil des unsrigen bleiben wird. Für immer. Wir werden von ihm erzählen, werden seine Fotos betrachten, werden uns an ihn erinnern und an das, was wir mit ihm teilten. Aber er war nicht nur ein Freund. Im Beruf war er erfolgreich, ja das lässt sich sagen. Was aber unser Joseph Rebschläger nach einem Menschenleben hinterlässt, ist mehr, als das, wofür andere wahrscheinlich die sieben Leben einer Katze bräuchten. Mag sein Betrieb auch klein sein, er hat ihn Kraft seiner Hände aufgebaut, ihn auch durch schwierige Zeiten gelenkt und nunmehr an seinen ältesten Sohn Walter übergeben.“ Er deutete auf den jungenhaften Mann in der ersten Reihe. „Aber was ihn vor allem auszeichnete war seine Menschlichkeit. Entlassungen hat es bei ihm nicht gegeben, niemals. Und erinnert sich nicht der ein oder andere an den unbekannten Weihnachtsmann, der auf einmal vor der Tür stand und Geschenke reichte, als das Geld auch mal knapp und die Not groß war?“ Die, die es wussten nickten, einer sagte leise „Jawohl“, und Pfeffer machte erneut eine kleine Pause. Wieder Schluchzen, diesmal schon mehr, deutlicher, und aus den Augen der meisten sprach nun erkennende Zustimmung. Er hatte sie. Jetzt hatte er sie alle. Er spürte die Erleichterung und war nun fast beschwingt.

      „Und seine Familie, die er so sehr liebte – keiner soll sagen, er hätte sich nicht gekümmert. Joseph Rebschläger war ein liebender Ehemann, ein gütiger Vater und ein aufopferungsvolles Familienoberhaupt. Es zerreißt mir das Herz in der Brust, wenn ich Sie nun hier ansehe“, er blickte ein wenig übertrieben zu der Witwe und da plötzlich – Jawollja! Sie weinte große Kullertränen! Volltreffer! Besser geht’s nicht. Jetzt nur nicht nachlassen! „Wenn ich Sie ansehe und nicht einmal annähernd Ihren Verlust ermessen kann. Und doch weiß ich eins: so wie ich Ihn kenne, wird er von da, wo er jetzt ist, weiter über Sie wachen und seine Hand schützend über Sie halten. Es mag Sie, es mag uns alle nicht trösten, darum zu wissen, denn für uns ist er fort. Doch lebt er fort, lebt in allem, was uns umgibt weiter. In Seinen Kindern, in seinem Schaffen, in all unseren gemeinsamen Erinnerungen, und wir dürfen nie aufhören, sie dem Vergessen zu entreißen. Nein, ich kannte unseren Joseph nicht. Aber wenn ich heute einen Wunsch frei hätte, dann wünschte ich mir, dass ich ein bisschen so sein könnte wie er. Dass wir alle ein bisschen so sein könnten wie Joseph Rebschläger.“

      Er blickte nach unten, strich sich eine Träne aus dem Auge, die gar nicht dort war und ließ wiederum das Gesprochene wirken. Er hatte sie tatsächlich erreicht. So viele Tage hatte er sich auf diesen Moment vorbereitet,

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